WADA, Wade und Wintertransfers – eine Analyse von Jonas Boldts Transferhistorie

Beim Fußball zu meckern ist immer irgendwie einfach. „Wieso schießt er da?“, „Spiel doch ab“ oder „was gehst du da rauf“ sind alles Sätze die höchstwahrscheinlich im Verlauf der Saison, wenn nicht sogar über ein Spiel, über seinen Lieblingsverein fallen.

Das gleiche gilt auch für Dinge, die nicht unbedingt auf dem Rasen passieren oder passiert sind. „Wieso wirft er den Trainer nicht jetzt raus?“ oder „wieso hat der keinen Innenverteidiger geholt?“. Speziell die beiden Sätze oder Fragen sind absolute Evergreens beim HSV. Sei es durch mediale Berichterstattung oder eben der geglaubte allgemeine Ton in sozialen Netzwerken.

Sich über genau die Dinge zu beschweren, mag auf dem ersten Blick mehr als berechtigt sein. Platz 3 ist trotz des Sieges in Braunschweig in weiter Ferne, der Stadtrivale kann selbst bei einer Niederlage im Volksparkstadion aufsteigen und es droht ein weiteres Jahr Unterhaus, während es Kiel und Pauli wahrscheinlich mit viel weniger Mitteln schaffen.

Allerdings geht bei dem ganzen Geschrei und Fordern von Köpfen die inhaltliche Debatte verloren, denn es gibt einen Grund, dass Jonas jahrelang bei HSV-Fans so hoch angesehen war, wie schon lange kein Sportchef mehr in Hamburg. Diese Recency-Bias ist im Fußball wahrscheinlich das Normalste auf Erden, allerdings ist sie meines Erachtens nach nicht immer auch ganz sinnvoll.

Wie waren also die letzten 5 Jahre Boldt mit Blick auf die Spielerpolitik? Ist jede Kritik zu 100% berechtigt, oder sollte man vielleicht doch mit gewissen Aussagen nicht zu schnell urteilen über die Arbeit von Jonas Boldt beim HSV? Wir haben mal einen Blick genauer hingesehen.

Die Ladenhüter – Saison 2019 / 2020

Mai 2019. Platz 4. Das erste Jahr zweite Liga endete für den HSV enttäuschend. Nachdem erst Hannes Wolf gehen muss, wird auch ein paar Tage später Ralf Becker vom Aufsichtsrat abberufen. Und Jonas Boldt wird installiert. Das ist nun fast genau 5 Jahre her.

Geprägt ist der Kader des HSV in diesem Jahr allerdings immer noch Erstliga-Altlasten. Aaron Hunt verdiente wohl siebenstellig, genauso wie Innenverteidiger Papadopulos, der laut Sportbuzzer sogar über 2 Millionen im Jahr verdiente. Auch Bobby Wood lies sich einen Einsatz beim HSV so richtig gut bezahlen. So berichtete die SportBild von sage und schreibe 3 Millionen pro Jahr. Auch stand für die Kaderplanung dieses Jahres schon einiges fest. David Kinsombis Transfer über 3 Millionen Euro steht schon im April fest. Das gleiche gilt für Jan Gyamerah und Jeremy Dudziak, die allerdings ablösefrei zum HSV kommen. Bei Heuer-Fernandes könnte man aufgrund des Datums wohl ebenfalls davon ausgehen, dass dies noch kein klarer Boldt-Transfer war. Das gleiche gilt wohl auch für den Transfer von Lukas Hinterseer.

Auch wurden die 1,5 Millionen für Berkay Özcan aufgrund seiner bindenden Kaufoption in dieser Transferperiode fällig. Dieser verließ den HSV allerdings wieder prompt mit einer Leihe in die Türkei.

Auf der Boldt Seite der Transfers stehen in diesem Jahr dann effektiv Xavier Amaechi (2.5 Millionen €), Ewerton (2,00 Millionen), Tim Leibold (1,80 Millionen €), Timo Letschert (10,000 €), Sonny Kittel (ablösefrei), Martin Harnik (Leihe) und Adrian Fein (Leihe). Im Winter kamen dann noch Louis Schaub (Leihe), Jordan Beyer (Leihe) und Joel Pohjanpalo (Leihe) dazu.

