„Baumgartball“ – schaun wa ma was wird… was wird.

Es ist Dienstag und ein Foto macht die Runde. Steffen Baumgart ist neuer Trainer des HSV und alle sind gespannt was er machen wird – ich auch. In der Mittagspause wird direkt die neue PK analysiert, einen Minithread dazu findet ihr hier. Inhaltlich gehe ich dabei eher auf das ein, was Baumgart zeigte: Energie, Persönlichkeit und erste Anzeichen für eine starke Führungspersönlichkeit.
Wie so häufig gab die PK allerdings in dem Themenkomplex, welchen wir uns auf unserem kleinen Blog widmen – dem Fußball – wenig her. Deshalb werde ich mit diesem Post nun in eine kleine Tiefenanalyse des Fußballs von Baumgart gehen. Basieren wird dies auf seiner Arbeit in Köln und auch in Paderborn und vielleicht auch die ein oder andere Metrik aus dem Artikel von Benedikt. Ich werde im Folgenden in vier Kapiteln zuerst auf seinen Fußball in Paderborn, dann auf den in Köln eingehen. In einem kurzen dritten Kapitel nochmal die wesentlichen Parallelen und Unterschiede herausstellen und am Ende darauf eingehen, was uns beim HSV aus meiner Sicht mit Baumgart erwarten wird. Dazu gehören auch mögliche Verlierer und Gewinner des Trainerwechsels.

Eins muss ich dem allerdings vorausschicken. Wer mir auf “X” bereits folgt, wird in den vergangenen Wochen im Bezug auf Baumgart auch Skepsis vernommen haben. Grundsätzlich halte ich Baumgart für einen Charakterkopf, für einen authentischen, emotionalen Leader, der grundsätzlich offensiv denkt. Nur war meine erste Assoziation: Flanken, Flanken, Flanken! Gewaltfußball-Umschaltfußball. Ob das überhaupt zum Kader passt? Gerade Flanken – ICH HASSE FLANKEN! Statistisch gesehen die schlechteste Möglichkeit ein Tor zu erzielen. Darüber hinaus für meine eigene Idee von Fußball schlichtweg unattraktiv… ob das wirklich funktionieren wird mit dem Aufstieg?

Wir gehen rein in die Analyse! Ich werde mich hierbei jeweils an den Spielphasen des Fußballs orientieren. Dabei unterscheidet man (grob) in:
– Spiel im Ballbesitz
– Umschaltspiel Defensiv (nach Ballverlust)
– Spiel zum Ballgewinn (positiver Ausdruck für “Spiel gegen den Ball”)
– Umschaltspiel Offensiv (nach Ballgewinn)

Im den nachfolgenden Grafiken ist die “Baumgart-Mannschaft” immer blau und ich muss euch vorwarnen: Der Text wird lang!

  1. Kapitel – Paderborn

Wie Benedikt bereits andeutete, unterschied sich der Fußball von Baumgarts Paderborn durchaus von dem, den er später in Köln spielen lies.
Das Spiel im Ballbesitz stellte sich grundsätzlich in einem 4-3-3 dar. Prägnant waren dabei, dass die Kette und insbesondere auch die IV sehr breit standen. Die AV hielten prinzipiell die Schiene, die “Winger” (Außenstürmer/Außenmittelfeldspieler) standen auch breit und der Spielaufbau sollte im Wesentlichen über die Außen erfolgen. Die zentralen Mittelfeldspieler stehen relativ eng zueinander.

Die grundlegende Spielidee Baumgarts in Paderborn war, über flache Pässe den Ballvortrag möglichst zielstrebig und dynamisch nach vorne zu organisieren. Daher gab er der Mannschaft systemische Prinzipien an die Hand, die diese Idee in der abgebildeten Formation unterstützen sollten.

