Finanzen, Stadionauslastung und sportliche Identität

Finanzen

Trotz anderer Kritikpunkte wird auch immer wieder davon gesprochen, dass Jonas Boldt mit seiner Arbeit den HSV in eine finanziell stabile Situation manövriert hat. Nun ist es durchaus denkbar, dass er in seiner Rolle auch einen mehr oder weniger signifikanten Einfluss auf Bereiche hatte, die hauptsächlich in den Aufgabenbereich vom Finanzvorstand gehören. Da Boldt aber der Sportvorstand ist, soll diese Analyse den Fokus hauptsächlich auf Aspekte lenken die direkt mit dem Sport zu tun haben. Und so sieht es auch beim Thema Finanzen aus, weshalb die Zahlen zu Kader- und Transferkosten in den Vordergrund gestellt werden. Hierbei geht es letztlich um drei Bereiche:

  • Einnahmen durch Transferentschädigungen;
  • Ausgaben durch Transferentschädigungen und;
  • Personalkosten.

Die Daten dazu wurden den Jahresabschlussberichten der HSV AG entnommen.

Eingestellt wurde Jonas Boldt am 24.05.2019 und somit wäre es falsch ihn für die Zahlen zum Stichtag am 30.06.2019 verantwortlich zu machen, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt „schon“ seit einem Monat im Amt war. Es ist somit festzuhalten, dass in Boldts erstem Amtsjahr, trotz einer signifikanten Reduzierung zum Vorjahr, die größten Transferentschädigungskosten entstanden sind. Das heißt allerdings auch, dass er zu diesem Zeitpunkt minimalen Einfluss auf die gegebenen Strukturen im Scouting hatte und auch einige der Transfers hatte wahrscheinlich weniger mit ihm als seinem Vorgänger zu tun. Entstanden sind dabei Transfers wie Kinsombi, Amaechi, Ewerton, Leibold, Özcan und Heuer Fernandes, aber auch die ablösefreien Kittel, Gyamerah, Dudziak, sowie die Leihen Schaub, Beyer und Fein.

Nach diesem Finanzjahr, sind die Transferentschädigungskosten beim HSV stetig gesunken. In der folgenden Saison wurde Moritz Heyer für ca. 650 Tausend Euro als einziger Spieler mit einer Ablösesumme verpflichtet und insgesamt sind die Transferentschädigungskosten von fast 14,4 Millionen auf unter 6,1 Millionen Euro gesunken. Dass dies notwendig war, ist schon daran zu erkennen, dass nach den ersten zwei Jahren in der 2. Bundesliga die wertvollsten Spieler die noch im Ligaoberhaus unter Vertrag genommen wurden, bereits verkauft waren. Spieler wie Walace, Waldschmidt, Hahn, Ekdal, Douglas Santos, Kostić und Fiete Arp hatten den HSV für viele Millionen verlassen und somit war auch kein Tafelsilber mehr vorhanden, dass verkauft werden konnte. Vor der Saison 20/21 wurde Özcan noch für ca. 2,5 Million Euro verkauft, aber ansonsten sind die Transferentschädigungseinnahmen in dem Finanzjahr von 13,5 Millionen auf 4,8 Million Euro gesunken. Dies wird wohl auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die anderen Transfers für die Saison 20/21 ablösefrei gekommen sind. Vier davon bildetet den Bund der sogenannten Säulenspieler, Ulreich, Terodde, Leistner sowie Gjasula und zudem wurde das Talent Amadou Onana ablösefrei verpflichtet.

Nun wurde die Mission Säulenspieler + gewinnbringendes Weiterverkaufstalent nach einer Saison abgebrochen, um mit Tim Walter als Projekt-Trainer eine spielerische Identität in den Verein zu bringen. Dabei konnte besonders durch den Verkauf von Onana wieder eine Steigerung bei den Transferentschädigungseinnahmen verbucht werden. Zugleich sanken die Transferentschädigungsausgaben um fast eine Million auf 5,1 Millionen Euro. Und dass trotz Spielerverpflichtungen von Marko Johansson (ca. 600 Tausend), Robert Glatzel (ca. 1 Million), Sebastian Schonlau (ablösefrei), Ludovit Reis (ablösefrei), Mario Vušković (Leihgebühr ca. 1,2 Million) und Miro Muheim (Leihgebühr ca. 200 Tausend). Insgesamt ist somit – während der Pandemie-Zeit – eine stabile Transferbilanz entstanden, die unter Jonas Boldt nur in der ersten Saison mit Tim Walter als Cheftrainer leicht im Negativen lag.

Erst im folgenden Finanzjahr ist wieder ein Anstieg der Transferentschädigungsausgaben zu erkennen. Es wurde investiert, zum einen in Qualität und zum anderen in potentielle Wiederverkaufswerte. Mario Vušković war dabei der kostspieligste Transfer. Hinzukamen László Bénes, Miro Muheim, Ransford Königsdörffer, Jean-Luc Dompé, András Németh und William Mikelbrencis. Zudem wurden noch Filip Bilbija und Matheo Raab ablösefrei verpflichtet. In Sachen Qualität kann bei vier (4) Spielern davon gesprochen werden, dass sie zu den besten im Kader gehören und auch im Ligavergleich zu den Besten auf ihren Positionen gehören (Vušković, Bénes, Muheim und Dompé). Zudem ist Raab mittlerweile Stammtorhüter geworden und Bilbija wurde bereits gewinnbringend verkauft. Was bleibt sind Königsdörffer, Németh und Mikelbrencis. Was das sportliche Potential und ihre Entwicklung angeht wird hier später noch kurz angesprochen, aber Weiterverkaufswerte sollten hier besonders bei den ersten beiden Spielern noch entstehen können. Und auch Muheim, Bénes und besonders Vušković sind Investitionen die bei potentiellen Abgängen wieder Einnahmen generieren werden. Der Fall von Vušković ist durch seine Sperre natürlich ein besonderer, aber bestimmt keiner für den man irgendjemanden im Verein verantwortlich machen kann.

