Es war wie ein Schlag in die Fresse. Nach dem verlorenen Auswärtsspiel bei Fortuna Düsseldorf fühlte es sich an wie immer in Hamburg wenn der Frühling kommt. Das Gefühl eines möglichen Nichtaufstiegs macht sich breit. Gepaart mit einer großen Portion Resignation und unendlicher Enttäuschung, dass es wohl maximal die Relegation wird in dieser Saison. Wenn überhaupt.
Auch die Konkurrenz tat ihr mögliches um den HSV wohlmöglich schon im März ein großes Stück näher Richtung Abgrund zu drücken. Düsseldorf zeigte eindrücklich, dass man sich auch gegen den Tabellenletzten hinten reinstellen kann und dabei trotzdem 4 Tore schießen kann. Der FC St. Pauli dominierte und auch Kiel lies sich nichts von einer Angst vor dem Aufstieg anmerken. Lediglich Hannover 96 kam zuhause gegen den 1.FC Kaiserslautern nicht über einen Punkt hinaus.
Der Druck für den HSV war noch größer als sowieso schon. 13 Punkte auf den Spitzenreiter, 8 auf Kiel und Fortuna Düsseldorf konnte vorübergehend an dem HSV vorbei ziehen.
Zudem klagten den HSV in der Trainingswoche durchaus Personalsorgen. Bei Jean-Luc Dompé war schon recht früh klar, dass es nicht für das Spiel am Sonntag reichen werde. Auf der Kippe standen auch beide Außenverteidiger van der Brempt und Muheim. Bei Miro hat es gereicht, bei van der Brempt war nach dem Abschlusstraining klar, dass er ausfallen wird. Die Personaltrommel wurde ordentlich gedreht. Eigentlicher Ersatz-Rechtsverteidiger Mikelbrencis steht bei Trainer Baumgart laut Medienberichten nicht hoch im Kurs und auch Nico Kisilowski-Oliviera ist wohl nicht die Wunschlösung Baumgarts auf der Rechtsverteidigerposition. Umso überraschter war Fußball Hamburg als die Aufstellung publik wurde. Was ist es Jatta oder Öztunali als Rechtsverteidiger? Eine 3er Kette? Es dauerte wohl keine 60 Sekunden um den Plan von Baumgart im Spiel zu erkennen.
Im Spiel mit Ball rückte Ludovit Reis von der Rechtsverteidigerposition in die Zentrale / rechten Halbraum neben Jonas Meffert. Die beiden Innenverteidiger und Miro Muheim agierten tief. Es ergab sich je nach Position von Miro Muheim ein 3-2 oder ein 2-2 Aufbau.
Öztunali und Jatta waren als Schienenspieler aktiv. Glatzel pinnte oft in letzter Linie, kippte aber auch oft in tiefere Zonen ab. Spannend waren neben Reis’ inversem Einrücken die Positionierungen von Benes und Pherai. Gerade der Slowake verließ oft seine Position im eigentlichen linken Halbraum und überlud die rechte Seite. Meist orientierte er sich linear oder leicht “rechts verschoben” zu Robert Glatzel. Pherai trieb zwischen den Linien sein Unwesen und war in seinem Positionsspiel etwas breiter als Teamkollege Benes. Teils schob er bis in die Breite hinaus, wenn Jatta den Wiesbadener LAV tief pinnen konnte. Vorteil davon ist, dass der HSV in diesen Zonen und speziell durch Benes’ Überladen oft in Überzahlen agierte. Orientierte sich Wehens Kovacevic nicht an Jonas Meffert sondern eher am Anlaufen von Hadzikadunic, resultierte das in einer Überzahl im Mittelfeld. Wehen agierte zwar extrem mannorientiert und füllte gerade in tieferen Zonen in diesen Zonen durch vorwärtsverteidigende Innenverteidiger auf, allerdings schob Vukotic nicht konsequent mit Pherai hoch in die Breite. Oft konnte der Holländer dann ohne Druck den Pass von Hadzikadunic erhalten.
