Das Personalkarussell rund um die HSV-Trainerposition dreht sich wie kein zweites. Inzwischen wurde wohl jeder Trainer der auf dem Markt verfügbar ist oder mit HSV-Vergangenheit ein anderes Team trainiert mit den Rothosen “in Verbindung gebracht”. Sei es über wohl lose Gerüchte aus den Print-Medien oder einfach nur als Wunsch von Twitter-Usern. Das sportliche geriet etwas ins Vergessene.
Die Defensive lag auf dem Stundenzettel in der ersten Woche von Chef-Interimstrainer Merlin Polzin. Kein Wunder. 8 Gegentore aus den letzten 2 Heimspielen sprechen seine eigene Sprache. Umso wichtiger war es, dass diese Woche Kapitän Sebastian Schonlau wieder im Teamtraining mitmischte. Allein seine Präsenz sollte wieder Stabilität in die HSV-Viererkette bringen. Wieso er so wichtig ist, das hat Benedikt hier beschrieben.
Aber auch beim Gegner Hansa Rostock hat sich auf der Trainerbank etwas getan. Mersad Selimbegović ist seit Mitte Dezember der neue Coach bei der Kogge. Aber was hat der Coach verändert, was kann Polzin und sein Team am Samstagmittag in Rostock erwarten? Wir haben uns die Hansa angeschaut.
Nachdem es letzte Woche schon ein personelles Ratespiel war, macht es uns die Hansa aus Rostock bei Weitem nicht einfacher.
Gegen Nürnberg (3:0) agierte man in einem 442. Zuhause gegen Elversberg (2:1) war es eine Art 4141 mit vorgezogenem van der Werff. Bei Hannover 96 brachte man die 3er Kette zurück auf den Platz und am vergangenen Sonntag agierte man wieder in einem 442.
Auch personell ist es wohl bis auf vereinzelte Namen ein absolutes Ratespiel. Bis auf Kolke (TW), Rossbach und Hüsing (IVs), Stafylidis (6/8) und Pröger (ST) scheint keiner einen Stammplatz in der Elf von Mersad Selimbegović zu haben. Meine Vermutung liegt aber dennoch auf einer 3er Kette, vor allem aus dem Grund, dass man gegen 96 defensiv über die meisten Teile des Spiels recht stabil stand.
Als zusätzlichen Innenverteidiger erwarte ich den Schweizer van der Werff. Auf der rechten Schiene Neidhart, links Schumacher oder Rossipal. Auf der Doppel 6 ein Duo aus Bachmann und Stafylidis. Dressel wäre hier die physischere Variante zu dem Griechen. Auf der 10 dürfte Ingelsson in die Startelf zurückkehren. Erste Alternative wäre Christian Kinsombi. Und ganz vorne erwarte ich Physis Monster Junior Brumaldo und den schnellen Pröger.
Im Falle eines 442 wären Singh und Fröling für mich ebenfalls Startelfkandidaten, genauso wie VfB-Leihe Perea.
Der Vorteil für Merlin Polzin ist, dass sich die Herangehensweise bei den Rostockern nicht mit der Formation ändert. Man wählt oft eine Art aus Angriffs- und Mittelfeldpressing um den Gegner teils früh unter Druck zu setzen. Das Ziel dieser Rostocker Philosophie ist relativ simpel: Den Gegner zum Spielen von langen Bällen zwingen um dann mit ihrer Physis und Kopfballstärke in der Zentrale zuzuschlagen.
In ihrem Mittelfeldblock sitzt die Hansa meist knapp hinter ihrer Mittellinie und agiert leicht abwartend. Auffällig ist jedoch die geringe Breite der zweiten Rostock Reihe. Speziell aus ihrer 442 Grundformation orientierten sich die Flügelspieler Singh und Fröding meist sehr zentral. In diesen Situationen können die Rostocker oft Probleme bekommen, wenn ein 8er aus dem Rostocker Zwischenraum in dieser Situationen auffüllen kann. Rostock spielt dann oft ein mögliches 2 gegen 3 im Raum um den Außenverteidiger.
Laufen sie aus ihrer 442 Grundordnung hoch an, so entstand zumindest im Osnabrück Spiel ein fast asymmetrisches 433. Singh schob aus seiner Position aus dem linken Mittelfeld vor in die letzte Linie, allerdings ohne dass es dabei eine kohärente Bewegung der Mittelfeldkette in Richtung linke Seite gab. Der Raum in Singhs Rücken war meist sehr alleingelassen. Ziel des Rostocker Vorschieben ist wahrscheinlich das egalisieren der Unterzahl beim Spiel rund um um den gegnerischen Torwart. Zugleich möchte man weiter Druck ausüben um die lange Bälle in Richtung Rostock Zentrale zu erzwingen.
