„Wie kann man das denn so schnell, so nüchtern analysieren?“
„Macht das überhaupt noch Spaß, wie du Fußball schaust?“
„Bist du überhaupt noch Fan?“
Ein kleiner Auszug aus dem Portfolio von Antworten und Fragen, die mir im Verlaufe der letzten paar Jahre als Fan des HSV gestellt wurden. Ich betone dabei ganz bewusst das Wort „Fan“, denn das bin ich seit meiner Jugend – gerne erzähle ich dabei die Geschichte, wie ich als kleines Kind im HSV – Kindergarten mit dem Sohn von Thomas Doll gespielt haben soll (hat mir mein Vater erzählt, er saß dabei auf der Tribüne mit seiner Dauerkarte – als Schalke Fan, um Fußball zu gucken…).
Mittlerweile darf ich über den Verein schreiben, sogar hier und da mal reden – Danke nochmal an die „KlönStuv“ und an den HSV-Abendblatt-Podcast.
Gleichzeitig zu meinem Verhältnis zum HSV entwickelte sich entlang meiner Amateurkickerkarriere aber auch der Drang das Spiel zu verstehen und zu analysieren. Gegen Ende meiner aktiven Zeit vergrub ich mich in Artikel auf Spielverlagerung oder suchte den Austausch mit „Gleichgesinnten“ auf Twitter (Zum Glück, sonst würde es das hier ja gar nicht geben…). Wie aber erlebt so ein Nerd, der ständig auf der Suche nach Strukturen ist, ständig versucht Muster zu erkennen, ein Spiel seines „Herzensvereins“ – und wieso sagt meine Frau am Freitagabend auf dem Weg in die Hafencity zu mir: „Dafür, dass ihr immer sagt, dass ihr die Spiele nüchtern analysiert, schreist du aber ziemlich herum…“.
Unser HSV in Düsseldorf – eine persönliche Analyse.
(Disclaimer: Ich konnte am Freitag leider nur 50 Minuten live sehen – schlechtes Timemanagement von mir. Die zweite Hälfte erfolgte somit ohne Tweets und im Re-Live.)
Vor dem Spiel geht es direkt los. Aufstellung kommt und die belanglose Vorberichtserstattung wird ignoriert. Welches Personal läuft auf? Was wird wohl der Plan mit dem Personal sein?
Baumgart entschied sich also für eine sehr asymmetrische Anordnung mit Ball. Während van den Brempt tendenziell zunächst flach in der Kette im Aufbau blieb, schob Katterbach hoch. Benes besetzte den linken Halbraum, Reis sollte neben Meffert zwischen den Linien schwimmen und Pherai den zentralen 10er Raum hinter Glatzel halten. Jatta hielt weitestgehend die Breite. Die Fortuna konterte dies, wie wir bereits erwartet hatten mit einem tiefen 4-2-3-1, wobei zunächst hier wieder extrem mannorientiert im Mittelfeldpressing angelaufen wurde und die beiden Außenmittelfeldspieler die Außenverteidiger des HSV direkt unter Druck setzten.

Im Spiel zum Ballgewinn sollte konsequent hoch angelaufen werden, Pherai neben Glatzel rücken, mannbezogen offensiv und konsequent durchgeschoben werden. Der HSV lenkte dabei häufig auf die eigene rechte Seite, Jatta lief Oberdorf an, und van den Brempt schob bis auf Gavory vor.
Der HSV begann dabei gut und kam die ersten Minuten direkt in die Partie. Sowohl durch hohe Ballgewinne (5. Minute – Hadzi => Ball nach Außen, statt direkten Weg zur Mitte suchend) als auch durch die zentrale Überzahl wären Möglichkeiten da gewesen – wenn sie sauber durchgespielt worden wären:


Das Gesehene machte Mut. Denn es war erneut ein mutiger Ansatz, den Baumgart hier wählte. Er hinterließ bei mir sogar das Gefühl, er würde seine Spielerprofile richtig einbinden (Jatta breit, Zentrale Stärke). Und ja, auch als jemand, der analytisch auf das Spiel schaut, sind sofort die Emotionen der Hoffnung da und genauso gibt es laute Unmutsbekundungen, wenn Hadzi sich für den falschen Pass und Bobby für eine verunglückte Annahme entscheiden…
Doch dann kommt die 11. Minute. Ein ungenauer Pass Jattas führt zum Ballverlust. Da der Pass eine Verlagerung sein sollte, entscheidet sich der HSV aus meiner Sicht richtigerweise nicht direkt für das Gegenpressing, sondern verhindert die Passwege für das Umschaltspiel von F95 – mit Erfolg. Die Fortuna spielt hintenherum und der HSV läuft erneut hoch im 4-1-3-2 an, Rückpass zum Torwart und Kastenmeier schlägt mit seinem schwachen linken Fuß ne Kerze in Richtung Außenlinie. Dankbarer Ball – eigentlich. Van den Brempt konzentriert sich nur auf Tzollis und der Ball fliegt 50cm hinter ihm auf den Boden, wo Hadzikadunic nur mit Mühe den Zweikampf unkontrolliert gegen Daferner gewinnt. Das Rückzugverhalten beider 6er – Reis und Meffert – ist auch ok. Der Ball fällt leider nur genau in die Mitte von Ihnen und Tzollis geht auf und davon.