Da der Stichtag für das folgende Finanzjahr erst am 30.06.2024 ist, liegt der Jahresabschluss dafür auch noch nicht vor, allerdings ist wohl davon auszugehen, dass die Transferentschädigungsausgaben im Vergleich zum Vorjahr wieder gesunken sind. Eine Ablösesumme ist hier mit ca. 750 Tausend Euro nur für Pherai geflossen sowie eine Leihgebühr von ca. 300 Tausend Euro für Van der Brempt.

Grundsätzlich ist in der Kaderplanung zu erkennen, dass Jonas Boldt daraufgesetzt hat, nach den Abgängen von wertvollen 1. Liga-Spielern wieder neue Investitionswerte zu schaffen, die durch Verkäufe aber noch nicht monetär realisiert wurden. Natürlich wird das auch nicht der einzige Grund für die Transfers der letzten Jahre gewesen sein, denn letztlich ist die Motivation nicht Spieler zu verkaufen, sondern auch aufzusteigen und dabei Leistungsträger zu halten. Aber zugleich hat er sichergestellt, dass selbst beim Verfehlen der größten sportlichen Ziele (Aufstieg), ein finanzielles Fundament besteht, mit dem in der jeweiligen Folgesaison wieder angegriffen werden kann. Die genannten Investitionen in Spieler sind dabei ein wichtiger Faktor.

Hinzu kommt, dass auch der Personalaufwand unter Jonas Boldt gesunken ist und stabilisiert wurde.

Vergleiche mit den Ligakonkurrenten sind hierbei von außen nicht so einfach, weil die von der DFL zur Verfügung gestellten Zahlen in den Berichten immer 2 Jahre alt sind, wodurch dann zum Beispiel frische Aufsteiger und Absteiger mit in der 1. oder 2. Bundesliga etablierten Vereinen verglichen werden. So bezieht sich der aktuellste Bericht für die Saison 23/24 auf den Personalaufwand für die Saison 21/22. Da war die Hertha aber zum Beispiel noch in der 1. Bundesliga, weshalb der Vergleich nicht passend wäre. Aus dem gleichen Grund ist es über die DFL-Berichte nicht möglich die letzten 2 Saisons (22/23 und 23/24) zu vergleichen. Aber die vorigen Jahre lohnt es sich einmal zu betrachten. Dabei wurde jeweils der Personalaufwand der Vereine aus der 2. Bundesliga zusammengesucht, auch wenn die Daten dazu teilweise im DFL-Bericht der 1. Bundesliga stehen.

In der ersten Saison in Liga 2 (18/19) lag der Personalaufwand auf einer ähnlichen Ebene wie bei Köln (als 1. aufgestiegen), war fast doppelt so hoch wie bei Union Berlin (3.) und ca. 3-mal so groß wie bei Paderborn (2.). In der Saison 19/20 hatte man mit klarem Abstand auf Stuttgart (2.) den 2. größten Personalaufwand. Mehr als ein Drittel geringer war er sogar. Dennoch gaben Bielefeld (1.) und Heidenheim (3.) im Vergleich nur ca. 40% davon aus. Zu Erinnerung das war die Übergangssaison von Jonas Boldt, der erst Ende Mai eingestellt wurde und mit vielen Entscheidungen seines Vorgängers leben musste.

In der Folgesaison 20/21 waren die finanziellen Vergleichsumstande bis zu dem Zeitpunkt die besten. Der HSV hatte den höchsten Personalaufwand der Liga. Darauf folgten Hannover (13.) mit ca. 80% und Düsseldorf (4.) mit 60% vom Hamburger Personalaufwand. Die Aufsteiger Bochum (1.) und Fürth (2.) hatten dabei nur 31-46% und die 3. platzierten Kieler gaben mit 42,5% ähnlich weniger aus. Es war der erste legitime Versuch von Jonas Boldt über Erfahrung und den Pädagogiker, Thioune, den schnellen Aufstieg zu schaffen (siehe hierzu auch den Beitrag von @walterball). In der nächsten Saison ging es dann weiter mit einer neuen Idee der Entwicklung und Identifikation. Dies ist zugleich die letzte Saison die mit den DFL-Zahlen betrachtet werden können. Schalke und Bremen waren abgestiegen und somit war der eigene Personalaufwand auch nur noch der 3. höchste der Liga. Im Vergleich mit Schalke (1.) gab man nur die Hälfte aus und verglichen mit Bremen (2.) waren es unter 90%. Der 3. Tabellenplatz war somit aus finanzieller Sicht folgerichtig. Für die aktuelle Saison lohnt es sich aber vielleicht noch kurz den Vergleich mit den derzeitigen Aufstiegskonkurrenten zu ziehen.

  1. St. Pauli 63%
  2. Kiel 39%
  3. Düsseldorf 62%

Bei diesen Zahlen ist natürlich auch zu bedenken, dass der Personalaufwand nicht nur aus dem Lizenzspieleretat besteht, sondern auch aus anderen Mitarbeitern, die z.B. bei einer größeren Geschäftsstelle mehr ins Gewicht fallen.