Betrachtet man nun nur die Boldt Transfers, so wirkt es so als gäbe es sportlich nur das ein oder andere Extrem. Amaechi und Ewerton sind zweifelsfrei die größten Flops in der Ära Boldt. Dass Amaechi als Talent und damals 18-Jähriger nie an die Erwartungen an ihn erfüllte, hat sicher viele Gründe seien es die Trainerwechsel oder seine unzähligen kleinen Verletzungen. Dass er die Anlagen hat, hat er oft genug in Ansätzen aufblicken lassen. Für mehr hat es am Ende leider trotzdem nicht gereicht. Allerdings ist dies wohl bei solchen Transfers immer ein gewisses Risiko dabei. Fehlende Reife oder Risiko Talent kann man von Ewerton sicher nicht mehr behaupten. Der damals 30-Jährige fiel in Hamburg nur durch Verletzungen, Trainingsrückstand und durch sein Fehlen im Kader auf. Sportlich kann ich zu ihm leider absolut nichts sagen, da die Eindrücke mit 5 Einsätzen und 199 Spielminuten absolut minimal ausfielen.

Auf der durchaus positiven Seite stehen hier ganz klar Kittel, Leibold und Adrian Fein. Kittel und Leibold waren speziell in der Saison 19/20 gefühlt fast eigenständig für den Erfolg des HSV verantwortlich. Leibold rockte die Liga mit 16 Assists und Kittel war mit seinen 18 Scorern nicht mehr aus dem HSV wegzudenken. Adrian Fein wusste ebenfalls von Beginn zu begeistern. Als Quarterback vor der Abwehr wollte der ein oder HSVer den U21 Nationalspieler am liebsten schon für die nächsten Jahre verpflichten.

Unter dem Strich stehen die Extreme dann wirklich gegenüber, auch wenn es finanziell auf lange Sicht sicherlich weh getan hat, dass man für Amaechi und Ewerton fast 5 Millionen € überweisen musste. Aber bedenkt man, wie wichtig speziell Leibold und Kittel in den kommenden Jahren wurden, überwiegt für mich hier dennoch leicht das Positive. Auch die Pohjanpalo Leihe ist absolut positiv zu bewerten. 9 Tore in 14 Spielen für einen Wintertransfer kann sich durchaus sehen lassen. Alle weiteren Zugänge würde ich hier nicht unter Flop und Top einordnen wollen, da sie durch Leihgeschäfte oder geringe oder gar keine finanziellen Ablösesummen, im Risiko absolut überschaubar waren. Schaut man allerdings heute, wo sie gelandet sind, dann muss man auch hier zugeben müssen, dass das Potential bei vielen absolut da war. Jordan Beyers Marktwert steht heute bei 16 Millionen € und auch Louis Schaub ist sicherlich ein klasse Fußballer.

Wirft man noch einen Blick auf die Abgänge so fallen einem sofort die großen Transfers von Santos (14 Millionen €), Kostic (6,3 Millionen €) und Arp (3 Millionen €) auf. Allerdings standen diese bis auf den Santos Deal schon vorher fest. des Weiteren verlies Ito (1,5 Millionen €), Sakai (500tsd €) und Pfeiffer (250tsd €) den Verein für Ablösesummen.

Die auslaufenden Verträge von Holtby und Lasogga fallen ebenso nicht mehr unter das Zepter von Jonas Boldt.

Ob die Corona Pause dem HSV hier mehr geschadet als genutzt hat ist absolut spekulativ. Oder anders ausgedrückt: Ob es diese sportliche Krise gefüllt mit Last Minute Gegentreffern nicht auch ohne eine Pandemie hätte geben können ist rein spekulativ. Tatsache ist jedoch, dass das erste Jahr Boldt wahrscheinlich nie ein 100 % Boldt Jahr war. Trainer Hecking war wohl vor Boldt schon in der Pipeline Trainer beim HSV in dieser Saison zu werden. Hinzu kommen etliche Transfers, die er in einer Woche sicher nicht hätte alleine abwickeln können. Das erste Jahr Boldt war sicher ein Übergangsjahr. Mit Höhen und Tiefen, allerdings auch geprägt mit finanziellen Altlasten seiner Vorgänger.

Was ebenfalls absolut zu erwähnen ist, ist die Art wie Jonas Boldt sich schon damals hinter seine Spieler stellt. Nämlich hinter einem ganz spezifisch: Bakery Jatta. Nach den absolut irren Protesten aus Karlsruhe, Bochum und Co. agiert Jonas Boldt agiert als Kapitän dieses Vereins und es sollte lang ein langer Weg sein, bis die Dreckskampagne gegen den HSVer endlich durch sein sollte.

(In blau neue Spieler in dieser Saison).

Mit Erfahrung und Pädagogik zum Ziel – Saison 2020 / 2021

Die Richtung in die es für Jonas Boldt und den HSV in der kommenden Saison ging ist klar erkennbar. Erfahrung, wenig finanzielles Risiko und das weitere Reduzieren von Altlasten und Beenden von Missverständnissen.

Nach dem Aus von Dieter Hecking übernimmt Daniel Thioune das Ruder an der Elbe. Der HSV zahlt Osnabrück laut Medienberichten ca. 300.000€ für den Trainer.