1. Locken, Druck absorbieren, verlagern -oder auch: Schaffen von Nähe am Ball.
Dieses grundsätzliche Prinzip im Ballvortrag unterstütze Baumgart mit einfachen strukturellen und spielerischen Elementen. Er wies seine Mannschaft an, dass die breiten AV&AM durch die zentralen Spieler (IV, 6er und 8ter) unterstützt werden. Diese sollten nun in ihrer jeweiligen Ebene in den Halbräumen die (hier linke) Seite überladen und auf dieser mit flachen Pässen den Druck absorbieren. Diverse Dreiecke & Rauten bilden sich und können bespielt werden. Diesen strukturellen Prinzipien unterliegen weitere spielerische Elemente, “wie die Strukturen bespielt werden sollen”. Dies würde dann aber doch den Rahmen sprengen… 😉
Ergebnis ist jedoch, dass der Gegner auf die Seite schiebt und versuchen wird dort den Ball zu gewinnen. Er wird demnach systemisch auf die Seite gelockt. Nach erfolgreichem Locken sollte dann verlagert werden.

2. Suche und gewinne das persönliche Duell
Nach erfolgter Verlagerung hieß es dann ganz klar: Suche das persönliche Duell. Das ist in sich komplett stimmig und obige Abbildung lässt erahnen, dass bei erfolgreicher Verlagerung der rechte Außenstürmer in kürzester Zeit in ein offensives 1v1 geschickt werden und das gegnerische Tor bedrohen kann.
Ein kleines Statistik-Nugget hierbei: Paderborn ging unter Baumgart in der Bundesliga trotz niedriger Ballbesitzquote (rd. 45%) ligaweit die drittmeisten 1 gegen 1 Duelle ein.

3. Unterstützt den Dribbler
Wir denken die Angriffssequenz einmal weiter. Der Ball ist verlagert, der Gegner schiebt zu und der offensive Außen ist in der 1v1 – Situation. Was nun? Lassen wir ihn alleine? Nicht mit Baumgart! Die normale Reaktion wäre hier in der Regel, dass der Außenverteidiger den Außenstürmer hinterläuft und unterstützt. Dies kam in Paderborn zwar auch vor, prägnanter für die Idee waren jedoch die Tiefenläufe aus dem Zehnerraum (Nr.7), da unter Baumgart die AV in Paderborn häufig relativ flach in der Kette standen und der Weg sehr weit gewesen wäre. Unser Dribbler hat nun die Optionen, einen Steckpass zu spielen, oder im 1v1 reinzucutten und selbst den Abschluss zu suchen.

4. Boxbesetzung und Nachrückverhalten
So oder so werden in obiger Abbildung eine Vielzahl von Entscheidungen für die Verteidiger erzwungen (geh ich mit und markiere ich den Mann? Bleibe ich im Raum?).
Und genau das wollte Paderborn auch in der Box erzwingen. Wie oben in der Abbildung zu sehen ist, wurde konsequent und mit viel Personal die Box und der Raum dahinter besetzt, was zu einer Vielzahl von Optionen führte.

So oder so – ein Flankenfokus war in Paderborn mit Nichten zu finden. Das Vorderlaufen aus dem 10er Raum erinnert dabei eher an den Spielstil von Manchester City.

Das UmschaltspielDEF. wurde bei Baumgart insbesondere durch obig unter Nr.1 erwähnte extreme Nähe und Vernetzung der Spieler in Ballnähe vorbereitet und lässt sich unter einem Slogan zusammenfassen: BRUTALES Gegenpressing – direkter Ballgewinn, komme was wolle. Obige Abbildung zeigt es ganz gut: Viele Spieler am Ball = Viele Spieler, die den Ball zurückgewinnen können.

Im (geordneten) Spiel zum Ballgewinn – also beim normalen Spielaufbau des Gegners – arbeitete Paderborn aus dem 4-3-3 heraus in einer 4-1-2-3 Struktur im Angriffspressing mit zwei Achtern und einem Sechser dahinter. Dabei fand man sich weniger in Mannfokussierungen wieder, sondern versuchte das Zentrum über gutes Winkelspiel mit den Deckungsschatten zu schließen. Einmal auf eine Seite gelenkt sollten im Idealfall hohe Ballgewinne erzielt, mindestens aber unkontrollierte Klärungen erzwungen werden.

