Im Fokus: Das Spiel gegen den Ball auf Schalke

Was war anders – und warum es nicht so bleiben wird.

Klare Hausaufgaben hatte Tim Walter öffentlichkeitswirksam bekommen. Mal wieder im Zentrum der Worte: Die Arbeit gegen den Ball. Zu viele Gegentore würde man bekommen, zu schlecht gegen den Ball arbeiten, zu viele Fehler machen. Wie würde Walter reagieren?

Prinzipiell steht Tim Walter für einen fußballerischen Ansatz, der das eigene Tor durch Kontrolle und Ballbesitz verteidigt. Dazu gehört insbesondere ein konsequentes und extremes Gegenpressing und sofortige Wiedereroberung des Balles nach Ballverlusten. Grundlage dafür sind lange Ballbesitzphasen und eine extreme Vernetzung/Nähe der Mannschaft in der gegnerischen Spielhälfte. Die Frage war zum Rückrundenauftakt: Wie würde der erste defensive Matchplan im Jahr 2024 aussehen?

Die Antwort kristallisierte sich bereits früh im Spiel heraus. Es wurde deutlich, dass sich das Trainerteam des HSV am Samstag extrem an die bevorstehende Aufgabe angepasst hatte. Denn was war von Schalke zu erwarten?

  1. Die Gegneranalyse – oder auch: Was ist Schalke?

©@tikatakahsv – 20.1.2024 auf „X“

Unter Karel Geraerts spielt Schalke mittlerweile in einem konsequenten 4 – Raute – 2 System. Das zur Verfügung stehende Personal lies erahnen, dass Schalke nicht viel an seinem Spielstil ändern würde. Mit Topp und Terodde würden zwei körperlich robuste Mittelstürmer auflaufen, dahinter mit Karaman der wohl wichtigste Spieler im zentralen 10er-Raum, die Halbräume sollten Idrizi und Mohr bespielen und Seguin die 6 besetzen. Auch die AV – Profile waren klar. Der offensivstarke Ouwejan auf der einen und der offensivlimitierte Brunner auf der anderen Seite – dazu mit Kalas, Kaminski und Fährmann auf letzter Reihe ein fußballerisch (technisch/Passspiel) limitiertes Zentrum.

Der Plan des HSV sah nun vor die auf dem Papier numerische Überlegenheit von Schalke im Zentrum abzuschneiden. Die technisch-taktisch limitierte letzte Reihe – und hier insbesondere die IV und Brunner – sollten die Verantwortung des Aufbaus übernehmen und zum von mir gerne so bezeichneten „Gewaltfußball“ angeregt werden: Lange Bälle auf die robusten Mittelstürmer oder hohe Bälle in den Strafraum – die statistisch schlechteste Möglichkeit ein Tor zu erzielen – trotz Terodde und Topp. Aber wie gelang dies?

2. Der HSV in der Spielphase: Geordnet gegen den gegnerischen Ballbesitz

a.) Die Prinzipien

Teil des Matchplans sind immer Prinzipien, die sich in der Spielweise deutlich erkennen lassen. Die für mich prägenden Elemente hierbei im Spiel gegen den Ball waren in dem Spiel gegen Schalke Folgende:

  • Überzahl in der letzten Reihe behalten – Es gab kaum eine Spielszene, in der man in der letzten Reihe in Gleichzahl agierte (später dazu mehr).
  • Numerische Überzahl in der Restverteidigung als Maxime.
  • Zentrum zu und Ouwejan aus dem Spiel nehmen.
  • Hoch und weit bringt Sicherheit, oder auch: Risikominimierung. Das sonst so ambitionierte Kombinieren der Rothosen, auch unter Druck nach der Balleroberung, wurde weitestgehend zusammen mit der Kontrolle über den Ball aufgegeben.
  • Rückpässe auf Fährmann werden immer durchgelaufen – der kann kein Fußball.

b.) Höhe, Formation und Anlaufverhalten

Erster Schritt war den Schalkern den entsprechenden Raum zu geben. Somit wurde auf ein extrem hohes Angriffspressing verzichtet. Zweiter Schritt musste das Abschneiden des Zentrums sein. Nachfolgende Abbildung war exemplarisch für die Anlaufebene.

