14.6, 21 Uhr Deutschland – Schottland in München
15.6, 15 Uhr Ungarn – Schweiz in Köln
19.6, 18 Uhr Deutschland – Ungarn in Stuttgart
19.6, 21 Uhr Schottland – Schweiz in Köln
23.6, 21 Uhr Schweiz – Deutschland in Frankfurt
23.6, 21 Uhr Schottland – Ungarn in Stuttgart
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Vorwort
Es war lange nicht klar, ob es überhaupt eine mögliche Rautenball-EM-Vorschau geben wird und wie diese aussehen könnte. Umso schöner ist es nun, dass hier jetzt Teil 1 von 6 veröffentlicht werden konnte. Ich hoffe, sie bringt für manche Teams etwas Licht ins Dunkel und unterstützt euch vielleicht mit eurem eigenen Wissen, beim Klugscheißen beim Public Viewing oder vielleicht auch bei eurem EM-Tippspiel. Letzteres war wohl am Ende die Inspiration und auch das Vorbild für diese 6-teilige EM-Vorschau, denn die Spielverlagerung WM- oder EM-Previews waren meine ersten Berührungspunkte mit dem Schachspiel hinter dem eigentlichen Sport. Hätte es diese nicht gegeben, wäre auf dieser Plattform wohl auch keine Vorschau zustande gekommen.
Das Turnier wird geprägt sein von vielen Teams, die sich in einem 5-3- oder gar einem 5-4er-Block vor der Abwehr einbunkern und auf Umschalten setzen wollen, aber Nationalmannschaftsturniere waren ja bekanntlich nie der große Quantensprung im Fußball. Dennoch wird es einige Teams geben, die Europa überraschen werden.
Auch der Favoritenkreis ist bei diesem Turnier wahrscheinlich relativ groß. In meinen Augen haben 5 bis 6 Teams das Zeug, dieses Jahr den Titel zu holen, und auch diese sind wahnsinnig unterschiedlich. Manche spielen wirklich tollen Fußball, wiederum andere setzen auf ihre Defensive und hoffen vorne auf ihre individuelle Klasse, die im Handumdrehen ein Spiel für sich entscheiden kann.
Am Ende dieses Turniers wird wahrscheinlich die Nationalmannschaft Europameister, die es schafft, ihre Schwächen (die hat jede Mannschaft) am besten zu kaschieren. Sei es über harte Arbeit, gute Matchpläne oder einfach auch nur das Glück am richtigen Tag des Jahres.
Viel Spaß beim Lesen der EM-Vorschau. Wer Europameister wird oder wie weit eure Nation kommen kann, kann ich euch leider trotzdem (noch) nicht sagen.
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Deutschland
9. September 2023. Der deutsche Fußball steht 279 Tage vor dem Start der Europameisterschaft nach dem 1:4 gegen Japan vor einem neuen Tiefpunkt und mitten in einer Identitätskrise. Die Sorgen vor der EM im eigenen Land steigen beim DFB und man reagiert. Julian Nagelsmann ersetzt Hansi Flick. Aber auch die Hoffnung auf Besserung verfliegt nach den Auftritten gegen die Türkei und Österreich. Allerdings reichen zwei Siege über Frankreich und die Niederlande sowie eine brillante Markenkampagne, um das Land langsam, aber bestimmt in EM-Stimmung zu versetzen.
Inzwischen ist die Vorfreude bei vielen im Land zu 100% angekommen und auch die Hoffnung auf den Titel lebt. Das Grundgerüst sah vor allem im Test gegen die Ukraine durchaus solide aus und macht Lust auf mehr. Da ändert auch die etwas maue erste Halbzeit im Spiel gegen Griechenland eher wenig. Das Land ist voller Euphorie. Es liegt jetzt an Julian Nagelsmann und der deutschen Nationalmannschaft, aus dieser Euphorie das nächste Sommermärchen zu schreiben.