Zudem sollte auch nicht der Fehler gemacht werden, tabellarische Endergebnisse an dem reinen Etataufwand zu bewerten. Denn letztlich kauft mehr Geld auch keinen Erfolg, sondern im besten Fall lediglich die ausreichende Qualität für die Möglichkeit von Erfolg, wenn diese effektiv verwendet werden kann. Und dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, die von @walterball hier chronologisch erörtert wurde.

Die obengenannten Vereine sowie andere die in den letzten Jahren vor dem HSV aufgestiegen sind, leisten alle auf ihre Weise gute Arbeit unter jeweils anderen Umständen. Aber das bessere Preis-Leistungs/Ergebnis-Verhältnis anderer Vereine sollte nicht dazu genutzt werden, um die jeweiligen Saisonergebnisse beim HSV schlechter zu machen als sie sind.

Jede Saison hat der HSV ein Top 3 Budget.
Jede Saison wird gesagt der HSV hat einen Top 3 Kader.
Jede Saison wird der HSV 3. oder 4.

Im Endergebnis ist das natürlich enttäuschend und sollte nicht als der anvisierte Erfolg verkauft werden. Zugleich zeugt es aber von Stabilität und Konstanz, dass man es jedes Jahr schafft ein klarer Aspirant auf die Aufstiegsplätze zu sein. Und somit scheint sich im Aufstiegskampf jährlich nur eine Frage zu stellen: Wer werden die anderen 2-4 Kandidaten für den Aufstieg sein? Denn der HSV war es jedes Jahr während die anderen immer wieder andere sind.

Stadionauslastung

Die Stadionbesucherzahlen sind in mindestens zweierlei Hinsicht relevant: finanziell und atmosphärisch. Letzteres wirkt dabei potentiell sogar in beide Richtungen, denn ein Verein mit einer grundsätzlich positiven und authentischen Atmosphäre wird in der Regel wohl auch mehr Besucher ins Stadion bringen. Und natürlich wird beim HSV immer wieder davon gesprochen wie positiv die Entwicklung bei den Besucherzahlen ist.

Aber wie gut ist die Stadionauslastung beim HSV wirklich und wie sieht sie im Vergleich zu der eigenen Geschichte sowie der von anderen Vereinen aus?

Grundsätzlich sind die Besucherzahlen beim HSV seit der Saison 00/01 stetig gewachsen. Dieser Prozess hielt aber nur bis zur Saison 06/07 an. Dies ist besonders dann zu erkennen, wenn die vertikale Achse anpasst und nur Werte über 75% Auslastung gezeigt werden. Denn niedriger fiel dieser Wert nur als es wegen der Pandemie Einschränkungen bei den Besucherzahlen gab.

Seit dem Höhepunkt in der Saison 06/07 ist die Stadionauslastung mehr oder weniger im Einklang mit dem sportlichen Abstieg gefallen. In der ersten Saison in Liga 2 und somit der letzten vollständigen Saison vor der Pandemie fiel die Stadionauslastung auf den niedrigsten Punkt seit der Saison 04/05. Das war zugleich auch die letzte Saison vor der Amtsübernahme von Jonas Boldt. In der ersten Saison ohne Einschränkungen bei den Besucherzahlen, ist die Stadionauslastung auf über 93% gewachsen. Aber diese Entwicklung sollte auch Spiel-für-Spiel betrachtet werden.

Zunächst gab es ein erstes ausverkauften Stadion am letzten Spieltag der Vorsaison. Und auch das erste Heimspiel am 2. Spieltag der Saison 22/23 war mit 54.500 Besuchern und einer Stadionauslastung von 95,6% gut besetzt. Danach schwankte die Stadionauslastung für 4 Spiele zwischen 75,6% und 87%. Aber seit dem 11. Spieltag der Saison 22/23 ist die Stadionauslastung nie unter 90% gefallen. Interessant ist dabei auch, dass die Schwankungen von Spiel zu Spiel im Vergleich mit den 4,5 Jahren vor den Pandemie-Einschränkungen signifikant gesunken sind. Nur am jeweils 16. und 19. Spieltag dieser Saison ist zu erkennen, dass die Stadionauslastung auf ungewöhnliche 91,66% und 90,84% gefallen ist. Aber danach gab es bis zum 28 Spieltag auch schon wieder drei Ausverkaufte Heimspiele.

Nun ist die Frage was das bewirkt hat. Die Einen argumentieren, dass unter Jonas Boldt und besonders seit der Einstellung des Projekttrainers Tim Walter eine klare Identität im Verein entwickelt wurde, wodurch sich auch in der Stadt und unter HSV-Fans ein neuer Enthusiasmus für den Verein und die Mannschaft entwickeln konnte. Die Anderen widersprechen, dass der Anstieg der Besucherzahlen ein allgemeines Phänomen bei den sogenannten Traditionsvereinen ist und durch den Entzug während der Pandemie-Zeit entstand. Wer hier Recht hat wird sich wohl nie abschließend beantworten lassen, wobei beides eine Rolle gespielt haben sollte. Somit lohnt es sich einmal den Vergleich mit anderen Vereinen zu ziehen. Schalke, Bremen und Köln bieten sich hierfür zunächst als andere Vereine an, die in den letzten Jahren grundsätzlich in ihrem sportlichen Unterfangen abgestiegen sind, aber auch tatsächlich zumindest zwischenzeitlich in der 2. Bundesliga aufzufinden waren.

Alle drei unterscheiden sich zum HSV besonders in Einem, ihre Stadionauslastung war vor der Pandemie höher und stabiler als die des HSV und ist dann nach den Pandemie-Maßnahmen auch wieder auf dieses Niveau zurückgekehrt. Anders als beim HSV, ist hier somit kaum eine Verbesserung zu erkennen, sondern eine Rückkehr zum Status-Quo. Ein Verein der bei den Besucherzahlen eine ähnliche Entwicklung genommen hat wie der HSV, ist Gladbach. Denn auch sie erlebten vor der Pandemie eine schwankende Auslastung, die nach der Pandemie stabiler wurde. Und dennoch ist spätestens seit Beginn der aktuellen Saison zu erkennen, dass diese Schwankungen mittlerweile zurückgekehrt sind.