Hierfür ordnete sich die Mannschaft in einem 4132 an. Meffert markierte den zentralen Karaman, Dompe und Jatta rückten gegen die Raute ein um den vertikalen Flachpass zu verhindern. Pherai pendelte im rechten Halbraum, immer auf dem Sprung zwischen Kaminski und Seguin und verhinderte zusammen mit Benes das Übergangsspiel ins Zentrum über den zentralen 6er Seguin. Die beiden Außenverteidiger Heyer und van der Brempt sprangen situativ auf die äußeren Rautenspieler vor. Die vorgelagerte Position von Glatzel zeigt hier bereits was der HSV vorhatte: Ein Querpass von Kaminski auf Kalas dient als Pressingauslöser: Bobby halbiert das Feld, Pherai und Benes pressen Seguin, dem lediglich Brunner als Option bleibt.

Der HSV lenkte das Spiel somit auf den limitierten Brunner. Dadurch, dass Dompe aus der eingerückten Position aus dem Zentrum anläuft, nimmt er Brunner die Option der Halbraumfortsetzung über Topp, der hier eigentlich in eine schöne Wechselbewegung mit Idrizi geht. Technisch bessere Außenverteidiger – wie z.B. unser van der Brempt – würden hier wohl mit einem kurzen Haken die Spielfortsetzung über den Halbraum gefunden haben. In der Folge führte diese Szene aber nun zu dem gewollten langen Schlag, den Heyer entspannt ablaufen kann.

Die Unterschiede im Plan gegen den Ball anhand der Qualitäten der AV von Schalke wurde dabei sehr klar: Wurde über den linken IV (LIV) geöffnet, sollte Jatta weniger die Halbspur, sondern eine direkte Spielfortsetzung von Ouwejan verhindern. Die oben erwähnte eingerückte Position von Pherai zw. Seguin und Kaminski nimmt die zentrale Fortsetzung weg. Jatta kann dadurch wesentlich breiter als Dompe stehen und hat somit einen viel kürzeren Weg auf Ouwejan, der somit keine Option für ein Anspiel ist. Die Folge erneut: Langer Schlag von Kaminski.

In den Fällen, bei denen Schalke sich nach dem langen Schlag den Ball sichern konnte wurde der zweite Teil des Matchplans des HSV deutlich: Fallen in einen tiefen 442 – Block. Benes rückte neben Meffert, der weitestgehend weiterhin Karaman markierte, und die Außenmittelfeldspieler schoben extrem durch um die zentrale Überzahl der Raute zu egalisieren. Auffällig auch hier, dass Jatta grundsätzlich breiter blieb als Dompé um Ouwejan zu verhindern.

c.) Intensität, Kommunikation und Zweikampfverhalten?

Jede Ordnung und alle Prinzipien können aber auch nur dann greifen, wenn die so viel beschrienen „Tugenden“ stimmen. Was Einsatz, Intensität im Pressingmoment und insbesondere das Herausrückverhalten nach den zahlreichen geklärten Standards anging war dieses Spiel ein Beispiel wie es sein muss. Unzählige geblockte Schüsse und verteidigte Standards der Schalker sprechen hierbei eine klare Sprache. Herausragend war auch die offensichtlich funktionierende(n) Abläufe und Kommunikation. Bei den seltenen Positionsrocharden der Königsblauen (u.a. Brunner & Idrizi mit Wechselbewegungen) klappte die Übergabe der Raum- und Mannzuordnungen auch auf der defensiv schwächeren linken Seite des HSV. Auch erfordert das Springen der Außenverteidiger gegen eine Raute eine extrem gute Übergabe und Kommunikation mit dem zentralen UND den Außenspielern.

3. Die Arbeit nach Ballverlusten oder auch: Rückzug vs. Gegenpressing

Spielte der HSV in dieser Saison bereits ähnliche Strukturen gegen Ball, wurde die Veränderung des Ansatzes nirgendwo so deutlich, wie bei der berühmten Frage nach einem Ballverlust: Pressen wir gegen oder fallen wir zurück. Strukturelle Voraussetzung eines funktionierenden Gegenpressings ist immer eine hohe Vernetzung der eigenen Spieler in Ballnähe. Dieses bedeutet wiederum, dass ich bereit sein muss mit einer hohen Zahl von Spielern aufzurücken. Alternativ kann ich mich bemühen sofort mit der Mannschaft wieder „hinter den Ball“ zu kommen um so wieder in die oben beschriebenen Strukturen gegen den geordneten Ballbesitz zu kommen. Wir reden hier über eine eigene Spielphase im Fußballspiel. Sie soll dennoch hier einen kurzen Absatz Betrachtung finden, da keine der Spielphasen so sehr verdeutlicht, wie verändert der Ansatz des HSV für dieses Spiel war, wie das Verhalten der Mannschaft nach Ballverlust.