Wie Benedikt so schön in seinem Artikel darstellen konnte, führte diese mutige Herangehensweise allerdings auch zu dem ein oder anderen Gegentor. Schaffte man es nicht einen langen Schlag zu erzwingen, oder das flache Überspielen der beiden 8ter zu verhindern, war schnell die halbe Mannschaft überspielt und hinten mussten Entscheidungen getroffen werden, da es an der Kompaktheit mangelte: Rücke ich als IV auf den freien gegnerischen 10er/8er heraus?
In der 1. Bundesliga implementierte Baumgart darüber hinaus ein 4-4-2 Mittelfeldpressing mit einem tendenziell konservativen Approach.
Kleiner Einschub: Das hört sich alles sehr bekannt an… 😉

Im UmschaltspielOFF. wurde Baumgarts übergeordnete Spielphilosophie besonders deutlich: Er will zielstrebiges direktes, dynamisches Spiel! Um dies vorzubereiten muss ein Blick etwas geworfen werden, das in der öffentlichen Wahrnehmung wenig Beachtung findet. Alle reden über die Restverteidigung. Aber hat jemand schon über den “Restangriff” gesprochen? Redet man bei der Restverteidigung meist über die Anzahl und Positionierung der Spieler, die bei eigenen Ballbesitz “hinter dem Ball” verbleiben, geht es im Restangriff um die Positionierung und Anzahl der Spieler, die, einmal überspielt, nicht mehr versuchen hinter den Ball zu kommen, weil sie sehr wahrscheinlich eh nicht mehr in der Verteidigungssequenz eingreifen können.
Bei Baumgart war dies in Paderborn ungewöhnlich viel Personal. Einmal überspielt pinnten die beiden Außenstürmer und der Mittelstürmer weiterhin die gegnerische Kette und auch ein “Verbindungsspieler” nahm sich die Freiheit nicht mehr weiter zu verteidigen. Dadurch, dass der Restangriff außerdem relativ zentral eingerückt war, ergab sich somit die Möglichkeit brutal schnell und direkt über das Zentrum gen gegnerisches Tor zu spielen. Zudem nimmt es weitere Spieler (die Restverteidigung des Gegners) aus dem Gegenpressing heraus. Das “legendäre 3:3” von Paderborn in Dortmund war hier das beste Beispiel, wenn es um Umschaltsituationen von Paderborn ging.

2. Kapitel – Köln

Auch in Köln blieb sich Baumgart seiner Spielphilosophie treu. Allerdings passte er sich und sein System an, da er – im Vergleich zu Paderborn – dann doch auf der ein oder anderen Position andere und teilweise auch stärkere Qualitäten vorfand.
Sein Spiel im Ballbesitz passte er vor allem in der Zentralen dahingehend an, dass er die Stärken seiner Zielspieler (Modeste und Andersson), von Uth zwischen den Linien aber auch die des Jonas Hectors zur Geltung brachte. Die extrem breiten IV behielt er bei. Gleichwohl schob er die Außenverteidiger nun strukturell höher. Als Grundformation wählte er meist ein 4-1-3-2, welche auch als 4-Raute-2 interpretiert werden kann. Dabei agierte seine Mannschaft grundsätzlich in zwei unterschiedlichen Strukturen, die sich je nach der defensiven Ordnung des Gegners verhielten. Generell wurde das Spiel zentrumsfokussierter, im letzten Drittel allerdings flankenfokussiert.

Wenn der Gegner eher passiv und in einem tieferen Block agierte, baute Köln in einem 2-3 mit breiten und hohen AV auf. Lief der Gegner höher an, lies sich der 6er (Skhiri) zwischen die breiten IV fallen und Köln agierte in einem 3-2 mit weiterhin breiten AV. Auch diese Strukturen boten Baumgarts Mannschaft für die Spielerprofile passende Lösungen. Auch mit Köln baute er weitestgehend flach auf. Analog obig beschriebenes “Überladen, flachen Locken & verlagern” boten auch diese Strukturen alle Elemente (Rautenbildung/Dreiecke/Überladen in den Halbräumen), die die Umsetzung begünstigen.
Allerdings ergänzte Baumgart – auch aufgrund der Spielerprofile im Kader – die Umsetzung seines Ballbesitzspiels:

1. Positionsrocharden in der Raute
Achtung, das nachfolgende Bild ist wild. Aber es ist auch bezeichnend für das, was Baumgart mit Köln machte. Die vier zentralen Rautenspieler schwammen extrem zwischen den Linien. Frei nach dem Motto: ist mir doch egal, wer in den Positionen ist, Hauptsache einer ist in jeder Position. Das diese Eigenschaften das Überladen einer Seite unterstützt, sollte klar sein. Auch, dass es den Gegner immer wieder zu Entscheidungen zwingt, ist offensichtlich.