Diese Überladungen zwingen die Hessen zudem in defensive Entscheidungen, speziell wenn der HSV mal in höheren Zonen agieren konnte. Kurz vor der Halbzeit schiebt wieder Benes in den rechten Halbraum hinüber. Vukotic muss daraufhin den freien Benes attackieren. Den Raum hinter dem rausrückenden Innenverteidiger erkennt Pherai und attackiert ihn sofort. Benes handelt ähnlich handlungsschnell und bringt Pherai in die Situation.
Ein weiterer Vorteil dieses extremen Überladen ist, dass man den Wiesbadener 2-3 Block durch ihre Mannorientierungen fast komplett auf eine Seite ziehen konnte und so die gesamte linke HSV Seite öffnete. Mal verlagert war der Schweizer meist komplett frei im mittleren Drittel.
In diesem Wiesbadener Man-to-Man gingen gerade bei den horizontalen Verschiebungen durchaus mal die Manndeckungen verloren. Speziell Benes konnte nach horizontalem Rüberschieben oft frei receiven. In diesen Situationen wurde Muheim dann oft von der rechten 8 Heußer attackiert, allerdings war der Raum hinter Heußer komplett frei und unbesetzt. Benes machte sich den Raum zu Nutzen. Mockenhaupt musste dann Benes attackieren und öffnete den Raum zwischen ihm und Rechtsaußenverteidiger Doppel. Situativ fand Benes in diesen Szenen Öztunali in der Tiefe, allerdings ohne großartig Erfolg zu haben.
Aus einer ähnlichen Situation fällt auch das 1:0 durch Muheim. Nach erneutem Überladen auf der rechten Seite, kann Miro Muheim den Ball relativ tief für seine Verhältnisse empfangen. Mockenhaupt reagiert dann auf den freien Muheim und rückt leicht vor. Muheim zieht ab, Mockenhaupt fälscht ab. 1:0 HSV.
Man konnte dem HSV wenig vorwerfen. Gegen diesen massiven Wiesbadener Block war es klar, dass man auch trotz gutem Gameplan Geduld mitbringen muss. Man konnte den Block vor der Kette zwar gut verschieben, allerdings war die Absicherung durch die Kette immer noch gegeben. Der HSV konnte gerade aus den 1v1 Situationen am Flügel kein Kapital schlagen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die anfängliche Anordnung des Mittelfeld-Quartetts um Meffert, Reis, Benes und Pherai. Diese war zunächst nicht immer ideal. Zu oft stand man zu linear zueinander, welches jedes diagonal progressive Spiel etwas erschwerte.
Aber auch hier verbesserte der HSV sich kontinuierlich. Mannschaftstaktisch war das durchaus ansehnlich, was der HSV gerade gegen Ende der ersten Halbzeit auf den Rasen brachte. Pherai besetzt den freien Raum hinter Günther, der Jatta anlaufen muss.
In dieser Situationen findet Jatta erst Benes, dieser verlagert dann über Meffert in die Tiefe. Meffert hat dann sogar mehrere Optionen, durch Glatzels Abkippen dann sogar noch eine Mehr, für welche er sich am Ende auch entscheidet. Der HSV kommt so in die Dynamik gegen diesen tiefen Wiesbadener Block. Der HSV scheitert in dieser Halbzeit dann mehr an sich selbst. Speziell die Passqualität ist oft nicht gut genug, sodass Wiesbaden oft noch ein Bein in die Aktion bekommt. Gleiches gilt für Umschaltmomente. Die brutal tieftauchenden HSV Außen werden oft nicht gefunden oder wie bei Benes in Minute 19 viel zu spät, während Jatta schon ein paar Sekunden im Abseits steht.