Aufgrund des gewählten Konteransatzes generierte der HSV selten Ballbesitzphasen, die das entsprechende Personal für ein Gegenpressing in Ballnähe brachten. Deshalb, und da ja die letzte Reihe (siehe Prinzipien) auf keinen Fall in Gleichzahl agieren sollten und auch die zentralen Spieler des HSV nicht mit aller Macht nachrückten, verzichtete der HSV weitestgehend auf das Gegenpressing – man hatte schlichtweg nicht genug Personal dafür.

Ein exemplarisches Beispiel ist nachstehend zu sehen.

Sowohl Benes, als auch Meffert rücken nicht mit aller Macht nach und erhöhen die Vernetzung in Ballnähe im Rückraum – obwohl acht (!) Schalker sich im eigenen 16er befinden). Viel mehr sichert man den tieferen Rückraum ab. Auch die Kette eine Reihe weiter hinten, bietet weitere Sicherheit gegen das Umschalten der Schalker.

Auch bei dem nachfolgenden Ballverlust von Dompe besteht zwar keine Chance auf Gegenpressing – jedoch kann auch Schalke durch die zahlenmäßig hohe Restverteidigung des HSV kein Kapital aus dem Ballgewinn generieren.

Benes hat gar keine Chance mehr anzugreifen – und dennoch ist der HSV in der Kontersituation im Zentrum stark und darüber hinaus sogar in einer numerischen Überlegenheit. Safety First!

4. Entwicklung im Rahmen des Spiel(verlaufs)

Schalke reagierte in der Halbzeit personell und wechselte den offensiv blassen Idrizi für Schallenberg aus. Dieser sollte auf der tiefen 6 eine Verbesserung des Übergangsspiels bringen und Seguin im rechten Halbraum für mehr Präsenz in eben jenem bringen. Schallenberg agierte hierbei teilweise nun auch in einem 3-1 Aufbau und Ouwejan und Brunner schoben extrem hoch. Darüber hinaus bewegte sich Karaman immer häufiger in den linken Halbraum, was in Summe, zusammen mit Mohr, sowohl van der Brempt, Jatta und Meffert unter Entscheidungsdruck hinsichtlich der Zuordnung setzte. Darüber hinaus wurden insbesondere für Jatta die Wege zu Ouwejan weiter, was zu einer erhöhten Einbindung dessen und zu vielen Halbfeldflanken führte.

Aber auch hier hielt man sich an seine Prinzipien. Frei nach dem Motto: Der Ball darf nur nicht die Fußballabteilung der Königsblauen erreichen, lies man Kaminski offen. Dass dieser aus der hier abgebildeten Situation einen langen Ball von der Mittellinie auf Topp spielt, spricht für sich. Der HSV hatte dennoch in der Folge bis in die 75. Minute hinein Probleme auf den neuen Aufbau Zugriff zu erhalten.

Ab der 78. Minute passte sich nun mehr der HSV grundsätzlich an. Da der 3er Aufbau nicht mehr ohne erhöhtes Risiko höher zu pressen war, verzichtete man immer mehr auf ein höheres Anlaufen und beschränkte sich immer mehr auf den tieferen 442 Block. Ziel war es im kompakten Abwehrpressing den Schalkern deren stärkste Waffe – Halbfeldflanken hinter die Kette – zu nehmen ohne die Mitte aufzugeben. Hierfür musste der defensiv schwächere Dompe gehen, welches sich direkt bemerkbar machte. Okugawa besetzte wesentlich disziplinierter den Mittelfeldblock und schob merkbar zentraler durch. Die restliche Spielzeit passierte – außer der gemeinschaftliche Kampf gegen den Ball – nicht mehr viel.

  • Robs Bewertung

Der Matchplan gegen Schalke war aus meiner Sicht komplett einleuchtend. Ohne mich eingehend mit dem Spiel mit Ball zu beschäftigen, macht es einfach Sinn. Man sah sich einem Gegner gegenüber, bei dem lediglich die Körperlichkeit Angst machte. Schalke bot keinerlei Speed auf und auch wenn unsere Personalsituation in der Kette nicht Ideal war, bot sie jedoch genau hierfür ein gutes Match. Dadurch, dass die Kette von Schalke auch ohne viel Druck den Ball gerne einfach lang auf die beiden Mittelstürmer spielt, konnte dies mit „begrenzten Personal erzwungen werden“ und in letzter Reihe durch Ramos, Ambrosius, Heyer und insbesondere auch van der Brempt und Meffert wegverteidigt werden. Die personelle Überzahl Schalkes in der Zentralen wurde lediglich in den ersten 15 Minuten der 2. Halbzeit relevant. Auch die Standards wurden mit brutalem Willen und Glück geklärt, wobei es hier trotz des vielen Personals (inkl. Glatzel und Jatta) immer wieder zu brenzlichen Situationen kam.