2. Fokus auf Spiel über den Dritten – vornehmlich über Tief-Klatsch-Tief.
Die brutale Zentrale Vernetzung ermöglicht dieses spielerische Element. Nicht nur durch mögliche zentrale Passstafetten, sondern im Fall von Baumgarts Köln insbesondere auch im Flügelspiel.

Der Ball wird über den Dritten (Nr. 11) zu einem “Achter” (Nr.7) gebracht, der den Ball mit offener Stellung zum Gegnerischen Tor erhält. Gleichzeitig löst der Pass auf den Zielspieler den Tiefenlauf des AV (Nr.5) aus, der den Ball in die Dynamik bekommt und somit hinter die Kette gelangt. Durchbruch gelungen und es folgt…

3. Die Flanke
Vorbereitet, wie oben beschrieben, gelangt man hinter die Kette und stellt durch das Nachrückverhalten und der ohnehin starken Boxbesetzung (vgl. Paderborn) das Best-Case Szenario für eine Flanke her. Mit Modeste und Andersson hat man hier auch brutale Zielspieler, die diese verwerten konnten und schlägt diese gut vorbereitet in eine dynamische Situation.

Das UmschaltspielDEF. blieb selbstverständlich auch unverändert. Auch die Ballstrukturen Kölns ermöglichten das “Baumgart-typische” extreme Gegenpressing.

Auch im Spiel zum Ballgewinn blieb sich Baumgart in vielen Punkten treu. Hohes Risiko – hoher (Ball)Gewinn als maximales Ziel. Mutiges und vor allem auch KOMPAKTES konsequentes Durchschieben standen über allem. Auch hier agierte Köln grundsätzlich in einer 4-Raute-2 Formation. Nebst der im Vergleich zu Paderborn veränderten Formation, änderte Baumgart aber auch etwas in den Prinzipien. IMMER DRUCK AM BALL. So oder so ähnlich könnte man das Defensivsystem Baumgart beschreiben. Taktisch unterlegte er in Köln im Angriffspressing wie folgt:

1. Gleichzahl ist schon ok
Um den Druck im Angriffspressing durchgehend aufrecht zu erhalten, nahm Baumgart es durchaus in Kauf auf letzter Linie auch mal im Mann gegen Mann zu verteidigen.

2. Wir sind so kompakt wie möglich, die Kette muss hoch
Die 4er – Kette stand, wenn Köln im Angriffspressing agierte, nicht selten an der Mittellinie, oder auch darüber hinaus. Denn immer daran denken: IMMER DRUCK AM BALL! Nicht selten sah das insbesondere in der Anfangszeit Baumgarts bei Köln wie folgt aus.

Die erhöhte zentrale Präsenz (zur Erinnerung: In Paderborn, agierte Baumgart im 4-3-3) ermöglichte Baumgart allerdings auch, gezielte Anpassungen vorzunehmen. Im Kern ging es ihm hierbei um zwei Maßnahmen:

3. Wenn schon Raute, dann richtig
Sollte der Gegner mit einem klassischen 6er (engl. Pivot) im Aufbau agieren, der als tiefer Spielmacher das Spiel aufziehen will, wird dieser durch die Spitze der Raute mannbezogen markiert.

4. NIEMALS sind wir nicht zur Kette vernetzt. Alle zweiten Bälle gehören uns!
Auch diese Maßnahme zahlte auf die generelle Kompaktheit gegen den Ball ein. Situationen, bei denen, wie oben bei Paderborn beschrieben, zu viele Spieler zu einfach überspielt werden, kamen kaum noch vor. Dies lag insbesondere daran, dass Baumgart seine zentrale Raute des 4-1-3-2 konsequent auch in der Tiefe durchschiebt. Dort sollten die zweiten Bälle aufgesammelt werden. Wenn wir obige Situation einmal weiterdenken ergibt sich die Situation, dass der ST (Nr.11) einen Ball auf den AV erzwingt und das Spiel sich dementsprechend auf die rechte Seite bewegt. Dachte die Nr. 8 in Paderborn noch relativ offensiv und schob nur soweit ein, dass er eine diagonale Spielverlagerung durchs Zentrum mittels seines Deckungsschatten verhinderte, hatte er in Köln eine deutlich defensivere Position. Die Positionierung in Paderborn ist in Rot dargestellt.