Kader & Formation
Auch dieses Jahr sind wir in Deutschland wohl wieder fast 84 Millionen Bundestrainer. Fragt man die Fans, dann sind wohl nur Toni Kroos, Florian Wirtz und Jamal Musiala unumstritten. Daraus kann man nun verschiedene Schlüsse ziehen. Einerseits ist der Kader in der Breite qualitativ gut aufgestellt, andererseits gibt es verschiedene Spielerprofile. So muss man sicherlich unterscheiden, ob man effektiv über zwei Personalien diskutiert oder über einen anderen Ansatz auf dem Spielfeld.
Beginnen wir trotzdem im Tor. Manuel Neuer ist auch nach seinem Fehler gegen Griechenland die unangefochtene Nummer 1. Dies hat Trainer Nagelsmann nach dem Griechenland-Spiel noch einmal eindeutig klargemacht. Auch sind sämtliche Personaldiskussionen in der Viererkette wahrscheinlich nur auf Social Media eine wirkliche Debatte und eben nicht beim Trainer selbst. Kimmich, Rüdiger, Tah und Mittelstädt sollten gesetzt sein. Das Gleiche gilt auch für die Doppel-6 von Kroos und Andrich.
Veränderungen am Grundgerüst erwarte ich, wenn dann, im Offensivquartett. Musiala und Wirtz werden in jedem Spiel gesetzt sein. Der größte Wackelkandidat wird wohl Kapitän İlkay Gündoğan sein. Die Alternative wäre für einen ähnlichen Ansatz wohl am ehesten Deniz Undav, der auch schon in Stuttgart gezeigt hat, dass er für diese Rolle hinter der 9 durchaus ein Faktor sein könnte. Für einen anderen fußballerischen Ansatz im letzten Drittel wären die Alternativen Leroy Sané (je nach Fitness) oder Chris Führich.
Die Philosophie-Frage stellt sich auch auf der Position des Stürmers. Ist Havertz eher der Stürmer, der sich permanent aktiv in das Spiel im letzten Drittel durch sein permanentes Abkippen einbindet, wäre Füllkrug eher der Typ klassische 9, den Nagelsmann aber auch von der Bank zu schätzen weiß.
Ich halte es aber für sehr wahrscheinlich, dass Nagelsmann seinen Matchplan mit dem für ihn richtigen Personal füllen wird. Das gibt die Breite des Kaders durchaus her.
Spiel mit Ball
Wer Nagelsmann-Fußball bestellt, bekommt Ballbesitzelemente mit vielen zentralen Überladungen, vielen Kippmomenten und immer auf der Suche nach einer progressiven Lösung mit dem Ball. In erster Linie kippt Toni Kroos links ab auf die erste Aufbaulinie im deutschen Spiel. Zusammen mit Tah und Rüdiger variiert diese Dreier-Linie durchaus in der Breite, was Vor- aber auch Nachteile mit sich bringt. Beide Außenverteidiger agieren im Aufbau zunächst als Breitengeber. Zentral vor der Abwehr steht Andrich als Pivot in Aufbaulinie zwei. In den Spielen gegen Frankreich und die Niederlande wurde hier situativ von Toni Kroos aufgefüllt. Diese Elemente sah man gegen die Ukraine und Griechenland wenig bis gar nicht mehr.
Die verbliebenen vier Offensivleute sind meist im Zwischenlinienraum vor der gegnerischen Abwehrkette oder in der letzten Linie zu finden, allerdings alle mit Abkipptendenzen, die bei Musiala und Wirtz am stärksten ausgeprägt sind.
Die Idee im Spiel mit Ball ist, wie schon erwähnt, das Spielen durch das Zentrum durch zentrale Überladungen. Prinzipiell versucht die deutsche Nationalmannschaft hier immer wieder im Halbraum Diamanten in ihrer Struktur herzustellen. Man ist hier aber personell wahnsinnig variabel.