Danach verteidigt der HSV im Rückzugverhalten in einer ungeordneten Spielsituation die Sache eigentlich sehr gut. Van den Brempt, Schonlau und auch Katterbach schaffen es die Innenseite zu halten und den direkten Weg von Tzollis zum Tor zu verhindern. VdB stellt Tzollis und bietet ihm bewusst den Weg vom Tor an. Der Abstand, den er hier findet, ist für mich allerdings zu weit, sodass er nach dem Antritt von Tzollis diesen nicht bei der Hereingabe via Körperkontakt stören kann. Allenfalls ein Block wäre möglich, wobei vdB hier auch seinen gesamten Körper auch so auf die Hereingabe committet, dass er wohl auch bei einem Haken von Tzollis rausgewesen wäre.


Luft verschaffen durch das Analysieren des Gesehenen. Es hilft – macht mich dabei allerdings nicht unemotionaler. Was ich übrigens konkret meine mit der Positionierung von Noah Katterbach: Am Ende geht es in der Boxverteidigung beim HSV um Wahrscheinlichkeiten und auch hier gibt es Prinzipien. Von wo werden die meisten Tore erzielt? Welche Räume sind am einfachsten zu bespielen? Plus: Wo ist eigentlich der Gegner? Im ersten Bild oben ist noch alles gut. Katterbach hat eine gute Position zu Klaus, Schonlau markiert den Raum davor, Raab hat eine gute Position für einen Querpass vor dem Tor entlang und für einen Abschluss aus spitzem Winkel. In dem Moment wo Tzollis sich für den (gelenkten) Weg nach Außen entscheidet, rückt Schonlau korrekterweise in den Raum am kurzen Pfosten vor, Raab steht noch offensiver für einen flachen Cross, der Chipball über Raab rüber ist brutal schwer (und auch Mefferts Nachrückverhalten würde den wohl verhindern). Katterbach hingegen schafft es nicht in den einzig noch zu bespielenden Raum zu schieben (Viereck). Klaus erkennt den Raum und gönnt sich das Tor.

Nach dem 1:0 veränderter sich die gesamte Statik des Spiels. Der HSV lief an. Düsseldorf hielt seine Ordnung – nur immer tiefer und je näher man am Tor war in einer Art 4-1-4-1, wobei auch das durch die Mannorientierungen teilweise wie ein 6-3-1 anmutete. Danach sollte es einfach und schnell nach Ballgewinn und möglichst über Tzollis nach vorne gehen. Einer tiefergehende Analyse der Fortuna entfällt, weil aus meiner Sicht sinnlos an diesen Tag. Das war nichts besonderes…
Heyer (Rechtsfuß) nahm die Rolle von Katterbach ein und ein Bild begann, das man die gesamte 1. Halbzeit sehen sollte: Der HSV spielt in U- Form, wie beim Handball um den tiefen Block der Fortuna herum, irgendwann wird ein Ball von einem Achter auf einen Außenverteidiger – oder von einem Außenverteidiger auf Benes / Pherai nach Außen gespielt und dann kommt eine Flanke in einen statischen Block hinein, welche für jeden IV der Welt ein Genuss zum klären ist. Unmut machte sich auf Twitter breit – auch bei mir:

In dieser Phase war es auch, dass der HSV mit 6-7 Leuten so tief stand, dass die Fortunen sich einen entspannten Abend machen konnten. Die IVs standen zu eng. Benes geht hier auch noch tief und ist damit der 6te Spieler den der HSV aufwendet, um 2 Fortunen zu überspielen. Wurde in den ersten 10-15 Minuten noch vermehrt ein zentrales Tief-Klatsch gesucht, folgte in dieser Phase jedem Ball in die Mitte ein Ball nach Außen – das U, die (schlechte) Flanke, die Klärung.
Aber ich wäre ja nicht Fan, wenn mich nicht Kleinigkeiten wieder anzünden könnten. So auch Geschehen ab Minute 30 nach den Abschlussmöglichkeiten von Glatzel und Benes im 16er:
In dieser Phase gelang es sogar immer wieder den Ball auch mal schneller über die Zentrale zu verlagern. Das Bild von Oben im Aufbau wurde seltener. Benes und Reis machten immer wieder Tiefenläufe in den 16er. Pherai kam durch die mittlerweile schon bekannten Wechselbewegungen mit dem eingerückten Jatta auf rechts zu Durchbrüchen. Jeder verlorene Ball wurde direkt wieder aufgesammelt. Der HSV entwickelte Wucht – nur erneut ohne richtige Entscheidungen. In folgender Szene verlagert man den Ball schnell über das Zentrum auf Heyer, Glatzel und Benes ziehen vier Gegenspieler. DAS sind Situationen in denen man Flanken sollte – bitte beachtet die netten drei Herren in Hellblau im hinteren Teil der Box (In der Szene spielt Heyer übrigens einen Rückpass und nach 2 Minuten U-Gespiele geht der Ball ins Toraus. Nach einer verunglückten Flanke in die Statik der Fortuna herein…).

Sogar hohe Balleroberungen konnte man in dieser Phase des Spiels verbuchen. Wie damit aber umgegangen wurde (Entscheidungsfindung?), machte auch mich verrückt:



Und so war Halbzeit und ich musste leider los. Dennoch war ich hoffnungsvoll. Ein wenig mehr Mut das Zentrum zu bespielen. Die Flanken finden, wenn der Gegner in einer dynamischen Schiebebewegung ist. Das Personal zwischen den Linien finden und die Elemente nutzen, die bereits zu sehen waren, nur genauer und schneller: Spiel über Dritten, Wechselbewegungen. Dafür ggf. noch Personal verändern. Ransi für mehr Tiefenläufe, Annsi Suhonen für bessere Positionen im Halbraum?
Dazu endlich weiter konsequente Tiefenläufe in die Box hinein und das am Anfang und am Ende der Halbzeit gezeigte Anlaufen & Gegenpressing beibehalten. Denn letzteres war zwar da, jedoch in den ganz schlimmen Minuten 10-30 gerade im Gegenpressingimpuls (also der Handlungsschnelligkeit nach Ballverlust) zu langsam, als das man zu hohen Ballgewinnen hätte kommen können.
Heute, am Montagabend gehen folgt nun die 2. Halbzeit.
Personell unverändert kommt der HSV aus der Halbzeit, strukturell jedoch zumindest in der Anordnung angepasst. Der invers spielende Heyer hatte es in der hohen (linearen) Rolle schwer. Baumgart passte das an, behielt seine Asymmetrie aber bei. VdB schob nun hoch und Jatta agierte links in der Breite als inverser Außen – und war dort mal wieder verloren. Baka hat offensichtliche Schwächen in der Technik. Seine größte Schwäche ist für mich aber die Entscheidungsfindung mit und ohne Ball. Als Coach will ich seine Qualitäten hervorheben und nicht seine Schwächen präsentieren. Hier beging Baumgart aus meiner Sicht einen Fehler. Die Asymmetrie der Seiten zu wechseln war gut, das Personal beizubehalten nicht – Suhonen, Okugawa oder auch Ransi wäre hier meine Wahl gewesen.

Und dennoch kam der HSV verbessert aus der Halbzeit. Immer dann wenn Glatzel wie in der Abbildung die tiefe pinnte, fanden Benes und Pherai die Räumen zwischen den Linien und sorgten somit für Stress bei Düsseldorf – für 5 Minuten und für genau zwei Abschlüsse, dann der völlig unnötige Platzverweis von Heyer. Der HSV ordnete sich danach gegen den Ball in einem 4-3-2 an, Jatta rückte in die Kette. Mit Ball half Meffert zunächst beim Auflösen der ersten Reihe, indem er zwischen die IV abkippte.

Das klappte übrigens gar nicht schlecht – wenngleich die Fortunen, rund um Tanaka nun in Überzahl gegen das Anlaufen des HSV immer wieder spielerische Lösungen fanden. Mit dem Wechsel von Ransi für Reis veränderte Baumgart die Struktur dahingehend, dass er das Zentrum ausdünnte. Bei Düsseldorf veränderte Thioune nur das Personal der offensiven Reihe, die Struktur blieb gleich.

Pherai half nun Meffert in der „Reisrolle“ zwischen den Linien. Bei Jatta und RYK suchte Ransi die Räume, die Jatta nicht belief, wobei das unnötige 2:0 dann natürlich das Spiel tötete. Interessant waren für mich die Rollen nach den diversen Ein-und Auswechslungen. Benes und Suhonen agierten flexibel auf der tiefen 6. Jatta gab die Schiene, RYK auf links ebenso. Öztunali spielte einen rechten Außenstürmer.