Nicht unerwähnt soll aber natürlich auch hier sein, dass Baumgart auch in Köln gegen qualitativ starke Gegner einen tieferen 4-4-2 Block mit flachem Zentrum spielen lies.

Im UmschaltspielOFF. war das Ziel immer noch das selbe. Nach Ballgewinn (sowohl bei hohem als auch durch das Aufsammeln der zweiten Bällen) sollte möglichst zielstrebig zentral nach vorne gespielt werden. Auch hier wurde analog des Ballbesitzes gerne das Tief-Klatsch-Tief gesucht. Strukturell macht das natürlich weiterhin Sinn – befindet sich doch das meiste Personal des Restangriffs in zentralen Positionen und auch das gegnerische Tor ist meistens im Zentrum des Spielfeldes. 😉

3. Kapitel – Zusammenfassung, was ist gleich? Was ist anders?
An dieser Stelle möchte ich einmal zusammenfassen. Viele Prinzipien der grundlegenden Spielidee Baumgarts lassen sich mannschaftsunabhängig erkennen:

  • Flaches Kombinationsspiel im Ballbesitz
  • Lösungen Finden über Überladen von Halbräumen in Ballnähe
  • Boxpräsenz und Nachrückverhalten
  • Zentrale Positionierung des Restangriffs
  • Klares Umschaltspiel mit Zentrumfokus
  • Hohes Anlaufen im Angriffspressing
  • Brutales Gegenpressing mit maximaler Intensität
  • Wenig Kontrolle im eigenen Ballbesitz. Es soll sobald die Möglichkeit besteht, sofort Dynamik nach Vorne entwickelt werden. Langsames “Gespiele in U-Form”, wie beim Handball wird vermieden. Ballbesitz ist kein Selbstzweck. Dies ist auch der Grund, warum der Wert für die “Unsicherheit am Ball” so hoch ist. Man hat schlichtweg nicht so viel Kontrolle, wenn man stets versucht, möglichst schnell nach vorne zu kombinieren.

Unterschiede bei den Vereinen waren insbesondere:

  • Das Strukturelle Positionsspiel
    Je nach Kader passte sich Baumgart an – sowohl in der Formation, als auch in den realen Strukturen im Positionsspiel seiner Mannschaften.
  • Anpassung im Übergangsspiel
    Erfolgte in Paderborn nach dem Überladen und locken meist eine Verlagerung auf die breiten Winger, um diese in diverse 1v1 Situationen zu schicken, sollte sich in Köln vermehrt über das Zentrum nach Außen kombiniert werden, um Spieler wie Modeste und Andersson zu füttern. Ich habe hier Benedikt nochmal befragt. Die Statistiken decken meine Annahme. Hatte Paderborn noch ligaweit die 3. meisten 1v1 Dribblings bei nur 45% Ballbesitz in der 1. Liga, so hatte Köln unter Baumgart nur noch die 2. wenigsten (14/pro Spiel). Die Grafik unten zeigt diese Entwicklung nochmal mit, nach Ballbesitz angepassten, Werten.
  • Die Pressingsysteme und im Vergleich zu Paderborn insbesondere die bessere Vernetzung von Viererkette zum Mittelfeld.

4. Kapitel – Was Rob erwartet

Baumgart ist nun nicht einmal eine Woche Trainer des HSV. Worauf dürfen sich die HSV – Fans meiner Meinung nach bereits jetzt einstellen? Was für Probleme könnten auf Baumgart warten? Wohin wird er den HSV entwickeln können? Wer könnten Gewinner und Verlierer sein?