Zwei weitere Vereine bei denen es sich lohnt ihre Stadionauslastung kurz zu beleuchten, sind Hannover und Düsseldorf. Beides sind Vereine aus Städten mit einer gewissen Größe und dem Anspruch Kurz- oder Mittelfristig aufsteigen zu wollen.

In beiden Fällen sind die Besucherzahlen seit dem Abstieg aus der 1. Bundesliga nicht vollkommen zum gleichen Niveau zurückgekehrt und zugleich gab es nach der Pandemie auch keinen plötzlichen Anstieg der über dem vorigen Niveau liegt.

Es scheint also durchaus zu stimmen, dass der HSV seit dem Ende der Pandemie im Vergleich mit vielen anderen Vereinen, die in verschiedener Hinsicht vergleichbar sind, eine etwas eigene Geschichte für sich geschrieben hat. Man konnte seine Stadionauslastung nicht nur auf das alte Niveau zurückbringen, wie es bei Schalke, Bremen und Köln der Fall ist. Vielmehr wurde für eigene Verhältnisse ein neues Niveau geschaffen, was bei anderen Vereinen weder in der Stärke noch der Ausdauer zu beobachten ist. Das heißt nicht, dass die Pandemie darauf überhaupt keinen Einfluss hatte. Aber eine Erklärung, die besagt, dass HSV-Fans nur durch die Zeit der Lebenseinschränkungen ein besonderes Maß an Enthusiasmus entwickelt haben, scheint zumindest fragwürdig. Auch wird diese These nicht dadurch gestützt, dass es im Volksparkstadion sogar eine gewisse Weile gedauert hat, bis es wieder große Massen gewagt haben, das Stadion zu füllen. Inwieweit hier eine neue sportliche Identität verantwortlich ist, kann natürlich nicht mit absoluter Sicherheit beantwortet werden. Und dennoch ist dieser Einfluss auf keinen Fall abwegig. Wann hatte der HSV denn das letzte Mal eine Identität? In den 80ern? Für eine Weile um die Jahrtausendwende vielleicht noch? Und der ein oder andere möchte vielleicht noch von dem Jahr des Europapokal Finales im Volksparkstadion sprechen, dass der HSV letztlich selbst tragisch verpasste. Aber war das wirklich eine sportliche Identität oder einfach eine Phase mit relativem Erfolg, der aber weder zu einem Pokalgewinn geführt hat, noch als nachhaltiger Erfolgsprozess bezeichnet werden kann. Und somit war es vielleicht einfach nur noch eine erfolgreichere Phase, die aber auch schon als Anfang vom letztlichen Ende in der 2. Bundesliga bezeichnet werden kann. Insofern war das Entwicklungsprojekt der letzten Jahre auch etwas Neues für diesen Verein, der lange Zeit hauptsächlich von seiner Vergangenheit gelebt hat.

Sportliche und organisatorische Identität

Spätestens seit dem Sommer in dem Projekt-Trainer Tim Walter eingestellt wurde, kann von der Entwicklung einer sportlichen und organisatorischen Identität gesprochen werden. Sportlich bezieht sich dies auf die Transferstrategie, die spielerische Idee und den Aufbau von Kompetenzen im Übungsleiterbereich. Der erste und letzte Punkt sollen hier einmal beleuchtet werden.

Sportliche Strategie

Bei den eingehenden Transfers ist es sinnvoll die Spieler einmal in folgende Kategorien zu unterteilen. Wobei Katterbach hier seine eigene Kategorie einnehmen könnte, weil er zunächst geliehen war und dann ablösefrei kam.

KaufLeiheLeihe + KaufAblösefrei
Glatzel
Meffert
Dompé
Bénes
Königsdörffer
Pherai
Németh
Bilbija
Johansson
Mikelbrencis
Doyle
Chakvetadze
Kaufmann
Montero
Van der Brempt
Okugawa
Poręba
Hadžikadunić
Muheim
Vušković
Reis
Schonlau
Raab
Katterbach
Ramos
Öztunali

Grundsätzlich ist eine Mischung aus verschiedenen Zielspielern zu erkennen. Soforthilfen wie Glatzel, Meffert und Schonlau kamen als Säulenspieler schon in der Saison 21/22. Das Schonlau dabei ablösefrei geholt werden konnte ist besonders erfreulich. Anders als in der Vorsaison kamen diese Spieler aber nicht in ihren 30ern, sondern im Alter von 26-27 und somit auf dem Weg in die Blüte ihrer Karriere. In der nächsten Saison kam mit Dompé dann noch ein weiterer Spieler in dieser Altersklasse, der auch eine Ablösesumme gekostet hat, um mit seinen technischen Stärken eine wichtige Rolle auf dem linken Flügel einzunehmen.