Zusätzlich führt der HSV eine Gehaltsobergrenze ein. Die Zeiten von Millionen Gehältern im Volkspark waren damit offiziell vorbei. Zusätzlich erschwerend war das finanzielle Corona Loch. Infolge dessen musste der HSV seinen Etat drastisch von 30 Millionen € auf 23 Millionen € senken.

Und auch beim Hauptsponsor musste der HSV in dieser Zeit Abstriche. Langjähriger Partner Emirates verlängerte den Vertrag nicht über den Sommer hinaus und neuer Hauptsponsor wurde Orthomol.

All diese Nebenschauplätze erschwerten die Kaderplanung für die Saison 2020 / 2021. Der HSV konnte sich aber durch einige Transfers etwas finanzielle Luft verschaffen. Man verkaufte Berkay Özcan für 2.5 Millionen € in die Türkei. Man trennte sich von den Altlasten Wood, Pollersbeck und Papadopoulos. Und auch die Missverständnisse mit Hinterseer, Ewerton, Jairo Samperio und Christoph Moritz wurden korrigiert. Dies brachte zwar nicht unbedingt viel Spielraum um große Ablösesummen zu stemmen, es verschaffte dem HSV aber wahrscheinlich die nötige Luft zum atmen.

Das Transferergebnis kann man in diesem Jahr wohl als „Erfahrung für Lau“ betiteln. Es kamen Klaus Gjasula, Simon Terodde, Toni Leistner und Sven Ulreich allesamt ablösefrei zum HSV. Ebenfalls ablösefrei kam der inzwischen weltbekannte Amadou Onana aus der U19 von TSG Hoffenheim. Eine Ablöse zahlte man nur für den Moritz Heyer, den Trainer Thioune mit aus Osnabrück gebracht hat.

Sportlich ging es für Thioune und Boldt damals furios in die Saison. 5 Siege aus 5 Spielen, erste Saisonniederlage im November gegen den späteren Aufsteiger aus Bochum, Herbstmeister mit 3 Punkten Vorsprung. Es wirkte für eine gewisse Zeit wie das perfekte Match zwischen Thioune und dem HSV.

Mit der Rückrunde und speziell nach dem 26. Spieltag ging es aber bergab. Es folgten 5 Spiele und kein Sieg, nur noch Platz 4 und 1 Punkt Rückstand nachdem Kiel noch 2 Nachhol-Corona-Spiele bestreiten muss. Hrubesch folgt auf Thioune. Dass es so in die andere Richtung geht, hat in Hamburg wohl niemand für möglich gehalten. Speziell nach dem furiosen Start in die Saison. Allerdings ist die Wahrheit eben auch, dass man in den verbliebenen 26 Spielen nur 1,38 Punkte pro Spiel holte. Zu wenig für die Ziele des HSV.

Aber was steht auf der Personaltafel? Die Personalien Thioune ist gescheitert beim HSV. Mit Simon Teroddes Corona Infektion ging es auch für den HSV bergab. Er traf in keinem weiteren Spiel mehr nach seiner Krankheit unter Thioune. Vielleicht kann man Boldt hier vorwerfen, dass der Kader damals eben kein gleichwertiger Ersatz für Terodde im Kader war. Was aber bis heute ein Fragezeichen bleiben wird, was hatte der HSV überhaupt für Mittel zur Verfügung um sich aus dieser „Abhängigkeit“ zu befreien. Man kann wohl ziemlich sicher davon ausgehen, dass während der Pandemie, mit einem neuen Hauptsponsor und einer beginnenden Gehaltsobergrenze nicht unbedingt stetig Geld gedruckt wurde am Volkspark. Wahrscheinlich ganz im Gegenteil, sonst wäre für den Kader wohl mehr drin gewesen als 650,000 € für Moritz Heyer und Spieler ohne Ablösesumme.

Fehlende Puzzleteile – Saison 2021 / 2022

2021. Ein neuer Versuch mit Tim Walter. Ein Trainer der für furiosen Angriffsfußball steht ohne viel Verteidigung. Dies durfte er zu seiner VfB Zeit schon selbst in Hamburg erleben. Mit 6:2 gewann der HSV im Jahr 1 Boldt gegen den damaligen VfB Trainer. Nun also Hamburg und mit Walter ein fast schon Großangriff auf dem Transfermarkt. Allerdings wieder mal ohne viel Geld auszugeben. Zunächst zumindest.