Der gewählte Konteransatz war auch nur logisch. In der Kette fehlten zwei von drei „Spielmachern“. Hat man sich an das Fehlen von Schonlau schon fast gewöhnt, ist insbesondere der Ausfall von Muheim hier schwerwiegend. Aus diesem Grunde ist der Fokus auf das schnelle Spiel in die Spitze nur sinnvoll. Dass dies auch ohne die hohen Ballgewinne und ein funktionierendes Gegenpressing gelang führt mich allerdings zu meinem natürlichen Wesen als HSV-Fan:

  • Fazit

Dieser Konteransatz nach tiefen Ballgewinnen und dementsprechend weiten Raum, den der HSV überbrücken musste, wird wahrscheinlich langfristig nicht wiederholt werden und auch nicht zum Erfolg führen. Dafür waren am Samstag einfach die Geschwindigkeitsvorteile so stark – ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine weitere Mannschaft in der Liga gibt, die ähnlich langsam ist. Auch wurde durch die Einwechslung von Lasme deutlich, dass beim Fußball das Konzept: Kein Druck auf dem Ball und Raum hinter der Kette zumeist zu Problemen führt, wenn ein schneller Spieler diese Räume beläuft. Lasme zog dadurch einige Standards, weil er Ambrosius und Heyer schlicht „weglief“ und auch die Räume bei zunehmender Spielzeit vor der Umstellung größer wurden.

Gleichzeitig bietet der sich wieder füllende Kader auch wieder mehr Möglichkeiten. Der HSV wird sich überwiegend wieder eher tiefen Blöcken bei den Gegnern gegenübersehen, wodurch wieder mehr Kontrolle und ein höherer Fokus auf das Gegenpressing – und somit auch dem Personal in Ballnähe gelegt werden muss. Aber das ist Stoff für einen weiteren Blog.

Abschließend bleibt daher nur zu sagen, dass sich Walter und sein Trainerteam am Samstag einen enorm Gegnerbezogenen Matchplan ausdachten und die Mannschaft diesen umgesetzt hat, ohne fußballerisch zu überzeugen. Drei Punkte – und weiter.

Aber auch das Spiel mit dem Ball könnte Thema an einem anderen Tag sein. Nur der HSV!

@rBsne

3 Kommentare

  1. Danke für die taktische Aufarbeitung. Was ich vermisst habe war eine schnellere taktische Anpassung von Walter in der zweiten Halbzeit. Du führst mit 2 Toren und der Gegner ist verunsichert, dann machst du bis zur 75. Minute keine Anpassung und lässt den Gegner wieder Selbstbewusstsein und Spielkontrolle bekommen. Momentum hat insbesondere beim Fussball einen hohen Wert – und der HSV war in der Hinrunde auch nicht immer trittsicher bei Rückschlägen (siehe Lautern, Paderborn) – was spricht also für dieses lange Ausharren mit Dompé, obwohl es offensichtlich ist, das man Spielkontrolle verliert? Den Spieler nicht demotivieren? Ich wäre auf eure Meinung gespannt.

    • Dompe kommt für mich wie ein sehr sensibler (Kreativ-)Spieler rüber. Wenn er (fit) auf der Bank saß und nach Einwechslung eine Torbeteiligung hatte, folgte immer eine Geste in Richtung Zuschauer, Bank, Presse – u name it. Er machte auf mich selbst bei seiner Auswechslung keinen erfreuten Eindruck.
      Bei solchen Spielern muss man halt höllisch aufpassen, dass man ihn nicht verliert und genug Liebe & Vertrauen gibt… Du hast es quasi selbst schon angesprochen.
      Widersprechen möchte ich dir bei der Kontrolle – die hatte man ja das ganze Spiel nicht. Und auch mit Dompe wurde Schalke im Endprodukt nicht wirklich gefährlicher – nur die Voraussetzung um sich Chancen zu erarbeiten hatte Geraerts durch seine Anpassung erhöht – was natürlich im Wesentlichen an Schalke selbst lag.
      RM

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