Immer gleich sind eigentlich nur die Positionen des tiefen Spielers (Kroos) und des Breitengebers (Mittelstädt). Daneben oder dahinter herrscht eine hohe künstlerische Freiheit. So kann die tiefere Halbraumposition (Musiala) durchaus auch von der zuschiebenden 6 (Andrich) besetzt werden oder situativ von anderen abkippenden Spielern aus der letzten Linie. Auch die höchste Position (Wirtz) ist variabel besetzbar. Gündoğan und auch Havertz können hier als Tiefengeber im Diamanten agieren oder situativ noch mehr Personal in den Halbraum schieben. Auch ist sich die deutsche Mannschaft nicht zu schade, einfach die Tiefe zu attackieren. Kann man hier durch mannverfolgtes Abkippverhalten die letzte Kette des Gegners auseinanderziehen, erfolgt situativ eine kohärente Tiefenlaufbewegung eines Mitspielers hinter die Kette des Gegners.
Diese extremen Überladungen, gepaart mit der hohen technischen Qualität des deutschen Teams, machen die Deutschen im letzten Drittel zu einem brandgefährlichen Team. Es reicht meist ein eröffnender Pass und eine gute Bewegung oder Folgeaktion, um offensiv in die Dynamik zu kommen. Auch öffnet sich durch dieses deutsche Spiel die ballferne Seite. Kimmich agiert zwar oft mit minimaler Breite in höheren Zonen, dies gilt aber nicht immer für Mittelstädt, der durchaus eine Option für eine Verlagerung in den freien Raum ist.
Mit Toni Kroos in der ersten Aufbaulinie steht die nächste große Qualität des deutschen Teams bereit. Es braucht eben nicht immer ein kompliziertes Kombinationsspiel aus der ersten Linie heraus. Kroos’ Qualität, aus der ersten Linie viele Gegner mit seinem Passspiel aus dem Spiel zu nehmen, ist immer noch auf Weltklasseniveau. Kann man hier Musiala, Wirtz oder Gündoğan ins Spiel bringen, kann es selbst auf sehr engem Raum unangenehm für jeden Gegner in diesem Turnier werden.
Nach dem Spiel gegen Griechenland gibt es nun aber die ersten Fragezeichen über diesen Ansatz des permanenten zentralen Überladens.
Die Griechen agierten durchaus aggressiv und pressten teilweise aus einer 4-4-2-Struktur heraus. Kombiniert mit der engen, horizontalen Staffelung der ersten Aufbaulinie fehlten den Deutschen viele Optionen aus der ersten Linie heraus. Auch das Abkippen von Musiala und Co. konnte selten genutzt werden. Entweder war die Passspur direkt durch einen Deckungsschatten versperrt, der Passwinkel nicht ideal oder sofort ein immenser Druck auf den Passempfänger vorhanden. Schafften es die Griechen durch ihr Anlaufverhalten in Ballnähe, ein Mann gegen Mann herzustellen, in dem der freie deutsche Spieler auf der ballfernen Seite verhungerte, kamen die Deutschen durchaus ins Schwimmen, wie man eindrücklich beim 0:1 beobachten konnte. Die Idee gegen den Ball war eindrucksvoll und wird wahrscheinlich auch bei den deutschen Gegnern Thema in der Analyse sein.
Die Abhilfe gegen solche “Mann-gegen-Mann-High-Press-Probleme” hat Julian Nagelsmann glücklicherweise parat.
Das Verändern der horizontalen Staffelung der ersten Aufbaulinie war eine der ersten Anpassungen. Die Deutschen standen nun weitaus breiter als zuvor. Rüdiger konnte oft in erster Linie andribbeln und so diesen griechischen Defensivblock vor Entscheidungen stellen und auch oft das erste 1v1 auflösen.
