Der Walterball hat fertig – #HSVH96 in der Analyse

Nach 956 Tagen hat die Amtszeit von Tim Walter am heutigen Montag ein Ende gefunden. Es war eine Amtszeit voller Höhen und Tiefen. Voller Offensivspektakel und auch Einfallslosigkeit. Aber sie war gerade am Ende geprägt von einer immer wieder anfälligen Defensive.

Das Fußball für Tim Walter ein Fehlersport ist, hat er immer wieder betont. Nur leider machte der HSV gerade in der jüngeren Vergangenheit immer mehr Fehler. Oft noch kaschiert von einem starken Daniel Heuer Fernandes oder der eklatanten Abschlussschwäche unserer Gegner, hat der HSV dieses Mal in einer Regelmäßigkeit seine Quittung für eklatante Unkonzentriertheiten bekommen. So auch am Freitagabend gegen Hannover 96.

Neben Personalien Walter drehte sich bei 96 alles um den transferierten Derrick Köhn und gesperrten Marcel Halstenberg. Wie will Leitl diese beiden X-Faktoren im Hannover Spiel kompensieren? Er brachte personell die offensichtlichste Lösung. Muroya blieb auf der rechten Seite, Dehm spielte auf der linken Schiene und Bright Arrey-Mbi agierte als linker Innenverteidiger. Auf der linken 8er bekam ex-HSVer Schaub den Vorzug vor Oudenne.

Beim HSV gab es eine Überraschung im Tor. Raab spielte für den zuletzt schwächeren Heuer Fernandes. Ansonsten blieb alles beim Alten.

Im Spiel mit Ball war beim HSV eigentlich alles wie immer. Dies war ja sowieso nie das Problem in der Ära Walter. Der HSV konnte sich oft mit den Walterball-Methodiken in die zweite Linie kombinieren. Speziell die Ansätze über Gui Ramos und Jonas Meffert waren wieder einmal vielversprechend. Aber wäre es nur das Spiel mit Ball, welches über Erfolg oder Misserfolg entscheidet wäre Tim Walter heute noch HSV-Trainer.

Hannover war gegen das schon fast typisch gewordene HSV 4132 Anlaufen an sehr pragmatischen, aber effektiven Mitteln interessiert. Anstatt kontrolliert hinten raus zu spielen, wählte man oft lange Bälle oder linienbrechende-diagonale Pässe ins HSV Zentrum. Hannovers 4-Raute-2 mit Muroya und Dehm als Schienenspieler sorgte dafür, dass 96 immer genug Personal in der Zentrale oder im Halbraum zur Verfügung hatte. Der HSV fand sich oft in Unterzahl wieder und hatte selten Zugriff auf das Spiel der 96er.

Zusätzlich machte Nicolo Tresoldi den HSV Innenverteidigern das Leben schwer. Die langen Bälle von Neumann erlief er konsequent. Der HSV klärte oft auf Kosten eines Freistoßes oder einer Ecke. Eine Spezialität von 96. Das 0:1 nach einem Standard dürfte die wenigsten überrascht haben, wenn man sich intensiv mit 96 beschäftigt.

Zu dem nicht ganz idealen Defensivmatchplan kamen auch noch individualtaktische Fehler und Unsauberkeiten dazu.

Nach einem Ballverlust von Pherai, kommt 96 in die Umschaltsituation. Schaut man sich isoliert die Situation an, erhält man den Eindruck, dass es für den HSV noch nicht sonderlich bedrohlich ist. Kunze ist nun nicht als Dribbler und Balltragmonster bekannt. Man spielt praktisch ein 6 gegen 4 in der Umschaltsituation.

Allerdings kommt Meffert nicht mehr wirklich in die Situation und auch Ambrosius’ Verhalten gegen den Ball ist alles andere als ideal.

Verfolgt er noch im ersten Moment Nielsen, so entscheidet er sich in der Transition Nielsen ziehen zu lassen und stellt Kunze. Kunze spielt natürlich in der Folge den Ball auf Nielsen, allerdings kriegt Ambrosius die Situation zunächst geklärt. Jedoch bleibt der zweite Ball bei Kunze. Hannover kriegt die zweite Welle. Im Rücken von Ambrosius wird Ernst angespielt und schließt mit Glück und Mithilfe von Ramos zum 0:2 ab.

Auch beim 1:3 sieht die HSV-Defensive wieder nicht gut aus.

Nachdem Neumann weit in die Breite herausschießt, öffnet sich die Diagonale für den Ball ins Zentrum. Durch Benes’ hohe Position zwischen Leopold und Kunze spielt Meffert beinahe ein 1 vs. 3 im HSV Zentrum. Schaub kann ohne Gegnerdruck den Ball verarbeiten und verlagert das Spiel auf die linke Schiene.

Van der Brempt schiebt in der Folge auf den LV raus. Ernst attackiert den Raum hinter VDB und wird von Jatta verfolgt.

Dehm hat aus HSV-Sicht etwas zu viel Zeit und spielt einen Chip Ball in die HSV-Box. Die HSV 3er Kette steht in einem kleinen, stumpfen U. Muheim und Ramos agieren zwar auf einer Linie, allerdings hebt Ambrosius mit seiner etwas tieferen Position das Abseits auf.

Es wirkt in der Folge so, als ob sich Stephan Ambrosius zusätzlich auf Raab verlässt in dieser Situation. Tresoldi schaltet viel schneller als der Gegner und in der Folge fällt das 1:3. Eigentlich absolut vermeidbar.

Aber das ist nun mal der HSV in der Spielzeit 23/24. Der Gegner schafft es permanent dem HSV seine eigenen Probleme vor das Gesicht zu führen. Sei es individuell oder gruppentaktisch. Der HSV ist absolut keine schlechte Fußballmannschaft, ganz im Gegenteil sogar. Mit Ball war das über weite Strecken ein mehr als solider Auftritt der Rothosen. Die Wucht die man zwischenzeitlich entwickeln konnte, ist auch auf System und Trainer zurückzuführen.

Allerdings bringt man sich Woche für Woche um den eigenen Erfolg. Und daran muss man sich am Ende messen lassen. Es gibt kein System, welches jeden individuellen Fehler im Kollektiv auffängt, aber es ist für den HSV schlichtweg nicht akzeptabel, dass oft eine falsche Entscheidung über Tor oder nicht Tor entscheidet. Und am Ende eben auch über Sieg oder Niederlage.

Ich bin Stolz Fan des Walter-HSV zu sein. Ohne diese Art und Weise Fußball zu spielen, wäre ich wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen mich intensiver mit dem Spiel auseinanderzusetzen. Ich hätte es gerne mit ihm geschafft, aber die Dynamik und auch die Hypothek die er mit sich herumgetragen hat, war am Ende zu viel für einen Trainer und Verein in dieser Situation.

Wer auch immer es werden mag, kann sich auf einen Kader freuen, an dem man nicht jedes Blatt Papier neu umdrehen muss. Es brauch Nuancen und Überzeugung.

Sollte es am Ende dieses Jahres hoffentlich reichen, dann hat Walter gehörigen Anteil an dem Erfolg. Ich hoffe für ihn, dass wir das in der Zukunft nicht vergessen.

Am Ende bleibt mir nur zu sagen: Tim Walter, danke für deine Hingabe und Liebe für den Verein. Es war großartig zu sehen, wie sehr sich ein Trainer in diesem Business Profifußball mit einem Verein identifizieren kann. Ich hoffe du wirst für den HSV in Zukunft genauso jubeln, wie wir es bei dir tun werden.

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