Der HSV verpflichtete eine Menge an Spielern, die auch heute noch fester Bestandteil des HSV-Kaders sind. Boldt legte mit seinem Team praktisch den Grundstein für die nächsten Jahre. Mario Vuskovic (1,2 Millionen € Leihgebühr plus 3 Millionen Kaufoption im Folgejahr), Robert Glatzel (1 Million €), Jonas Meffert (500,000€), Sebastian Schonlau (ablösefrei), Ludovit Reis (ablösefrei) und Miro Muheim (200,000€ Leihgebühr mit 1,5 Millionen € Kaufoption) sind heute absoluter Kern der Mannschaft. Alles Spieler, die problemlos den Sprung in eine höhere Spielklasse schaffen sollten. Die Leihen von Tommy Doyle und Mikkel Kaufmann liefen hingegen nicht so wie gewünscht, allerdings ist denen die Klasse sicher nicht abzusprechen. Doyle spielt inzwischen bei den Wolverhampton Wanderers in der Premier League und auch Kaufmann konnte bei seiner Leihe zum Karlsruher SC zeigen, dass er durchaus Potential für mehr gehabt hat als er vor allem im Saisonendspurt bei uns zeigen konnte.

Aber auch auf der Abgänge-Seite wurde fleißig aussortiert. Amadou Onana verließ den HSV für viel Geld in Richtung LOSC Lille. Jeremy Dudziak verließ den HSV für 750,000€ nach Fürth und auch Rick van Drongelen, der zwar lange Fan-Liebling war, aber auch der absolut falscheste Fußballer für den Walterball, schließ sich für 500,000€ Union Berlin an.

Des Weiteren korrigierte man weiter die Fehler aus der letzten Saison. Ulreich, Leistner und Gjasula, die ihren Ansprüchen nie gerecht wurden, verließen den HSV allesamt ablösefrei, das gleiche gilt für Top-Torschütze Terodde, Gideon Jung, Khaled Narey und David Bates.

Der HSV war im Vergleich zur ersten Saison zweite Liga nun komplett auf links gedreht. Aus der ersten Saison stammen praktisch nur noch die Eigengewächse Ambrosius, David und Bakery Jatta, der wohl die größte Konstante im aktuellen HSV-Kosmos darstellt.

Geprägt war diese Zeit auch um das Theater um Thomas Wüstefeld. Wo man Jonas Boldt wahrscheinlich nicht dankbar genug sein kann, dass er diesen Mann aus dem Verein vertrieben hat. Wer die Story verpasst hat, dem empfehle ich dringend die neuesten Infos aus dem Hamburger Abendblatt.

Aber wie lief es denn sportlich? Eine Remis geprägte Hinrunde (satte 8 Stück) trübten das Bild etwas. Vor allem durch die vielen Remis im eigenen Stadion (5 Stück). Auch die Rückrunde war geprägt von Höhen und Tiefen, allerdings geprägt von einer wahnsinnigen Aufholjagd mit 5 Siegen aus den letzten 5 Siegen. Am Ende scheitert der HSV dann undenkbar knapp an zwei Plattenhardt Standards in der Relegation, gegen ein sehr eindimensionales Hertha BSC. Eine Niederlage, die trotzdem weh tut.

Dennoch scheint es so als wäre beim HSV eine neue Identität entstanden. Geprägt von Tim Walter, der für den HSV lebt, als würde er selbst seit 20 Jahren seine Dauerkarte bei diesem Club haben. Und eben auch geprägt von einer neu formierten Mannschaft gemischt aus Erfahrung und Talenten, die entweder ihren zweiten Frühling in Hamburg erleben, wie Sebastian Schonlau, Heuer Fernandes, Robert Glatzel oder unter Walter und dem HSV aufblühen, wie Ludo Reis, Mario Vuskovic oder Faride Alidou.

Es wirkt so als würde der HSV endlich in ruhige Fahrwasser hineinfahren. Mit einem Trainer, der bei Fans so hoch angesehen war, wie wohl lange nicht mehr. Mit einem Kader, der für mehr bereit scheint in der Zukunft und mit einem Sportvorstand, der den HSV auf sämtliche Art und Weise auf links gedreht hat.

Screenshot

Die WADA, der VfB Stuttgart und eine Nachspielzeit in Regensburg – Saison 2022 / 2023

In der Folgesaison reicht die Dramaturgie wahrscheinlich fast für ein ganzes Jahrzehnt. Aber bleiben wir chronologisch.

Die Kaufoptionen für Vuskovic und Muheim werden fällig für zusammen 4,5 Millionen €. Vuskovic ist somit der Rekordtransfer in der Ära Boldt, allerdings stehen die Clubs schon in diesem Sommer Schlange beim talentierten kroatischen Innenverteidiger. Ansonsten setzt Jonas Boldt da an, wo es vermutlich am meisten geknirscht hat im Getriebe: Es brauch mehr Qualität und Tiefe in der Offensive.