Die Variante Leroy Sané, die von vielen Leuten diskutiert und gefordert wird, ist der andere Hebel von Nagelsmann in einem solchen Spiel. Neben seinen 1v1-Qualitäten bringt Sané als Breitengeber auch andere positive Effekte für das Spiel mit. So kann nämlich Kimmich im Aufbau viel zentraler agieren, was dazu führt, dass er seine Gegenspieler viel effektiver binden kann als noch isoliert in der Breite. Zusätzlich können sich aus diesen Staffelungen mit Sané als Breitengeber durchaus mehr zentrale Räume auftun als mit einem weiteren zentralen Spieler wie Gündoğan.
Spiel gegen den Ball
Das Spiel der deutschen Nationalmannschaft definiert sich gegen den Ball vor allem über ein Schlagwort: Gegenpressing.
Die Nagelsmann-Elf ist hier fast schon maximal aggressiv und gewillt, auch viele Risiken in der Restverteidigung einzugehen. Aber es ist aufgrund der offensiven Spielweise der deutschen Nationalmannschaft eine durchaus sinnvolle Herangehensweise im Spiel gegen den Ball.
Durch ihr extremes Überladen im eigenen Ballbesitzspiel haben die Deutschen fast immer ballnahe Gleichzahl, wenn nicht sogar situativ eine Überzahl. Das versucht man sich in der Folge zu Nutze zu machen. Geht in diesen Zonen ein Ball verloren, triggert es in vielen Situationen die direkte Defensivattacke der Deutschen. Man schiebt hier teils extrem zu und spielt je nach Zuordnung und Staffelung des Gegners mannorientiert über den gesamten Platz. Die deutsche Mannschaft ist in diesen Situationen gut, aber leider noch nicht sehr gut. Die Risiken dieses Ansatzes bekommt man trotzdem des Öfteren zu spüren. Schafft es der Gegner sich aus der Umklammerung zu lösen, haben die Deutschen riesige Probleme in der Restverteidigung.
Durch die aufgerückten Außenverteidiger und die leicht höher stehenden Kroos und Andrich sind meistens Tah und Rüdiger isoliert in der Restverteidigung. Der Gegner hat in diesen Szenen neben dem direkten Weg in die Tiefe fast immer die Option, zunächst den Weg über den Halbraum oder die Schiene zu nehmen. Das ist wahrscheinlich auch die weniger gefährliche Variante als der zentrale Tiefenweg des Gegners. Die Chance, das Umschaltspiel zu verzögern, ist hier deutlich höher. Hier kommt es auch auf Manuel Neuer an, der durch sein offensives Torwartspiel dem Gegner durchaus eine vielversprechende Chance nehmen kann, wenn sie nicht ganz sauber gespielt ist.
Verteidigt das deutsche Team geordnet, passiert das aus einer 4-2-2-2- oder 4-4-2-Struktur heraus. Die Deutschen zeigen hier einen klaren Zentrumsfokus.
Gündoğan schiebt situativ aus seiner Position am gegnerischen Sechser in die letzte Linie vor. Dies erfolgt oft mit einem gut platzierten Deckungsschatten. Musiala und Wirtz stehen in ihren Halbpositionen eher zentral orientiert und schieben auf den gegnerischen Außenverteidiger meist auch mit einem guten Deckungsschatten heraus.
Wird das deutsche Anlaufverhalten etwas aggressiver, dann ist Kroos der Teil der Doppel-6, der offensiv durchschiebt. Andrich ist tendenziell etwas absichernder orientiert. Die Räume, die Robert Andrich in diesen Situationen schließen muss, können hier sehr groß werden und dadurch ein Problem für das deutsche Team darstellen.
Fällt das deutsche Team in diesen Situationen in eine Passivität, dann ist man hier durchaus verwundbar, da auch ein situatives Vorwärtsverteidigen von Tah, Rüdiger und Co. seine Risiken mitbringt.
Umso wichtiger ist es, dass das deutsche Angriffs- und Gegenpressing sitzt. Kommt man hier nicht gut in die Situationen, dann bietet man dem Gegner viele Möglichkeiten.