Dieser Ansatz ist im Prinzip auch auf ein Spiel mit einer 3er-Kette übertragbar, allerdings zeigte sich Kinsombi auf der 10 im 96 Spiel dann doch eher etwas konservativer und verfolgte den 96er im Spiel gegen den Ball. Die Rostocker gehen im Spiel gegen den Ball aus der 3er Kette heraus, trotzdem ein hohes Risiko. Die Flügelverteidiger Neidhart und Schumacher orientieren sich meist an den gegnerischen Außenverteidigern um sie bei einem Anspiel recht zügig pressen zu können. Realtaktisch resultiert dieses Verhalten schon fast in einer 3412 Formation.
Statistisch lässt sich beweisen, dass Hansa Rostock einen konservativen Ansatz verfolgt. Die Hansa führt in der Selimbegović-Ära weniger Zweikämpfe im zweiten Drittel als zuvor und dafür mehr im defensiven Drittel. Im letzten Drittel ist diesbezüglich alles gleich geblieben. Es sei aber zu erwähnen, dass die Passes per Defensive Action (PPDA) ungefähr im gleichen Wert liegt. Die Hansa war nie und ist auch unter Mersad Selimbegović kein Team, welches sich in einem tiefen Block verbarrikadiert.
Mit Ball liegt der Fokus der Hansa ganz klar auf dem Bespielen der Schiene. Vorzugsweise der linken Schiene. Ob aus der 3er oder 4er Kette heraus, spielt für die Hansa keine Rolle. Die Prinzipien sind in den Abläufen ungefähr gleich. Die breit stehenden Innenverteidiger werden meist von einem 6er im Aufbau unterstützt. Es ist eher selten, dass ein 8er sich neben die Position von in diesem Beispiel van der Werff bewegt.
Der eröffnenden Ball geht dann meist auf den linken Außen-oder Flügelverteidiger. Dieser hat dann mehrere Optionen.
Option A) Er geht selbst ins Dribbling und setzt für einen progressiven Tiefenlauf an. Option B) Die Ballnahe 8 kippt heraus und stellt eine Anspielstation dar. Option C) Der AV / FV spielt einen tiefen Ball auf den schnellen Pröger.
Diese Art des Schienenspiels bietet wenig Risiko für das Rostocker Spiel und findet auch oft einen Abnehmer.
Mal im gegnerischen letzten Drittel angekommen, zeichnen sich die Rostocker über eine gute Nachrückbewegung aus. Das Ziel sind jetzt Bälle in den Strafraum. Entweder über Flanken oder Bälle in den Rückraum. Gerade mit Junior Brumaldo haben die Rostocker einen Stürmer in den eigenen Reihen, der sich aufgrund seiner starken Physis oft gegen die gegnerischen IVs durchsetzen kann. Die Boxbesetzung ist gut, da auch meist der ballferne Flügelverteidiger mit in den Strafraum schiebt.
Die Prinzipien finden sich aus einer 3er Kette im Spiel der Rostocker, allerdings bringt das Spiel mit der 3er Kette in meinen Augen etwas mehr Variabilität mit. Man merkt dann doch, dass es lange das bevorzugte System an der Ostsee war.
Aus dem 3-1 Aufbau heraus schieben meist 4 Rostocker in die letzte Linie vor. Die Stürmer und auch die Schienenspieler. Der 10er (hier Ingelsson) ist eine Art Freigeist von hat Bewegungen in seinem Spiel die von Abkippen bis zum Vorschieben in die letzte Linie alles im Portofolio haben. Auch kann dieser oft den Raum der höheren 8 besetzen, sollte dieser sich dazu entschliessen etwas tiefer im eigenen Aufbauspiel zu agieren.
Im Groben und Ganzen ist das Rostocker Spiel wenig innovativ. Es ist sehr darauf ausgelegt den Gegner durch ihre Physis zu zerstören. Mit Ball kriegt man den Rostockern allerdings relativ simpel den Zahn gezogen. Zwar hat sich das Spiel unter Mersad Selimbegović leicht verbessert, es ist trotzdem eindimensional. Kann man das Spiel über die linke Rostocker Seite unterbinden, fehlt oft der Plan B. Einziger Hoffnungsschimmer sind Standards und weite Einwürfe.
Der Hamburger Anspruch muss ein Sieg an der Ostsee sein, egal wer da an der Seitenlinie steht. Die Rostocker werden sicher keine Laufkundschaft, allerdings sollte die spielerische Klasse mehr als ausreichend sein um Kogge weh zu tun.
Wie der HSV seinen 4. Auswärtssieg in Folge feiern kann?
Daniel: Für mich gibt es am Samstag zwei Schlüssel zum Sieg. Einen für die Offensive und einen für die Defensive. Offensiv muss der HSV es durch seine dynamischen 8er Reis und Pherai schaffen die Rostocker Mannorientierungen zu sprengen und situativ die Rostocker in die beschriebenen Unterzahlsituationen bringen. Auch ein Andribbeln von Ramos und hoffentlich Schonlau können die Taschen und Zwischenlinienräume für den HSV öffnen.
Robert: Erst einmal: Erneut eine sehr gelungene Analyse Daniel!