Und genau das passiert auch. Mit Laszlo Benes kommt ein offensiver 8er für 1,5 Millionen € aus Gladbach, Ransford Königsdörffer kommt für 1,2 Millionen € aus Dresden und Jean-Luc Dompé kommt für 1,1 Millionen € von Zulte Waregem. Zusätzlich stoßen auch noch William Mikelbrencis, Filip Bilbija und Matheo Raab zum HSV. Der HSV ist nun vor allem in der Offensive auch in der Breite gut bis sehr gut besetzt für einen Zweitligisten.

Man muss sich aber leider auch in dieser Saison von Josha Vagnoman trennen, der für 3,7 Millionen € in die Bundesliga wechselt. Und auch Faride Alidou konnte man leider nicht in Hamburg halten. Ebenso verließen Wintzheimer, Kinsombi und Gyamerah den HSV, alle ablösefrei.

Es folgt der 16. Spieltag an dem überraschend Mario Vuskovic im Kader des HSV fehlen wird. Die Farce von NADA und WADA um die Einbaukühlschrank-Deutsche Post-Urinprobe des Kroaten ist bis heute ein absoluter Skandal, der auf den Schultern des jungen Fußballers ausgetragen wird. Man kann dies in seiner Deutlichkeit nur wiederholen in der Hoffnung, dass Mario irgendwann wieder Fußball spielen darf. Wo auch immer das passieren mag.

Wahrscheinlich ist es der erste von vielen Domino-Steinen die umfallen, auf die man praktisch nicht einwirken kann. Es sind Domino-Steine, die den HSV auch mit dem Ziel Bundesliga nachhaltig beeinflussen. Aber der HSV steht zusammen, dies bringen gerade Walter und Boldt in ihren Presseauftritten immer wieder deutlich zum Ausdruck.

Wie nun umgehen mit der Lücke, die die WADA in der Innenverteidigung aufgemacht hat? Die interne Variante ist Jonas David, welcher zwar stetig Fortschritte gemacht hat, aber dennoch immer wieder über seine fehlende Konstanz stolperte. Der HSV legt nach in der Wintertransferperiode mit Javi Montero, der per Leihe von Besiktas kommt. Zusätzlich kommen noch Andras Nemeth aus Genk und Noah Katterbach per Leihe, nachdem Tim Leibold den HSV nach seiner langen Verletzung in die MLS verlässt.

Montero sieht im Wintertrainingslager vielversprechend aus. Gerade in einem System Walterball. Hohe Qualität mit Ball, Erfahrung. Er muss sich aber dennoch zunächst hinten einreihen. Seine erste Chance bekommt der Spanier dann in Heidenheim, wo er eine absolute Katastrophenhalbzeit erwischt. Nächste Chance in Karlsruhe, wo er für Jonas David ins Spiel kommt, der wohl seine schlechtesten 38 Minuten im HSV-Dress spielt. Aber wieder kann Montero die Chance nicht nutzen. Er fliegt mit gelb-rot vom Platz.

Der HSV hat ein Innenverteidiger Problem. Ein Leihspieler, der nie Fuß fassen konnte, der aber zumindest beim Spiel in Düsseldorf durchaus zeigt, was er für Qualitäten hat…bis er dann wieder mit gelb-rot vom Platz fliegt. Aber auch David agiert in seinen Leistungen zwischen den Extremen. Vom Derbyhammer bis hin zum Desaster in Karlsruhe ist bei ihm alles zu sehen. Mit diesen Defensivproblemen hat der HSV speziell in der Rückrunde zu kämpfen. 26 Gegentore in 17 Spielen sprechen hier eine deutliche Sprache. Es sind die meisten Gegentore aller Mannschaften aus den Top 9 der Rückrundentabelle.

Dennoch bleibt der HSV konstant oben dabei. Es fehlt einfach gerade mit Blick auf den Saisonendspurt oft das Glück, wie beim 0:0 zuhause gegen Kiel, oder der Fokus in den entscheidenden Aktionen (2:0 in Kaiserslautern).

Dann 34. Spieltag. In Sandhausen ist das Spiel abgepfiffen. 0:1 Auswärtssieg. In der Blitztabelle ist der HSV zweiter, da Heidenheim zu diesem Zeitpunkt noch 1:2 in Regensburg zurückliegt. Es folgt ein durchaus fragwürdiger Elfmeter in Regensburg und in 90 plus 9 kommt dann Tim Kleindienst und schießt den HSV in die Relegation, die sich nach dem Platzsturm anfühlt wie eine richtig saftige Niederlage. Dem HSV fehlten 9 Minuten. In einem Jahr geprägt von dem Tod des größten HSVer aller Zeiten und der Doping-Shitshow rund um Mario Vuskovic. Die Relegation fühlte sich nicht an wie eine Extrachance, sondern viel mehr wie eine herbe Niederlage. Das Gefühl sollte dasselbe bleiben. Gegen einen VfB Stuttgart, der wahrscheinlich 14 bis 15 Monate nach dieser Relegation Champions League spielen wird, hat der HSV bis auf den Hammer von Sonny Kittel wenig Hoffnungen gehabt. Hoeneß hat diesen VfB, den er auf Platz 18 übernahm, zum Leben erweckt und damit auch diese riesige Qualität des Kaders. Wataru Endo zum Beispiel spielte sein nächstes Spiel im Ligabetrieb nach dieser Relegation unter Jürgen Klopp an der Anfield Road, was es nochmal deutlich macht, wie viel Qualitätsunterschied zwischen diesen beiden Mannschaften in diesem Jahr lagen.