4.1 Ein paar Tage Trainer – wie viel Baumgart wird der HSV schon sein?

Gegenpressing und Angriffspressing:
Einige Trainingsvideos bestätigen mich in der Annahme, welche Elemente des Spiels von Steffen Baumgart am schnellsten zu integrieren sein könnten. Es gab zwei Spiel- bzw. Übungsformen auf engem Raum, die in verschiedenen Variationen das gleiche trainierten. Eine in Unterzahl befindliche Mannschaft sollte in höchster Intensität auf Balljagd gehen, währenddessen die andere den Ball halten und im Anschluss verlagern sollte. Gelingt dies, darf die jagende Mannschaft weiter hinterlaufen. Gelingt der Ballgewinn, soll der gewonnene Ball direkt in ein Tor geschossen, oder verlagert werden. Die Mannschaft, die den Ball verloren hat wird zum Jäger und muss dies verhindern.
Getriggert werden hierbei insbesondere die Punkte: Anlaufverhalten im Pressing & Zweikampfführung bei eben jenen. Gleichzeitig schult es das Passspiel auf engem Raum, Pressingresistenz und das Lösen aus überladenen, engen Situationen.
Darüber hinaus liegt ein wesentlicher Coachingpunkt dieser Form auf den Gegenpressingimpuls. Und da gibt es unter Baumgart nur eines: Sofortige Rückeroberung!

Mehr Direktheit mit dem Ball und zentrales Umschaltspiel:
Auch hier könnten wir erste Veränderungen sehen. Ich erwarte, dass Baumgart das Spiel dahingehend so anlegen wird, dass er nach gelungenen Überladungen die direkte Tiefe suchen wird.

Mehr Paderborn als Köln:
In den Ballbesitzstrukturen ist der Weg vom Walterfußball zu Baumgarts Paderborn wesentlich kürzer als der Weg nach Köln. Hohe Winger, die das 1v1 suchen sollen (Dompe?!), spielstarkes Zentrum, das mit den Außenverteidigern die Seiten überlädt um eine Verlagerung herbeizuführen? Auch die hat der HSV. Auch eine zweite Übungsform, die der HSV postete, zielte auf eine Vielzahl von persönlichen Duellen sowie das Auflösen von Überzahlsituationen ab: Eine Folge von 1v1 und 3v2 Situationen mit vielen Abschlüssen nach direktem Weg zum Tor und weiteren Umschaltimpulsen.

4.2 Wovor hat Rob Angst, oder auch: Was für Probleme könnten Baumgart kurz- und mittelfristig blühen?

Mangelnde Intensität:
Baumgarts Fußball fußt komplett auf 90 minütige Intensität. Unendliche Sprints und Tiefenläufe (sei es Außen oder aus dem Zentrum in die Box). Unermüdliches Anlaufen. Brutales Gegenpressing. All dies sind Attribute, die in den letzten Monaten individuell immer wieder mal bei den ein oder anderen Spieler fehlten. Diese gilt es in der Tat wieder zu wecken.

Mangelnde Haltung beim Gegenpressing:
Eine Millisekunde gezögert, einen kurzen Moment geärgert, einen Moment die Körperspannung verloren… all dies zeugt von mangelnder Haltung im Gegenpressing und führt dazu, dass ein Spieler das ganze Kartenhaus einbrechen lassen kann, weil sein Gegenspieler die Lösung aus dem Gegenpressing vornehmen kann.
Zum Gegenpressing gehört Haltung, die Bereitschaft – egal warum der Ball verloren wurde – ohne zögern in der engen Vernetzung der Mannschaft alles dafür zu geben, den Ball zu gewinnen. Wenn hier auch nur eine Person nicht gleich denkt und handelt, sich vielleicht räumlich fallen lassen will, um abzusichern, dann funktioniert Baumgart nicht. Dieser Jägerinstinkt (Balljagd) muss von 1-11 auf dem Platz sein. Gegenpressing ist nicht nur das stumpfe raufrennen nach Ballverlust, nein, es ist ein komplexer taktischer Vorgang, bei dem die Haltung des Einzelnen alles zerstören kann.

Zu weiträumige zentrale Mittelfeldspieler:
Sowohl in Köln als auch in Paderborn waren die zentralen Mittelfeldspieler Baumgarts im Wesentlichen das was ihr Name sagt: Zentrale Mittelfeldspieler. Sie sollen die Halbräume überladen, jedoch nie aus dem Zentrum herausrücken. Auch diese Tatsache zahlt gleichermaßen auf das funktionierende Gegenpressing als auch auf das funktionierende Positionsspiel ein.
Insbesondere aber auch gegen den Ball wird es enorm wichtig sein, dass Baumgart die rausrückenden Mefferts, Reises und Pherais einfängt, um die im Köln beschriebene Vernetzung zur Kette und die generelle Kompaktheit im Pressing aufrecht zu erhalten.