Jatta agierte in der Rolle plötzlich besser bzw. „natürlicher“, Suhonen wirkte agil und Benes in der schwimmenden Rolle mit seinem Passspiel durchaus geeignet. Anders als die Ballträger Reis und Pherai positioniert er sich meist besser, um den Ball in offener Stellung direkt weiterspielen zu können. Nur wurde auch hier wieder deutlich: Es reicht nicht nur die 1. Linie zu überspielen, wenn du kein Personal dafür hast, die zweite zu überspielen.
Am Ende steht also ein 2:0, wir haben keine Linksverteidiger mehr und müssen auf Muheim hoffen – oder Oliviera die nächste Chance geben.
Grundsätzlich erkenne ich immer mehr Elemente des zentralen Spiels von Baumgart (Tief-Klatsch, Spiel über Dritte…). Dennoch machen individuelle Ungenauigkeiten, mangelnde Breite und Statik – mit und ohne Ball – sowie eine Vielzahl von falschen Entscheidungen den HSV am Freitag über weite Strecken erneut zahnlos. Auch ist die Raumbesetzung derzeit noch alles andere als optimal.
Und auch über das Coaching müssen wir reden. Die Anpassungen von Baumgart machten für mich wenig Sinn. Jattas inverse Rolle habe ich bereits oben ausgeführt. Dass Baumgart dann aber in Unterzahl RYK für Reis bringt, machte für mich noch viel weniger Sinn. Er dünnt damit das Zentrum aus und zwingt Jatta noch viel mehr in die Halbräume, wo er Entscheidungen treffen muss. Jatta auf der einen und vdB auf der anderen Seite sind die Spieler, die auch als Schienenspieler eine komplette Seite beackern können – wenn ich in Unterzahl bin, dann hätte ich mich für diese Lösung entschieden und nicht das Zentrum geschwächt. Will ich mich direkt und schnell flach durchs Zentrum kombinieren (und scheinbar will Baumgart dies ja), brauche ich auch entsprechende Strukturen im Positionsspiel – und nicht, wie auch in den letzten 20 Minuten, drei Spieler hoch zentral auf der letzten Linie (Öztunali, Glatzel, Nemeth). Das würde dann eher nach Gewaltfußball schreien… Es bleibt, dass der Fan enttäuscht ist.
Wie kann es denn besser werden um nicht erneut am Sonntag an einem tiefen Block zu zerschellen? Das zu klären hat sich Daniel auf die Fahne geschrieben… bleibt also gespannt. 😉
Persönliches Fazit: Diese etwas andere Analyse – insbesondere zur 1. Halbzeit – sollte den Sinn haben zu zeigen, dass die einleitenden Fragen dieses Posts wahrscheinlich berechtigt aber einfach zu beantworten sind.
Die schnelle – versucht objektive – Analyse nimmt sofort ein wenig die negativen Emotionen raus. Ich suche Erklärungen warum wieso weshalb, ohne dabei in ein unnötiges Bashing abzudriften. Wenn jemand der Jungs Fehler macht oder schlecht spielt, macht das ja auch niemand absichtlich. Und natürlich bin ich Fan, das kann man eigentlich in jedem meiner Tweets herauslesen. Ich freue mich auf der Tribüne jedes Mal wie ein kleines Kind, wenn der HSV ein Tor schießt – und damit kommen wir jetzt zu dem eigentlichen (egoistischen) Benefit, den mir dieser Blog und die Art und Weise des Fußballguckens bringen.
1. Ich bilde mir ein, dass ich ein wenig was davon verstehe, was dort eigtl. aufm Platz abläuft und das ist ein schönes Gefühl. Ich muss mich nicht in Scheindebatten über Mentalität oder „mal richtig den Arsch aufreißen“ flüchten, sondern kann versuchen die Probleme an mangelnden Tiefenläufen oder langsamen Gegenpressingimpulsen festzumachen. Das nimmt blinden Hass. 😉
2. Bei negativen Erlebnissen gehe ich direkt ins „warum“ und muss mich nicht ewig lange darüber ärgern, dass es passierte – ohne mir die Freude bei Toren oder geilen Aktionen zu nehmen.
3. Ich hoffe damit andere Leute anzustecken, dass sie ggf. einen gewissen nüchternen Blick auf Negativerlebnisse kriegen, diese auch einordnen und nicht blindlings auf etwas draufhauen – denn das bringt aus unserer Sicht hier bei Rautenball wenig!