Ich habe in diesem Blog mal in einem Kommentar geschrieben, dass für den HSV vieles, was schief gehen konnte, auch absolut schief gegangen ist. Die Saison 22 / 23 ist das absolute Paradebeispiel, wie vieles von dem nicht Beinflussbaren eben nicht in HSV Richtung lief. Ja, Fußball ist nicht nur Glückssache, aber …

-> wenn dein Innenverteidiger Pärchen aufgrund der irrsten Umstände auseinander gezogen wird…

-> der etatmäßige IV3 es absolut nicht schafft für konstante Leistungen zu sorgen…

-> der geliehene Innenverteidiger mit Champions League Erfahrung (!!!) nie in Hamburg ankommt…

-> du trotzdem für 9 Minuten praktisch aufgestiegen bist, bis in Regensburg (und vielleicht auch Köln) ein Wunder passiert…

-> und du dann gegen einen VfB Stuttgart in der Relegation spielen musst, der eine Saison später den Einzug in die höchste europäische Spielklasse feiern darf…

dann darf man hier wohl wirklich mal von einer Kette von Events sprechen, die kein Sportchef dieser Welt mehr auffangen kann.

Sollte man Jonas Boldt vorwerfen, dass der dritte Innenverteidiger im Kader nicht die Qualität hat, wie eben Vuskovic und Schonlau? Das darf jeder selbst für sich beurteilen. Allerdings ist die Forderung nach jungen Talenten aus den eigenen Reihen auch was viele Fordern und sehen wollen. Aber wenn man Jonas David beim HSV nicht die Chance gibt sich zu beweisen und auch Fehler zu machen als Innenverteidiger hinter Vuskovic und Schonlau, dann ist jede Debatte über die Einbindung von Talenten wahrscheinlich absolut hinfällig. Dass dann auch Javi Montero trotz seiner Erfahrung nicht funktioniert oder eher nicht besser funktioniert hat in der zweiten Bundesliga, ist dann mehr als unglücklich für den HSV.

Das Innenverteidiger Dilemma – Saison 2023 / 2024

Die größten Transfers des Sommers waren wahrscheinlich nicht Pherai, van der Brempt oder Poreba, sondern viel mehr die Verlängerungen und Bekenntnisse von Ludo Reis, Daniel Heuer Fernandes und Robert Glatzel. Der Kern des Teams blieb zusammen und er bekam noch mehr Tiefe, die der HSV unbedingt brauchen wird in dieser Saison, er wusste nur noch nichts davon. Zusätzlich kamen noch Gui Ramos aus Bielefeld, Dennis Hadzikadunic per „Russland-Leihe“ aus Rostov und Levin Öztunali zum HSV, während der HSV bei den Abgängen namhaft nur Kittel zu verzeichnen hatte.

Der HSV war nun auf jeder Position praktisch doppelt besetzt. In einer Liga mit Schalke und Hertha BSC brauchte man diese Tiefe wohl mehr denn je. Zusätzlich stark war, dass man für die neuen Spieler nur 1,05 Millionen € ausgab (Pherai 750,000 €, van der Brempt 300,000€ Leihgebühr), während man aber für Bilbija und Rohr aus Paderborn 1,000,000€ überwiesen bekam. Ein durchaus solider Transfersommer zum Schnäppchenpreis.

Der Start in die HSV-Saison war vor allem in den Heimspielen stark und mitreißend. 5:3 gegen Schalke, 3:0 gegen Hertha. Das konnte sich durchaus sehen lassen. Aber es gab dann doch etwas, was die Stimmung trübte: Die Defensive, Restverteidigung, die vielen Gegentore, die vielen individuellen Fehler.

Es zog sich wie ein roter Faden durch die HSV-Saison. Geprägt von vielen unzähligen Wechseln in der 4er Kette. Sage und schreibe 11 verschiedene 4er Ketten musste der HSV in 17 Spielen auf den Rasen bringen. Aufgrund von Verletzungen, Sperren und Schonlaus Wade.