Prognose
Die Deutschen haben das Werkzeug, jedes Team in diesem Turnier zu knacken und zu besiegen. Der schottische Tiefenblock wird sicherlich eine Geduldsprobe sein, allerdings sollte die Qualität von Musiala und Wirtz in diesen engen Räumen einen entscheidenden Unterschied machen. Das defensiv anfällige aber mutige Ungarn bringt neue Schwierigkeiten mit sich, für die die Deutschen aber jedes Werkzeug besitzen. Das Gleiche gilt für die hoch und aggressiv pressenden Schweizer. Sollte man nicht wiederholt an sich selbst scheitern, wird man souverän Gruppenerster werden. Verläuft die EM ohne große Überraschungen, wartet wohl ein schwieriger Turnierbaum auf das deutsche Team und Julian Nagelsmann. Ein Weg ins Finale über England, Spanien und Portugal ist nicht unrealistisch. Aber man hat die Qualität, auch diesen Weg erfolgreich zu gestalten. Gehen die Deutschen gut mit ihren Chancen um und schaffen es im Verlauf des Turniers, eine bessere Balance gegen den Ball zu finden, dann kann es weit für diese Mannschaft gehen. Es bleibt trotzdem ein Spiel mit viel Risiko. Die Voraussetzungen sind aber alle da, um ein neues Sommermärchen schreiben zu können.
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Schottland
Die letzten 9 Spiele sind nicht unbedingt der Mutmacher, den die Schotten vor dem Turnier in Deutschland gebrauchen konnten. Nur 1 Sieg aus 9 Spielen steht hier zu Buche. Und dieser kam auch nur gegen das kleine Gibraltar. Die Mannschaft von Trainer Steve Clarke ist nicht unbedingt in der EM-Verfassung, in der man gerne vor dem Turnier sein würde. Auch personell gibt es Sorgen. Mit Aaron Hickey, Lewis Ferguson und Lyndon Dykes fehlt durchaus Qualität im schottischen Kader. Ob es nun im vierten EM-Anlauf für die K.O.-Phase reicht?
Kader & Formation
Trainer Clarke zeigte sich in manchen Qualifikationsspielen durchaus experimentierfreudig. So brachte er anstatt der etablierten Fünferkette auch mal eine Viererkette auf das Feld, zuletzt auch beim 2:0 gegen Gibraltar. Dennoch würde mich alles andere als eine Fünferkette doch schwer wundern. Genauer gesagt erwarte ich ein 5-2-2-1.
Im Tor sollte trotz viel Rotation Angus Gunn (Norwich City) gesetzt sein. Das Gleiche gilt in der Fünferkette für Andrew Robertson (Liverpool) und Kieran Tierney (Real Sociedad). Zentral wird es wohl auf Liam Cooper (Leeds) oder Grant Hanley (Norwich City) hinauslaufen. Auf der rechten Innenverteidigerposition steht noch ein Fragezeichen. Optionen sind Jack Hendry (Al-Ettifaq), Ryan Porteous (Watford FC) oder Scott McKenna (FC Kopenhagen). Hendry hat im letzten Test den Vorzug bekommen.
Im Mittelfeld ist die Situation etwas klarer. Scott McTominay (Manchester United) wird wohl mit Billy Gilmour (Brighton) die Doppel-6 bilden. Erste Alternative wäre Callum McGregor (Celtic Glasgow). Auf den Halbpositionen in der Offensive erwarte ich John McGinn (Aston Villa) und Ryan Christie (Bournemouth).
Im Sturm läuft es entweder auf Ché Adams (Southampton) oder Lawrence Shankland (Hearts of Midlothian) hinaus. Es sieht so aus, als hätte Shankland aktuell die Nase vorn.
Spiel mit Ball
Das Spiel mit dem Ball ist sicherlich nicht das unverkennbare Markenzeichen der Schotten. Ganz im Gegenteil sogar. Es gab Spiele in der Qualifikation, die absolut eindimensional waren. Aber man versucht aktiv daran zu arbeiten, mit einer klaren Idee.