Die zweite Gruppe von Zielspielern bestand aus Kandidaten wie Muheim und Bénes. Sie kamen im Alter von jeweils 23 und 24 zum HSV. Keine Talente mehr, aber durchaus talentiert und die Karriere stockt vielleicht ein wenig. Beim HSV hat man aber Potential in ihnen erkannt, dass man herauskitzeln und entwickeln wollte. Beide brauchten etwas Zeit, aber mittlerweile sind sie zwei der wichtigsten Leistungsträger im Kader. Auf ihren Positionen gehören sie im Ligavergleich wohl sogar zu den Top 1-3. Wenn sie den Verein am Ende der Saison verlassen sollten, wird hier wohl auch ein Gewinn gemacht werden können, um den Kader wieder mit ähnlicher Qualität zu bestücken. Und trotzdem hat man auf beiden Positionen schon jetzt zwei Kandidaten im Kader, die entwicklungsfähig sind und das Potential haben die jeweilige Position als Stammspieler zu übernehmen. Die Spielerprofile sind zwar etwas andere, aber dadurch, dass man den Ersatz schon vor dem Abgang der Stammspieler geholt hat, verbessert sich die Verhandlungsposition, weil man nicht unbedingt gezwungen ist einen neuen Stammspieler zu holen und stattdessen mit dem neuen Ersatz oder Entwicklungsspieler unterschreiben kann. Ähnlich verlief bereits der Übergang von Kittel auf Bénes und von Leibold auf Muheim (wobei dieser Prozess durch Leibolds Verletzung wohl auch beschleunigt wurde). Ein weiterer Spieler dieser Variante ist Poręba, der in Lens kaum Spielzeit bekam, aber auch schon 23 Jahre alt war. Besonders zuletzt hat er aber gezeigt, dass auch er das Potential besitzt einen ähnlichen Schritt wie Muheim und Bénes zu machen (falls die Kaufoption gezogen wird). Und ähnliches wollte man wohl auch mit Chakvetadze versuchen, der auch mittlerweile mit ansprechenden Leistungen bei Watford in der Championship spielt, eine Liga die vielleicht nochmal ein Niveau über dem der 2. Bundesliga hat.

Aber die Zielgruppe von entwicklungsfähigen Spielern besteht nicht nur aus 23-24-jährigen und so klar abgegrenzt ist es vom Alter auch nicht. Denn schon Chakvetadze, Katterbach und Pherai waren erst 22 als sie zum HSV kamen. Weitere jüngere Spieler die sich entwickeln sollten oder sogar teils direkt Stammqualität aufwiesen, waren Reis, der ablösefrei kam, Vušković (geliehen und später gekauft), Königsdörffer (gekauft), Pherai (ablösefrei), Van der Brempt (geliehen) und Raab (auch ablösefrei). Tatsächlich ist der Ansatz mit ablösefreien und Leihspielern die später gekauft werden auffällig in der Transferstrategie von Jonas Boldt. Dadurch werden Kosten für höhere Qualität reduziert, auf einen größeren Zeitraum verteilt oder in eine Zukunft verschoben, wo die finanzielle Kapazität vielleicht eher vorhanden ist sich diese Qualität auch ohne Leihe zu leisten (siehe Van der Brempt). Soll heißen, das Risiko bei Transfers wird geringgehalten. Eine Ausnahme ist wohl Vušković, der im Verbund zwischen der Leihgebühr und dem Transfer im Jahr darauf über 4 Million Euro gekostet haben soll. Diese Investition war zu diesem Zeitpunkt aber die einzig richtige Entscheidung. Denn ohne seine unvorhersehbare Sperre, hätte man ihn wohl schon gewinnbringend weiterverkauft und zugleich wäre die Saison 22/23 vielleicht nicht mit dem 2. Relegationsplatz hintereinander zu Ende gegangen. Der einzige Spieler in dieser Gruppe bei dem es noch nicht vollkommen gereicht hat um den Transfer als Erfolg einzustufen ist Königsdörffer. Reis wurde zum Vizekapitän und nur seine langwierige Schulterverletzung konnte ihn aufhalten, Van der Brempt hat auch sofort seine Qualität gezeigt und Raab hat mittlerweile den mehrjährigen Publikumsliebling Daniel Heuer Fernandes als Stammtorwart ersetzt. Bilbija gehört hier vom Alter auch noch mit rein, aber obwohl er beim HSV nie Fußfassen konnte, wurde er nach einem Jahr gewinnbringend verkauft. Weniger Erfolg hatte man mit Doyle, Mikelbrencis, Johansson und Kaufmann. Ersterer ist aber mittlerweile bei den Wolverhampton Wonderers in der Premier League unterwegs, somit sollte seine Qualität keine Fragen aufwerfen. Manchmal stimmt der Zeitpunkt bei so jungen Spielern einfach noch nicht, besonders für einen Aufenthalt im Ausland. Mikelbrencis und Johansson waren wiederum wohl die unglücklichsten dieser Transfers. Ersterer sollte für die kommende Saison wohl verliehen werden, letzterer lässt sich im Sommer ggf. noch verkaufen. Kaufmann war hingegen nur geliehen und gehört somit auch zu den Spielern, die man mit geringem Risiko geholt hat, um in diesem Fall am Ende zu entscheiden, mit ihm nicht weiterzumachen. Ersetzt wurde er durch den einzigen der in der Kategorie „junge Entwicklungsspieler“ noch bleibt: András Németh. Sein Einstieg beim HSV war imposant, mit 2 Toren in 137 Minuten Spielzeit. Danach kam eine längere Verletzung und diese Saison war ihm bis jetzt leider ein Tor verwehrt. Und dennoch hat er besonders in den letzten Spielen als Vertretung oder Einwechslung für Glatzel mit seinen Qualitäten überzeugen können. Denn auch wenn er selbst seine Chancen nicht verwandelt, versteht er es sehr gut Raum für seine Mitspieler zu schaffen und durch Sicherheit am Ball sowie intelligente Weitergaben, Torchancen mit zu erzeugen.