Wie wichtig der Kapitän für den HSV ist, weiß man wahrscheinlich wirklich erst seit der Hinrunde. Ohne ihn fehlt Stabilität, Führungskraft und der wahrscheinlich wichtigste Mann mit Muheim zusammen für den Walterball. Ja, es ist absolut spekulativ, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der HSV mit einer permanenten Viererkette ohne viele Wechsel aus Muheim, Schonlau, Hadzikadunic und van der Brempt eine weitaus bessere Hinrunde gespielt hätte, als mit den ganzen Veränderungen.

Was ein perfekter Fit Hadzikadunic neben Schonlau ist zeigt meines Erachtens die aktuelle Rückrunde. Das Pärchen ergänzt sich wahnsinnig gut. Gerade die Boxverteidigung vom Bosnier kann sich neben dem Kapitän sehen lassen. Wenn ihr mehr dazu lesen wollt, der @bene hat das Thema vor einigen Wochen mal genauer unter die Lupe genommen.

Möchte man nun Boldt vorwerfen, dass Hadzikadunic und Ramos eben kein gleichwertiger Ersatz von Schonlau waren? Das bleibt wie in der Vorsaison jedem selbst überlassen darüber zu urteilen. Allerdings muss man die Beschwerden von „Warum kauft Boldt keine ordentlichen Innenverteidiger?“ absolut differenzieren. So ging es die letzte Saison ausschließlich um einen Ersatz für Mario Vuskovic, der ein ganz anderer Typ Innenverteidiger ist als eben Kapitän Sebastian Schonlau. Genau diesen Typen hat der HSV mit Hadzikadunic geholt. Blöd nur, dass man in der Folge genau den anderen Typen Innenverteidiger durch Schonlaus Wade zusätzlich gebraucht hat. Ramos deckt mit seinem Profil von Vorwärtsverteidigen, Andribbel- und Liniendurchdribbelstärke durchaus ab. Einen weiteren Innenverteidiger mit der gleichen Qualität Schonlaus, der sich auch durch seine Erfahrung im System Walter auszeichnet, gibt es einfach nicht ablösefrei oder für eine geringe Summe für einen Zweitligisten. Und es tut mir leid, aber irrsinnig viel Geld auszugeben für den nominellen dritten Innenverteidiger im Kader macht in der Situation des HSV einfach keinen Sinn. Dementsprechend ging wieder mal genau das schief, was nicht schief gehen durfte aus HSV-Sicht.

Es kam der Winter. Trainer Walter vor dem Aus. Die Defensive im Fokus. Und Boldt tut etwas. Er tut sogar gewaltig was. David Zima steht laut mehreren Medieninfos vor einem Transfer zum HSV. Der Spieler des FC Turin war praktisch schon da, bis dann der Deal in letzter Minute platzte und er doch zu Slavia Prag wechselte. Es erinnerte in den Zügen um das Ziehen um Daniel Elfadli zu Beginn der Saison, der ja eigentlich auch schon in Hamburg unterschrieben hatte.

Quo vadis, Aufsichtsrat vom HSV?

Was steht also nach nun fast genau 5 Jahren von Jonas Boldt. Vielleicht steht am Freitag die größte Backpfeife der Vereinsgeschichte, es stehen mehrere verpasste Aufstiege und verlorene Relegationen. Ja, es gibt Argumente dafür, dass man hier durchaus sagen kann, dass Jonas sportlich gescheitert ist. Mit dem Etat nicht aufsteigen, wo es die Konkurrenz permanent schafft, bringt natürlich ein Bild mit, welches sich vor allem in den sozialen Medien zeichnet.

Aber man darf sicher die Begleitumstände nicht vergessen. Boldt hat den HSV souverän durch wilde Zeiten um Jatta, Wüstefeld, Hauptsponsorsuche, Stadionumbau und Vuskovic geführt.

Auch steht der HSV sicherlich finanziell besser da als vor seiner Amtszeit und das trotz 6 Jahren im Unterhaus. Dass man nach 6 Jahren zweite Liga noch so konkurrenzfähig ist und auch regelmäßig die Stadien nach Minuten ausverkauft sind, ist sicherlich nicht selbstverständlich und wahrscheinlich halten wir es auch für absolut selbstverständlich.

Ja, der HSV muss mit seinem Anspruch besser dastehen als aktuell. Aber Tradition schützt dann trotzdem vor Absturz nicht, dementsprechend lohnt sich auch der Gedanke sich einmal damit zu befassen, wo der HSV vielleicht auch ohne Jonas Boldt, aber dafür mit mehr Chaos stehen würde. Es gibt hier keinerlei Garantie, dass man besser dastehen würde als aktuell. Sportlich wie finanziell.

Und auch wenn bei Nichtaufstieg ein kleiner Ausverkauf droht, so bin ich mir sicher, dass auch dieser Neuaufbau unter Jonas Boldt sicher Hand und Fuß haben sollte. Die Variable, dass man mit gewissen Transfers und Kaderplanung Glück brauch und Pech haben kann, wird keine sportliche Leitung auf diesem Planeten zu Einhundertprozent ausradieren können.