Strukturell ordnet sich das in einer Art 3-4-3 an. Die Innenverteidiger fächern nicht wahnsinnig breit auf. Sie halten meist geringe Distanzen zueinander, allerdings ohne sich dabei auf den Füßen zu stehen. Die Innenverteidiger haben auch nicht die größte Verantwortung im eigenen Ballbesitz. Das Spiel läuft nämlich viel mehr über das Passmonster Gilmour aus der zweiten Aufbaulinie heraus. In dieser steht er zentral eigentlich isoliert, situativ kann aber selbst ein Shankland durchaus mal abkippen.
Wenn möglich, haben die Schotten in ihrem Spiel lieber eine hohe personelle Präsenz im letzten gegnerischen Drittel. Das Quartett um McTominay, Shankland, Christie und McGinn kann hier durchaus Variabilität zeigen, allerdings ohne extrem weiträumig zu agieren.
Das Ziel im schottischen Spiel ist jedoch nicht das kontrollierte Spiel durch das Zentrum, sondern vielmehr das Verlagern aus dem Zentrum heraus auf die Schiene, vorzugsweise auf Andy Robertson.
Nach dem eröffnenden Ball von Gilmour wird, wenn es klappt, über eine Station die Breite gesucht. Die Schotten suchen bei wenig Druck auch gerne mal die ballferne Schiene mit einem hohen Diagonalball. Viele Optionen hat Robertson in diesen Situationen dann allerdings nicht. Aus den Fünferkettenstrukturen ist er meist isoliert auf der Schiene. Spielt Schottland in einer Viererkette, gibt es hier durchaus mal Pärchenbildung auf Außen.
In hohen Zonen entstehen Dreiecke und gute Staffelungen fast ausschließlich über die linke Seite mit Robertson und Tierney. Hier schafft man es durchaus mal, Tiefe in das schottische Spiel zu bekommen.
Die größte Waffe der Schotten folgt dann mit der Robertson-Flanke. Die Boxbesetzung der Schotten ist in diesen Situationen gut, das Hereinstoßen aus der Tiefe von McTominay macht die Schotten in diesen Szenen nur noch gefährlicher. Es ist kein Zufall, dass man hieraus die meiste Gefahr generiert und auch die meisten Tore schießt.
Eine weitere Stärke ist das Umschaltspiel der Schotten. Hier agiert man oft sehr geradlinig und zielstrebig. Ansonsten ist das Spiel mit Ball der Schotten vor allem mit einem Ché Adams auf dem Platz durchaus auch auf lange Bälle ausgelegt, mit einer folgenden Verlagerung auf die Schiene, in der dann die gleichen Prinzipien in der Boxbewegung abgespielt werden. Nachhaltigen Erfolg wird es wahrscheinlich nicht bringen. Auch sind 17 Tore aus knapp 9 Expected Goals ein weiterer Indikator dafür, dass das Spiel der Schotten auch von ihrer Effizienz vor dem Tor gelebt hat.
Spiel gegen den Ball
Wenn jemand eine Strichliste führen möchte: Hier kommt der erste tiefe 5er-Block. Genau gesagt agieren die Schotten defensiv in einer 5-4-1-Struktur. Und dies tun sie auch aus tiefen Zonen heraus.
Die Schotten bringen in ihrem 5-4-1 eine hohe vertikale und horizontale Kompaktheit mit sich und haben auch einen klaren Plan, in welchen Zonen sie attackieren und Bälle gewinnen wollen. Der 5-4er-Block vor der Abwehr erschwert das Spiel über das Zentrum enorm, sodass die Schotten es meistens gut schaffen, das gegnerische Spiel auf die Außen zu lenken. Hier möchte Schottland Bälle gewinnen.
Erhält der gegnerische Breitengeber den Ball, dann schieben der Außenverteidiger und der ballferne Halbraumspieler sofort zu und versuchen, einen Ballgewinn zu erzielen. Der ballführende Spieler hat auf den ersten Blick nur den direkten Rückpass.