Die letzte Gruppe von geholten Spielern besteht aus Montero, Ramos, Hadžikadunić, Öztunali und zuletzt Okugawa. Zunächst sollte hierbei anerkannt werden, dass diese Spieler entweder geliehen wurden oder ablösefrei kamen. Dabei war Montero ein Transfer der den unvorhersehbaren Ausfall von Vušković einigermaßen auffangen sollte und das in einem Wintertransferfester, die immer etwas schwierig sind. Sein Profil als Innenverteidiger mit guten technischen Anlagen hätte dem HSV beim Andribbeln aus der Innenverteidigung durchaus helfen können. Am Ende hatte er ein paar unglückliche Spiele mit Fehlern und war damit wohl mental relativ schnell verbraucht. Mittlerweile ist der Stammspieler in der 1. Portugiesischen Liga und steht dort auf dem 7. Tabellenplatz. Zudem wurde Ramos diese Saison ablösefrei als Ersatzspieler in der Innenverteidigung geholt. Weniger voraussehbar war wohl, dass er auf Grund von Schonlaus Ausfall sofort eine Stammrolle einnehmen musste. Man hatte eigentlich aus der Vorsaison gelernt und wollte ausreichend Personal in der Innenverteidigung zur Verfügung haben. Dass der wichtigste Innenverteidiger und Kapitän dann aber eine halbe Saison ausfällt ist kein Umstand den man einplanen und im Voraus verantwortungsbewusst kompensieren kann. Dabei sind die Anlagen von Ramos sogar gut. Zwar fehlt ihm Schonlaus Ruhe im Andribbeln, aber er hat den Mut und die technische Fähigkeit. Und auch gegen den Ball ist er gut im Abfangen von Bällen. Trotzdem konnte er Schonlau über eine so lange Strecke natürlich nicht adäquat ersetzen was auch Hadžikadunić zum Verhängnis wurde. Seit der Rückkehr vom Kapitän sollte aber allen klar sein, dass sich diese zwei Innenverteidiger sehr gut ergänzen und anders als Montero, hatte Hadžikadunić auch die Zeit sich wieder Sicherheit in seinem Spiel zu erarbeiten. Levin Öztunali kann wiederum als Transfer mit geringem Risiko eingestuft werden. Er war ablösefrei zu haben, seine Karriere stagnierte und somit passt er auch ein wenig in die Kategorie von Spielern denen man einen Schritt nach vorne zutraut. Die Entwicklung von Bénes sollte es wohl nicht mehr werden, aber dafür war Öztunali auch nicht eingeplant. Und vielleicht braucht er auch einfach eine Saison, um den vorgesehenen Schritt zu machen. Womit er Bénes tatsächlich ähneln würde. Zugleich hat man mit Öztunali ein viertes Profil für die offensiven Außenpositionen gewonnen und somit auch die taktische Variabilität im Kader verbessert. Mit anderen Worten, man hat bis jetzt nichts verloren, das Risiko war gering und im schlimmsten Fall wurde die Kaderbreite verbessert. Die Leihe von Okugawa war wiederum wohl eine Reaktion darauf, dass es bei Öztunali noch nicht so gut geklappt hat und auch die anderen offensiven Flügelspieler häufig nicht die beste Form hatten. Als Wintertransfer der besonders Walter hätte helfen können, war es absolut sinnvoll. Unglücklich ist nur, dass er zunächst lange nicht zur Verfügung stand. Aber bei seinen Kurzeinsetzten konnte man auch bei ihm bereits erkennen, welche Qualitäten in ihm stecken. Ein gutes Auge für seine Mitspieler und bespielbare Räume, eine gute Technik und eine gute Entscheidungsfindung…das Thema was den HSV besonders im letzten Drittel seit einer Weile schon plagt.

Es ist somit zu erkennen, dass Jonas Boldt bei der Kaderplanung gewisse Prinzipien verfolgt. Balance in der Altersstruktur und zwischen gestandenen sowie entwicklungsfähigen Spielern. Stabilität und Vorsicht auf dem Markt und somit ein behutsames aufbauen, anstatt auf kurze Sicht und über hohes Risiko Dinge zu erzwingen, die ggf. nicht mal nachhaltig sind (siehe der Wieder-Abstieg von Schalke). Entwicklung sowohl bei jungen Talenten als auch bei Spielern Anfang bis Mitte 20. Ersteres ist, wenig überraschend, immer ein größeres Risiko und somit ist es auch nicht groß verwunderlich, dass die Erfolgsrate dort am geringsten ausfällt.

Zugleich bezieht sich die Entwicklung von sportlichen Kompetenzen auf mehr als nur den Spielerkader. Auch bei den Übungsleitern wird auf Entwicklung und klare Prinzipien gesetzt. Es wird kein Zufall sein, dass Boldt nach der Freistellung von Tim Walter zunächst Merlin Polzin eine Chance gegeben hat und dabei auch betonte, dass man solche Fachkräfte im Verein auch entwickeln möchte. Hinzu kommt der innovativ denkende Torwart-Trainer, Sven Höh, der beim HSV neue Prinzipien im Torwartspiel eingeführt hat. Und zuletzt kam noch Loïc Favé dazu, der die Jugendarbeit beim HSV überarbeiten soll. Dieser Fokus auf langzeitige Entwicklung wird verfolgt, obwohl zugleich jedes Jahr die allgemeine Erwartung besteht, dass man jetzt endlich aufsteigt. Dass Boldt es trotzdem so handhabt, passt somit gut in das Muster der Ruhe, die er im Verein geschaffen hat. Eine Ruhe die auf Grund von Unruheherden, wie dem plötzlichen Ein- und Aufstieg von Ex-Anteilseigner und Finanzvorstand Thomas Wüstefeld, nicht leicht zu bewahren ist. Und zugleich wurde jede Saison ein konkurrenzfähiger Kader geboten, von dem jährlich verlangt wird, dass damit nun aber aufgestiegen werden muss. Dass diese Kader es bis jetzt nicht geschafft haben, hat verschiedene Gründe und einige davon wurden von @walterball in seinem Beitrag sehr gut erörtert. Grundsätzlich ist es wichtig, als Fan und Aufsichtsratsmitglied zu berücksichtigen, dass die Zusammenstellung einer erfolgreichen Mannschaft ein dynamischer Konstruktionsprozess ist. Einerseits wird etwas gebaut, wie ein Haus, und andererseits bewegen sich die Einzelteile ständig. Verletzungen, Sperren, Form und Entwicklungsprozesse spielen dabei alle eine Rolle, die zum einen zusammenpassen und zum anderen zum richtigen Zeitpunkt in den Einklang kommen müssen. Und gerade deshalb ist das Verfolgen von Prinzipien wie Balance, Stabilität und Vorsicht, sowie Entwicklung essenziell für langsichtigen Erfolg.