12 Kommentare

  1. Guter Artikel und objektiver / sachlicher als anderes im Internet, was is super finde.
    Bin zu weit weg, wohne in Österreich, aber gefühlt sind die Transfers viel schlechter geworden seit Mutzel weg ist. Aber nur eine Gefühl, weiß nicht wie dort wirklich Entscheidungen getroffen werden und in Bielefeld läufts aktuell auch scheinbar nicht so gut.

    Was ich allerdings Boldt ankreide ist der Trainerwechsel dieses Jahr. War menschlich kein Fan von Walter, aber der Zeitpunkt war wirklich schlecht und dann noch das Experiment mit Merlin.

    Zudem was mich bis heute noch stört ist, dass er Titz nicht länger eine Chance gegeben hat.

  2. Das J. Boldt einen super Job macht beim HSV , ist für mich unbestritten. Ihn jetzt zu entlassen wäre in meinen Augen fatal.
    Die Medien (Bild/Mopo/Abendblatt) sind dem HSV eher negativ zugesandt ( insider sollten das wissen) und sorgen ständig für Unruhe. Sie suchen ständig das Haar in der Suppe um wieder Negatives zu verbreiten. Und schon geht die Diskussion in den sozialen Medien los…..einfach mal in Ruhe arbeiten lassen und Kontinuität an den Tag legen ist , so glaube ich , daß Beste was dem HSV passieren kann. Zu dem war die Entlassung von TW ein riesen Fehler , wie jetzt auch wohl der Letzte erkennen muß….???NDH

    • Sachliche Schilderungen mit persönlicher Einschätzung sind aber doch keine Propaganda. Wenn Sie das Thema anders sehen, dürfen Sie es ja gerne auf einem eigenen Blog erläutern. Beleidigungen sind hierbei aber absolut unnötig.

  3. Moin in die Runde.

    Ich finde es nicht angemessen, auf diese akribische Analyse mit plumpen Parolen („dümmliche Propaganda“) zu reagieren.

    Ich halte die Darstellung für überaus substanziell. Sie bedarf allerdings der Ergänzung.

    Der Kader wurde nach meiner unmaßgeblichen Einschätzung vollständig auf den Walterball ausgerichtet. Dieses war ein Fehler. Es fehlten Männer mit Bärten im Team, die körperlich in der zweiten Liga bestehen können. ( Kiel gibt uns ein Gegenbeispiel.)Konsequenz war, dass Boldt dadurch länger als sinnvoll an Walter festgehalten hat bzw. meinte, festhalten zu müssen.

    Die Niederlagen gegen die Aufsteiger und das taktische Versagen des Trainers im Pokal ( Kausa Reese ) hätten ausreichen müssen, sich zeitig von ihm zu trennen.

    Kritisch sehe ich bei Boldt überdies, dass er sich in einer schwierigen Situation weggeduckt hat. Ich meine das Verbrennen der Polizeiuniform im Stadion. Eine echte Führungsperson hätte hier klare Kante gezeigt und Grenzen gesetzt. Stattdessen wurde jemand aus der zweiten Reihe vorgeschickt. Wahrscheinlich, um es sich mit einer gewissen- und bei Abstimmungen in Mitgliederversammlungen entscheidenden- Klientel nicht zu verscherzen. Da würde ich mir bei ihm manchmal etwas mehr „Hoffmann“ wünschen.

    Und nun heißt es Daumen drücken.

  4. Oberflächliche Analyse, schräge verwendete Metriken. Ablösefrei heißt nicht kostenlos (Handgeld), ablösefreier Abgang heißt ebenfalls nicht kostenlos (Abfindung). Allgemein geht es bei Transfers um Kaderkosten, d.h. Ablöse, Handgeld, Gehalt über die Vertragslaufzeit dividiert durch Vertragslaufzeit. Maßstab muss die Konkurrenz sein, höhere Kosten sollten sich in besseren Ergebnissen wiederspiegeln. Wenn allein Ameachi und Ewerton im ersten Jahr mehr Ablöse kosten als Kiel insgesamt an Ablösen seit 2019 gezahlt hat und man gleichzeitig weniger Erfolg hat, dann überwiegt sicherlich nicht das Positive.

    Unterm Strich ist keiner der Zugänge des ersten Jahres noch im Kader. Man hat die sportlichen Ziele mit ihnen nicht erreicht, man keine Transfererlöse mit ihnen erzielt und teilweise sogar Abfindung für die Vertragsauflösung gezahlt. Und das nur exemplarisch für das erste Jahre, die Analyse der folgenden Jahre ähnlich oberflächlich und wohlwollend.

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