4.3 Wohin wird Baumgart den HSV entwickeln können?

Wenig Gedanken, wo die Reise hingeht, muss man sich – denke ich – bei drei der vier Spielphasen machen:
Im UmschaltspielDEF wird sich alles um die direkte Rückgewinnung des Ballbesitzes drehen. Gegenpressing ist Baumgart. Welche Widerstände er brechen und welche Haltung er vermitteln muss, habe ich bei den Problemen ausgeführt.
Auch im UmschaltspielOFF wird der Weg klar sein – direktes zentrales Spiel zum gegnerischen Tor.
Das Spiel zum Ballgewinn wird geprägt sein vom intensiven Anlaufen im Angriffspressing, mehr mit Raum- als mit Mannbezug, jedoch, je nach Gegner, ergänzt durch situative Mannorientierungen (vgl. die Manndeckung der Pivot-6 bei Köln). Ergänzen wird er das Spiel wahrscheinlich auch in Hamburg durch einen situativen tieferen 4-4-2 Block, wenn es das jeweilige Spiel benötigt.

Interessant wird es im Spiel mit dem Ball. Gerade, weil unser Kader quasi alles hergeben würde, was Baumgart spielen lassen hat – und das in unfassbar vielen Variationen:

Das übliche 4-3-3 (2-3-2-3) gibt alle Möglichkeiten den Prinzipien Baumgarts Raum zu geben und ähnelt in vielen Belangen ja “Paderborn”. Die hier dargestellten Personen sollen wirklich nur eine Blaupause sein. Wer ggf. Verlierer und auch Gewinner ist, stelle ich weiter unten dar.
Das nachfolgende 4-Raute-2 ist ebenso einfach darstellbar. Insbesondere würde es auch die Luxusprobleme im Zentrum beheben und Benes, Pherai und Reis gleichzeitig auf den Platz bringen können.

Wie die beiden Strukturen dann konkret mit Leben gefüllt werden, bleibt allerdings wirklich abzuwarten. Denn hier kommt es auf entsprechende Prinzipien an. Wenn der 6er in die Halbspur kippt und der Achter in einer höheren Ebene das Selbe tut, um die gewollte Überladung herzustellen – wohin geht die ballferne 8? Rückt diese neben Meffert in die Restverteidigung? Oder positioniert er sich offensiver im ballfernen Halbraum für eine mögliche diagonale Spieleröffnung nach vorne?
Frei nach Baumgart – lieber mehr Tore erzielen als verhindern – gehe ich eher vom zweiten aus.
Was die Prinzipien und die spielerischen Elemente an sich angeht, erwarte ich vom “baumgartschen” HSV strukturiertere Überladungen, weniger Spielen&Gehen, dafür aber mehr Spiel über den Dritten und Tief-Klatsch-Szenarien und mutiges Spiel durchs Zentrum. Aber – und das wird wirklich interessant zu sehen – ich erwarte auch eine flexiblere Gestaltung des Ballbesitz. Denn, kleines Gedankenexperiment:
Der Gegner nimmt dem HSV das Kombinationsspiel durch die Mitte, ein Tief Klatsch – Tief ist nicht mehr möglich, zu stark schiebt der gegnerische 4-3-3-Block durch, zu eng stehen die Ketten, was nun?
Die Antwort: Nehmen was der Gegner uns bietet und auf das Spielelement der Paderbornzeit zurückgreifen. Ab mit dem Ball in den Druck, auf tiefer Ebene überladen, herauslösen über Bascho und Muheim und dann auf die freigezogene Seite mit van den Brempt verlagern.