Es bieten sich aber bei dem schottischen Zugreifen trotzdem auch Lücken in der Defensive und es zeigt sich, wo diese auch verwundbar sind. Denn die Schotten haben durchaus ihre Probleme beim Durchschieben.
In diesem Beispiel muss nun Innenverteidiger Hendry auf das Attackieren von Christie reagieren. In diesen Szenen ist man aber oft nicht schnell genug in der Reaktion, sodass der Gegner hier ein paar Sekunden Vorsprung in den Aktionen hat. Die Zuordnung untereinander wirkt nicht immer ideal und gut abgestimmt. Auch kann das erste Herausschieben eines Innenverteidigers eine Kettenreaktion auslösen, die den gesamten Defensivverbund vor Zuordnungschaos stellen kann.
Phasen mit höherem Anlaufen gibt es bei den Schotten eher selten, höchstens mal bei Rückstand. Aber auch diese sind nicht sonderlich aggressiv und es gilt immer noch eine gewisse Vorsicht.
Einer der beiden Halbraumspieler schiebt neben den anlaufenden Stürmer und es bildet sich ein 5-3-2. So entstehen zumindest zentral leichte Mannorientierungen. Ist nun speziell McGinn tief gebunden, dann ist dieser sehr konservativ in seinem Durchschieben in die Breite oder letzte Linie.
Die theoretisch freien Zwischenlinienspieler vor der schottischen Fünferkette werden dann durch Vorwärtsverteidigen der Innenverteidiger aufgefangen. Es wird aber nicht sofort durchgeschoben, sondern wird meist erst bei gespieltem Pass aus der Kette herausgerückt.
Prognose
Das fehlende Selbstvertrauen der Schotten sollte nicht unbedingt hilfreich sein für den schweren Turnierstart gegen die Deutschen. Über ein erstes Weiterkommen in die K.O.-Phase werden auch die zwei weiteren Gruppenspiele entscheiden. Die Schweiz und Ungarn werden viel investieren müssen, um diesen schottischen Low-Block zu knacken. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für das deutsche Team.
Schafft man es, an den Zuordnungsproblemen zu arbeiten und findet gleichzeitig die Stärke und Effizienz aus den ersten 5 Qualifikationsspielen zurück, dann können die Schotten auch die Überraschung dieser Gruppe werden. Aktuell braucht man für ein solches Szenario aber noch etwas Fantasie.
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Ungarn
Nach 2021 sind die Ungarn nun erneut in der deutschen Gruppe. Trainer Marco Rossi schaffte es schon vor 3 Jahren, den großen Gruppengegnern weh zu tun. Nicht zuletzt auch den Deutschen, denen man ein 2:2 abtrotzen konnte. Nach einer soliden Qualifikation, in der man ungeschlagen Gruppenerster wurde, möchte man jetzt den nächsten Schritt gehen. Auch ist der Kader rund um Starspieler Dominik Szoboszlai wohl besser als noch vor 3 oder 8 Jahren. Ob es trotzdem für mehr als nur die Vorrunde reicht, hängt mehr an Szoboszlai, als man als Anhänger der ungarischen Mannschaft hoffen würde.
Kader & Formation
Vor dem Turnierstart gibt es in der ungarischen Startelf eher wenige Fragezeichen. Grundstrukturell bringt Trainer Rossi ein 3-4-2-1 auf das Feld. Torwart Péter Gulácsi (RB Leipzig) steht unangefochten im Tor der Ungarn. Das gleiche gilt in der Dreierkette davor für seinen Teamkollegen Willi Orbán (RB Leipzig). Auch der rechte Innenverteidiger Ádám Lang (Omonia Nikosia) sollte gesetzt sein. Auf der linken Innenverteidigerseite streiten sich zwei bekannte Gesichter aus der Bundesliga. Attila Szalai (SC Freiburg) hat aber wohl die Nase vorn gegenüber Márton Dárdai (Hertha BSC).