Gegen den Ball waren es die Baumgart-typischen Prinzipien und Strukturen. Der HSV agierte in einer Art 4132. Glatzel, Pherai und Öztunali liefen die erste Wiesbadener Aufbaulinie an. Speziell Öztunali agierte dort aus einer etwas zentraleren Position heraus. Sein Gegenüber Jatta agierte etwas tiefer und orientierte sich meist an 8er Kade. Benes lief den tiefen 6er im Wehen Aufbau an, dahinter orientierte sich Meffert meist an Robin Heußer. Die beiden Stürmer Kovacevic und Prtajin agierten sehr nah beieinander um nach langen Bällen über eine Verlängerung in die Tiefe zu kommen. Diese HSV Struktur zog sich über den gesamten Platz in der ersten Hälfte. Das Anlaufen war gut, sodass man Wehen oft im zweiten oder dritten Ball schon in den langen Ball gezwungen hat. Den Wiesbadener Vorteil, dass Goppel und Günther auf der Schiene meist komplett frei waren, konnte man nie nutzen, da es eigentlich nur über lange Bälle nach vorne ging.
Mit zunehmender Spielzeit und speziell in Halbzeit 2 veränderte sich die Wiesbadener Struktur im Aufbau. Mockenhaupt agierte hier eher in der Rolle eines klassischen, flachen Rechtsverteidiger. Goppel schob in der Schiene weiter vor. Am Wiesbadener Spiel veränderte das aber recht wenig. Man schlug viele ungenaue lange Bälle, die der HSV solide wegverteidigen konnte. Die einzigen Probleme, die der HSV gegen den Ball hatte, waren neben eigenen individuellen Fehlern (Chance Heußer) der fehlende Druck auf die ballführenden Mittelfeldspieler nach Ballgewinn in HSV-Hälfte. Nach 5 Minuten kann wieder Heußer ohne Gegnerdruck auf die HSV-Kette dribbeln, dies blieb aber unbestraft.
Ansonsten hatte der HSV mit zunehmender Spielzeit auch durchaus gute Momente im Gegenpressing, auch hier scheiterte der HSV an sich selbst mit verschleppten Dribblings oder unsauberen Pässen.
In Halbzeit 2 spielte man als HSV gegen einen anderen Gegner. Wiesbaden kam grundverändert aus der Kabine. Statt weiter in ihrem 532 zu agieren machte man nun auch gegen den Ball den Wechsel zu einer 4er Kette. Zudem lief man jetzt sehr hoch an.
Kovacevic, Prtajin und Goppel agierten in der ersten Defensivlinie, allerdings agierte der Rechtsaußen meist aus einer tieferen Position heraus, sodass es strukturell am ehesten in einem 4132 anzuordnen ist. Wiesbaden machte in den ersten Minuten einen mehr als soliden Job den HSV anzulaufen. So schaffte man es oft das Spiel auf Hadzikadunic zu lenken und auf der rechten Seite auch die Optionen zu nehmen. Es resultierten viele lange Bälle und schnelle Ballverluste beim HSV.
Allerdings fand der HSV auch dagegen einfache Lösungen um sich situativ aus der Wiesbadener Umklammerung zu befreien. Die Aggressivität im Anlaufen hörte in der letzten Linie auf. Kippte Jatta situativ mal ab, verfolgte Günther ihn nicht immer konsequent. Leider wurde aus dem TV-Bild nicht immer ersichtlich, ob dass ggf. etwas mit einer breiteren Position von Pherai zu tun hat.
Auf jeden Fall gab es die ein oder andere Situation in der Bakery Jatta etwas tiefer auf der Schiene die Verbindung zu Hadzikadunic herstellen konnte. Durch Günthers zaghaftes Vorwärtsverteidigen musste Bätzner leicht reagieren, sodass sich Reis in Bätzners Rücken für einen Doppelpass anbieten konnte. In Minute 54 rettet sich Wehen hier mit einem Foul an Jatta, der Ansatz war dennoch vielversprechend.