Offensiv muss aus meiner Sicht einzig das genommen werden, was uns Rostock gibt. Wie du in deiner Analyse ausführlich dargelegt hast, bietet Hansa – je nach Herangehensweise – immer etwas an. Sollten die Rostocker die extreme Dichte im Zentrum herstellen, sollten wir durch unser bekanntest Spiel (u.a. Spielen und Gehen) die Rostocker zu einer Schiebebewegung zwingen, um dann nach einer Verlagerung entweder mit Muheim (und Dompe) sowie van den Brempt via progressiven Andribbeln, die ersten beiden Reihen zu überspielen. Bei diesen Ansatz sollten Pherai und Reis gewohnt weiträumig agieren um am Flügel immer wieder zu überladen.
Alternativ ist auch der Ansatz denkbar, dass obwohl Rostock sehr zentrumsorientiert verteidigt, durch eben jenes zu spielen. Wie von dir beschrieben würden hier Ramos und Schonlaus Andribbeln elementar wären – bzw. das Movement von Pherai & Reis um die obligatorische Überzahl (3 v 2) im Zentrum zu nutzen.
Wenn sich Rostock auf ein 433 einlässt, würde ähnliches gelten. Erfahrungsgemäß wären wir immer zwei Spieler mehr in der eigenen Hälfte. Auch hier gilt es einmal in den Druck zu spielen, sich zu lösen und die Verlagerung zu finden.
So richtig interessant wird es aus meiner Sicht erst, wenn Rostock sich zum hohen Anlaufen mit einer Dreierkette entscheidet. Die von dir dargestellten Optionen bestehen demnach aus extremen Angriffspressing im 3-2-5, oder in einem 3-5-2. Im ersten Fall würde das Zentrum des HSV in den Fokus rücken. Dort ist die Überzahl. Hier müssen Pherai und Reis die Taschen neben den beiden zentralen Rostockern finden. UND (ich kann kaum glauben, dass ich das sage…) auch gezielte Chipbälle auf Bobby Glatzel müssen hier ein Mittel sein, wenn die Rostocker so vehement durchschieben. Seine Ablagen auf die dynamischen Pherai und Reis würden ein mannorientiertes massives 3-5-2 Zentrum aufbrechen und die beiden Niederländer mit offenen Fuß und viel Rasen vor sich in Szene setzen können.
Daniel: Defensiv würde ich mir ein wenig Asymmetrie wünschen um die Rostocker linke Seite abzumelden. Funktionieren kann dies entweder über ein konservativeres mannschaftstaktisches Verhalten, ein tiefes 442 zum Beispiel. Oder man versucht die Rostocker gezielt von ihrer linken Seite fernzuhalten, mit der Hilfe von etwas Asymmetrie.
Schafft es Jatta über das gesamte Spiel einen guten Anlaufwinkel zu haben, sollte er die klassische Rostocker Eröffnung durchaus erschweren können. Die Abstände und Abstimmung zwischen Jatta & van der Brempt sind dabei der Schlüssel. Kann Jatta doch mal überspielt werden (über Bachmann oder Stafylidis z.B), so liegt es wahrscheinlich an Iggy van der Brempt das progressive Rostocker Spiel auf der linken Seite zu unterbinden.
Robert: Dein Plan halte ich durchaus für plausibel. Wenn Jatta dauerhaft den rauskippenden 8ter von Rostock im Deckungsschatten behalten kann, kann van den Brempt dahinter entspannt die langen Dinger auf Pröger wegverteidigen. Ich persönlich würde mich allerdings ungern darauf verlassen wollen, dass Baka das 90 Minuten diszipliniert gelingt. Außerdem würde ich es gegen das starke Nachrückverhalten der Rostocker als oberste Priorität betrachten, dass die IV des HSV so wenig wie möglich aus dem Zentrum rausschieben muss. Dafür dürfte van den Brempt demnach auf gar keinen Fall auf einen herauskippenden 8ter durchschieben.
Ich persönlich würde mir die Breite der IVs von Rostock zur nutze machen und im Angriffspressing agieren. Glatzel sollte hier ein einfaches Spiel haben, das Spielfeld durch das Anlaufen zu halbieren. Jattas würde ich somit aggressiver auf Schumacher schieben. Wörtlich mit dem Auftrag, bei Annahme selbigen im Zweikampf zu haben. Dahinter können die durch Meffert abgesicherten Reis & Pherai entspannt mannbezogen auf Stafylidis durchschieben und van den Brempt die Tiefe gegen Pröger verteidigen – ohne, dass Ramos aus der Zentralen rausschieben müsste. Einziges Mittel der Rostocker sollten dann die langen Schläge sein, die bereits im Hinspiel stabil wegverteidigt wurden. Wichtig hier: Vernetzung des ballfernen 8ters und Meffert zur Kette für die zweiten Bälle, sowie die Bereitschaft von Dompe (oder auf der anderen Seite Jatta) zumindest ein wenig den ballfernen Halbraum mit zu sichern.