Benedikt
Benedikt
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4 Kommentare

  1. Hallo Rautenball,
    gute und sachliche Analyse. Hauptfehler von Boldt ist Meines Erachtens seien viel zu langes Festhalten an Walter hier beschreibt ihn als Projekttrainer. Ja, er hat Spektakel nach Hamburg gebracht. Aber seine Taktik war einseitig. Er hat sich nie auf seine Gegner eingestellt, sondern hatte den Anspruch, dass alle Gegner sich auf den HSV einstellen müssen. So eine Spieler Qualität hat der HSV aber nicht und das kann man auch nicht erwarten in der zweiten Liga. Daher war Walter meines Erachtens von vornherein ein Fehler. Siehe auch das was in Stuttgart vorher passiert ist. Angenommen, es hätte geklappt mit dem Aufstieg letztes Jahr. Was spielt Walter in der ersten Liga? Da wäre der HSV noch viel mehr auseinander geflogen. Daher war Walter ein Fehler, man hätte ihn letztes Jahr im Sommer oder spätestens im Winter korrigieren müssen. Dass das nicht passiert ist, geht auf die Kappe von Boldt. Das zweite was ich nicht durchgehen lassen möchte, ist eine teilweise verfehlte Einkaufspolitik. Das muss nicht an ihm persönlich liegen. Das kann auch an Costa liegen, Aber es wurde für die 2.Liga viel Geld ausgegeben. Gemessen daran hätte in den letzten vier Jahren, für die Boldt verantwortlich ist, der Aufstieg erfolgen müssen.

    • Hallo und vielen Dank!
      Wenig überraschend stimme ich da nicht ganz zu. Beim Thema Walter kann ich den Ansatz schon verstehen, zu sagen, dass man ihn früher hätte austauschen sollen, aber der Begründung würde ich widersprechen. Vielmehr sehe ich gerade den eingeschlagenen Weg der immer größeren Anpassung als Problem. Die erste Saison unter Walter war in vielerlei Hinsicht die beste, wobei die Effizienz im Ausspielen der Chancen häufig fehlte. Man war in dieser Saison aber am dominantesten und damit auch in der Defensive am besten abgesichert. Ob es mit oder gegen den Ball ist, der HSV wurde mit der Zeit unter Tim Walter vorsichtiger: weniger defensive Aktionen höher im Feld und weniger Progressivität aus der Verteidigung sind so zwei Stichwörter hierbei. Dazu habe ich im Februar hier mal was geschrieben. Anpassungen dieser Art wurden dann zuletzt sogar zu solch Extremen geführt wie im Spiel gegen Schalke in der Rückrunde. Gewonnen hat man die Partie zwar und der Ansatz war auch durchaus passend für diesen Gegner, aber grundsätzlich hat man leider immer mehr seine eigenen Prinzipien untergraben. Es stimmt zwar, dass innerhalb dieser Prinzipien mehr Kompaktheit ins Spiel gebracht werden musste, damit besonders Umschaltmomente besser verteidigt werden konnten, aber durch einen vorsichtigeren Ansatz am und gegen den Ball, hat man diese nicht gewonnen. Somit sehe ich den Fehler auch nicht darin, dass Walter eingestellt oder zu spät freigestellt wurde. Vielmehr würde es mich interessieren, wie die Entscheidungen entstanden sind immer mehr Prinzipien einzuschränken und abzuschwächen. Ironischerweise brachte Steffen Baumgart die Intensität im hohen Verteidigen wieder zurück, aber ohne eine ähnlich klare Idee am Ball, die mit der Zeit aber noch kommen könnten. Also letztlich kann ich den Trainertausch schon verstehen, finde es aber schade, weil mir die Spielprinzipien von Walter sehr gefallen. Die bittere Ironie des Ganzen ist, dass Walter schließlich gehen musste, weil er das tat, was ihm vorgeworfen wird, zu wenig getan zu haben: Er ging Kompromisse ein und passte sich (zu sehr) an.

      Die Einschätzung zur Einkaufspolitik sehe ich ebenso anders. Verfehlt im Resultat kann man bei dem ein oder anderen bestimmt sagen, aber eigentlich nur bei Spielern für die Breite die minimales finanzielles Risiko boten. Und man kann natürlich auch nicht alles voraussagen. Gegebenenfalls könnte man sich diesbezüglich aber im Scouting verbessern, damit man Tendenzen und Trends in der Entwicklung von Spielern besser prognostizieren kann. Ich weiß aber auch nicht um welche Spieler es dir hier besonders geht. Also möchte ich nicht unbedingt spekulieren oder nur vage antworten.