Variante 2 war ein tiefes Herauskippen von Pherai. Hadzikadunic wird erneut durch das Anlaufen von Kovacevic in Richtung rechte HSV Schiene gedrückt. Jatta pinnt in der Szene Günther etwas tiefer, sodass auch durch Reis’ tiefe Position ein riesiges Loch auf der rechten HSV Seite entsteht. Pherai fällt in den Raum hinein und wird erst mit seinem ersten Ballkontakt von Bätzner (hier als Kade dargestellt) und Vukotic unter Druck gesetzt, was am Ende in einem schlechten langen Ball in Richtung Glatzel resultiert.
In den Folgesituation wurden die Zuordnung chaotischer und die Löcher in der Wiesbadener Hintermannschaft immer größer. Nach Ballgewinn HSV liegt der Fokus von Wiesbaden wieder auf Anlaufen der ersten Linie. Problematisch nur, dass der HSV wieder mal in der Zentrale ohne selbst etwas zu erzeugen eine Überzahl hat. Meffert ist in der Zentrale komplett frei und wird auch von keinem Deckungsschatten aus dem Spiel genommen, da Wiesbaden aus höheren Zonen sehr linear angelaufen ist. Der Pass auf Meffert stellt andere Wiesbadener Akteure vor Entscheidungen: Attackieren oder gewähren lassen. Man entscheidet sich sehr häufig für ersteres.
Das was danach in der Wiesbadener Hälfte rund um die Positionsfindung von Benes passiert ist absolut klasse. Dieser schafft es permanent sich im richtigen Moment zu lösen und findet in Breite und Höhe oft genau die richtige Position um für die Anbindung in die nächste Linie zu sorgen. Wer Zeit & Lust hat, sollte sich die zweite Hälfte nochmal anschauen und mal darauf achten wie genial sich Benes in Umschaltmomenten und im eigenen Ballbesitz bewegt. Es macht richtig Spaß zuzuschauen!
Offensiv kam Wehen aber trotzdem besser ins Spiel. Dies lässt sich auch an Statistiken festmachen. Der HSV hat auffällig häufig Duelle um zweite Bälle in Halbzeit 2 verloren. Auch schaffte es Prtajin viel besser die langen Bälle in höheren Zonen festzumachen.
Satte 53% der langen Bälle waren zielgenau in Halbzeit 2, in Halbzeit 1 waren dies nur 30%. Auch in der Zweikampfquote lässt sich Wehens physischere Spiel aufzeigen. Insgesamt gingen 59% der Duelle in Richtung Wiesbaden. Davon 57% am Boden und 67% in der Luft.
Auch zeigten die beiden besten Wiesbadener Fußballer, Mathisen und Heußer, oftmals ihre Klasse. Mathisen spielte durchaus gute eröffnende Bälle und fand ironischerweise oft den hier schon so oft genannten Heußer. Dieser schaffte es meist mit einer Bewegung das HSV-Pressing auszuhebeln und konnte dann oft ohne Druck aufziehen und verlagern. Mit Ballbesitz besetzte Wiesbaden meist mit mindestens 4 Spielern die letzte Linie und stretchte so die gesamte Breite des Spielfeldes.
Der HSV versäumte in der Folge das Spiel endgültig zu killen. Die Umschaltmomente spielte man oft zu unsauber zu Ende. Speziell Robert Glatzel machte hier oftmals den Eindruck, dass er mit dem Kopf durch die Wand rennen will und verpasste häufig den richtigen Moment zum Abspielen oder Versiebte den Steilpass gehörig.
Es sollte egal sein: Der HSV zeigte wirklich eine sehr ordentliche Leistung gegen das Betonwerk Wiesbaden. Die Ansätze und Lösungen mit Ball waren gut. Mit etwas mehr Glück und Präzision ist dieses Spiel schon in Halbzeit 1 entschieden.
Mit Blick auf die nächsten Gegner wirkt diese Idee mit einem einrückenden Außenverteidiger durchaus gut. Speziell Fürths lineares, zögerliches Anlaufen könnte man so durchaus bestrafen. Aber das ist dann Thema für die kommende Woche.