4.4 Die Gewinner

Alle Spieler, die sich durch intensive Läufe, gutes Anlaufverhalten und Gegenpressingimpuls auszeichnen, werden prinzipiell eher die Gewinner sein. Gleiches gilt für Defensivspieler mit dem Hang zum mutigen Vorverteidigen. Was die Offensive angeht, könnten die Stürmer hinter Bobby Glatzel schlichtweg deswegen Gewinner sein, weil Baumgart gerne mehr Personal vorne hat. Aber auch die zentralen Mittelfeldspieler, die in einem 4-1-3-2 agieren können und obiges vereinen, könnten hoch im Kurs stehen. Die Namen, die mir in erster Linie einfallen – wenn sie fit sind:
Okugawa – bereits auf Schalke deutete der Japaner an, dass er besser verteidigt als Dompe. Hat zusätzlich Tempo und geht auch ins 1v1. Kann er auch rechts?
Reis & Pherai – Workrate gegen den Ball, intensive (Tiefen-)Läufe aus dem Zentrum, guter Gegenpressingimpuls. Die beiden werden enorm wichtig sein unter Baumgart.
Nemeth und RYK Beide können neben Glatzel spielen. RYK kann um Bobby herum, Nemeth neben der Nr. 9 analog Andersson & Modest spielen. Dies würde Bobby auch mehr Freiheiten zum abkippen geben, sollten wir mit zwei Stürmern spielen.
Poreba – In einem 4-1-3-2 wäre Poreba prädestiniert für Baumgart. Gutes Umschaltsspiel, gute Drehungen auf engen Raum, direktes Spiel und viel Dynamik.
AmbrosiusKonsequentes nach vorne verteidigen mit einfachen Entscheidungen? Hadzikadunic ist hier häufig ein wenig zögerlich.

4.5 Die Verlierer

Workrate im Gegenpressing schlecht? Oft zögerliche Umschaltbewegungen? Unter Baumgart wird es schwer.
Dompe – Ich will damit nicht sagen, dass der Franzose nicht mehr spielen wird. Es wird für ihn nur anspruchsvoller. Er gibt uns grundsätzlich mehr in der Offensive als er uns in der Defensive nimmt – auch seine 1v1 Situation passen ja zu Baumgart. Aber die restlichen Attribute könnten ihm weh tun.
JattaVielleicht eine Überraschung für viele. Aber Baka hat immer wieder mentale Aussetzer, die du dir in einen aggressiven Gegenpressing nicht leisten kannst. Gleiches gilt für proaktive Tiefenläufe. Hier könnte er noch viel mehr anbieten. Auch könnte gerade er langfristig ein Opfer der Systemumstellung werden, sollten die Außen wesentlich zentraler agieren als zuletzt.
PS: Besonderer Spieler – besonderer Kommentar: Wenn Baka den Umschaltimpuls hinbekommt, ist er eigentlich kein schlechter fit.
Benes – Auch diesen Namen nenne ich ausschließlich aufgrund des Pressings/Gegenpressings und ist ein Close-Call. Sollten wir uns perspektivisch das 4-1-3-2 aus Köln aneignen, wäre er ersetzt. Andernfalls sind Pherai und Reis für mich der bessere fit auf der 8.

Keine Veränderungen erwarte ich für Meffert, den auch Baumgart als Balancespieler brauchen wird. Interessant wird es auf der linken Seite zwischen Muheim und Noah Katterbach, welcher ggf. als Gewinner herausgehen könnte. Auch Moritz Heyer wird aus meiner Sicht weiterhin das Problem haben, dass er auf jeder Position, die er spielen kann – insbesondere auf seiner stärksten, der “Acht” – bessere Spezialisten vor sich hat.

5. Kapitel – Das Fazit

Was erwartet uns nun mit Baumgart? Was ist er? Meine Vorurteile des flankenbesessenen Fußballs konnte die Analyse auf jeden Fall aufräumen. Vielmehr halte ich ihn immer mehr für einen Trainer, der das Ballbesitzspiel durchaus an seinen Kader anpasst.

Nicht anpassen wird er allerdings seine Spielphilosophie. Flacher Kombinationsfußball bis ins letzte Drittel, brutales Gegenpressing und absolutes Angriffspressing als Maxime. Das ganze im Verbund mit einer brutalen Intensität und Direktheit, die nicht nur zu seinen Prinzipien des Fußballs, seinen Formationen und Systemen passt, sondern auch wunderbar authentisch zu ihm als Persönlichkeit.

Abschließend kann ich demnach – bezogen auf die restliche Saison – nur noch sagen:
Wir freuen uns – freuen uns!

#nurderHSV
– @rBsne

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