  2. Danke, super Text! In meinen Augen ist es ja tatsächlich rätselhaft, dass wir immer wieder nicht aufgestiegen sind und ein wenig tragisch: Jenseits des Emotionalen deshalb, weil das seriösere und kompetentere Management der letzten Jahre nicht belohnt wird und deshalb fatale Magath-artige Phantasien wiederbelebt werden. Für die Analyse und die Ausrichtung der nächsten Schritte ist deshalb saubere Analyse der bessere Weg als Boldt-Bashing.
    Zwei Anmerkungen habe ich aber:
    – Die Beurteilung der Leistung und des Werts von Nemeth und Öztunali ist m.E. zu positiv. Fehlgriffe gehören immer dazu, sie zu benennen, stärkt die Analyse.
    Aber viel wichtiger noch sind m.E. zwei echte Fehler von Boldt:
    – Wir haben es seit der Vuskovic-Sperre wiederholt versäumt, die IV aufstiegsreif aufzustellen. Ein Könner (Schonlau) reicht nicht – selbst wenn dieser sich nicht verletzt. Das haben die vielen Gegentore, rote Karten und deshalb verlorenen Spiele der letzten beiden Jahre gezeigt.
    – Ohne Glatzel sind wir viel zu ungefährlich. Die Aufritte von Nemeth haben das gezeigt. Wäre Glatzel länger ausgefallen, hätten wir den Aufstieg vermutlich noch viel früher abschreiben können. In meinen Augen ein extrem hohes Risiko, das Boldt hätte dämpfen müssen (z.B. einen weiteren Mittelstürmer statt Okugawa oder Öztunali).

    Was denkst Du?

    • Vielen Dank! Es freut mich, dass du den Text ansprechend gefunden hast.

      Bei deinem Einwand zu Öztunali liegen wir vielleicht gar nicht so weit auseinander. Denn ich wollte mit meiner Darstellung auch nicht ausdrücken, dass er schon ein erfolgreicher Transfer war oder es noch unbedingt werden wird. Natürlich ist es möglich, dass er auch nächste Saison keinen weiteren Schritt nach vorne macht und dann kann man ihn wohl irgendwann auch als Fehlgriff bezeichnen. Aber mir ging es erstmal nur darum, dass er grundsätzlich keine schlechte Option für die Kaderbreite war. Vielleicht hat man ein wenig unterschätzt welchen Einfluss die lange Phase ohne Spielzeit auf ihn mental hatte. Oder es wurde in Kauf genommen, weil er auch nicht für die Startelf vorgesehen war.

      Bezüglich Vušković sehe ich es etwas anders. Hadzikadunic ist zwar ein etwas anderes Profil als Vušković, ergänzt sich aber extrem gut mit Schonlau. Nur verletzt sich dieser gleich zu Beginn und sehr lange. So hat Hadžikadunić nicht mal Zeit sich einzufinden ehe er neben Schonlaus Alternative, Ramos, spielen muss. Ramos hat zwar auch gute Fähigkeiten im Andribbeln und Linien-Durchdribbeln, aber er hat nicht die Ruhe und Kontrolle wie Schonlau. Mit etwas Eingewöhnungszeit für Hadžikadunić neben Schonlau hätte ich auch bei der Partnerschaft mit Ramos wenig Bedenken gehabt. Aber so war es einfach sehr unglücklich, was sich in der Verunsicherung durch die individuellen Fehler dann noch mal verschärfte. Ansonsten sieht man aktuell aber sehr gut wie das IV-Duo Schonlau-Hadzikadunic ist.

      In Bezug auf Nemeth muss ich leider auch widersprechen, wobei ich deinen Einwand in einem Aspekt verstehen kann. Im Abschluss war Nemeth bis jetzt leider unglücklich. Aber nur weil er noch nicht getroffen hat diese Saison, heißt das ja nicht dass er immer schlecht abgeschlossen hat. Für mich ist das eine Kombination aus guten Paraden, viel Pech und ja, auch ein paar schlechte Abschlüsse waren dabei. Hinzu kommt, dass so ein Mittelstürmer ja nicht nur aufs Tor schießen soll, sondern auch in die Situationen für den Abschluss kommen muss. Und gerade die Tatsache, dass er schon für einige gute Chancen die er nicht verwandelt hat, kritisiert wird, zeigt dass er gute Abschlussmöglichkeiten findet. Und abgesehen von diesen typischen Stürmerqualitäten ist er auch ein sehr gut mitspielender Stürmer, der Bälle gut abschirmt und weitergibt, Innenverteidiger gut (mehr als Glatzel) pinnt und auch in seinen Laufbewegungen viele Räume für seine Mitspieler öffnet, die dadurch zum Abschluss kommen. Das Problem sehe ich somit weniger auf der 9er-Position und tatsächlich mehr auf den offensiven Flügeln, wo die Torgefahr etwas fehlt und zumindest rechts, die technische Qualität. Ich fand die Transfers von Öztunali und Okugawa somit gar nicht so falsch. Sie waren halt auch nur für die Breite gedacht und da man seine Torgefahr sowieso eher aus dem Zentrum ziehen wollte, wo zum Beispiel Benes und Pherai spielen, fand ich diese Transfers auch nicht falsch. Nur was dann aus den beiden zunächst geworden ist, sieht natürlich unglücklich aus.

      Hoffentlich konnte ich dich etwas überzeugen und in der Hinsicht auch positiver stimmen. Aber auch wenn nicht bedanken ich mit für den Austausch. Es ist schön wenn man diese Themen sachlich und mit Ruhe besprechen kann. Das erlaubt leider nicht jeder Fan.

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