Als linker Schienenspieler ist Milos Kerkez (Bournemouth) gesetzt. Rechts ist es eine Frage zwischen Bendegúz Bolla (Servette Genf) und Loïc Nego (Le Havre). Ein weiteres 50-50 ist die zentrale Mittelfeldposition neben Ádám Nagy (Spezia Calcio). Hier hat wohl Callum Styles (FC Barnsley) die Nase vorn.
Das Offensivtrio ist hingegen gesetzt und unangefochten. Dominik Szoboszlai (FC Liverpool), Roland Sallai (SC Freiburg) und Barnabás Varga (Ferencvárosi TC) sind hier die Hoffnung für die ungarische Nationalmannschaft.
Spiel mit Ball
Im Spiel mit dem Ball setzen die Ungarn eher auf Relationismus. Hierbei stehen nicht strikt festgelegte positionelle Prinzipien im Vordergrund, sondern vielmehr das Besetzen von Räumen. Mit dieser Herangehensweise sind die Ungarn sicherlich die Exoten dieser EM.
In tiefen Zonen orientiert sich die Spielstruktur trotzdem eher an positionellen Prinzipien. Strukturell handelt es sich dabei, abhängig von der Höhe der Wingbacks, um ein 3-4-2-1-System. Die drei Innenverteidiger sind dabei sehr breit aufgestellt. Kerkez und Bolla agieren mehr wie Flügelspieler als Flügelverteidiger und sind im eigenen Ballbesitz meist offensiv ausgerichtet. Die Doppel-6 agiert ebenfalls in diesen Zonen vor der Abwehr, wodurch ein 3-2-Aufbau entsteht.
Generell hat jeder Spieler in tiefen Aufbauphasen die Freiheit, in diese Zonen abzukippen.
Wenn es gelingt, den Gegner in höhere Zonen zu locken, wird oft direkt die gegnerische letzte Kette mit einem langen Schlag angegriffen. Insbesondere Stürmer Varga ist in diesen Situationen sehr weitläufig unterwegs und schafft es, den ein oder anderen langen Ball zu erlaufen. Dadurch verschafft er dem Rest der Mannschaft Zeit, um nachzurücken und in diese Aktionen eingreifen zu können.
Die Ungarn zeigen eine große Variabilität in ihrem Spiel, die sich über alle Bereiche des Feldes erstreckt. Rotationen finden statt, um eine hohe Überladung auf einer Spielfeldseite zu erzeugen, während gleichzeitig Dreiecksbildungen und Durchbrüche in die Tiefe gesucht werden. Diese Rotationen ermöglichen es Spielern wie Sallai, Szoboszlai und Varga, situativ in die Tiefe zu gehen, nicht nur der designierte Schienenspieler. Im letzten Drittel spielen die Ungarn oft überlegt und variieren ihre Aktionen, anstatt sich nur auf einfache Flanken zu verlassen.
Zusätzlich zeigen sie eine hohe Flexibilität in ihrer Aufbaustruktur, bei der Spieler wie Nagy und Styles in der ersten Linie agieren können, während sich Sallai und Szoboszlai in die zweite Aufbaulinie zurückfallen lassen.
Generell ist Dominik Szoboszlai der Dreh- und Angelpunkt. Er bindet sich sehr gut ein und findet ballnah immer gute Räume. Außerdem agiert er wahnsinnig weiträumig. Auch im letzten Drittel suchen die Ungarn ihren Spielmacher. In vielen guten Offensivaktionen hat er seine Füße im Spiel und genießt praktisch jede Freiheit unter Trainer Rossi.
Ein weiteres Beispiel für den ungarischen Relationismus ist das Überlaufen der Innenverteidiger auf der Schiene. Lang und Szalai / Dárdai füllen regelmäßig die Schiene auf und schaffen so ein Outlet für ein Bespielen der Tiefe. Die Ungarn sind zudem in hohen Zonen durchaus risikobereit.
Das gesamte Team schiebt hier brutal hoch und erdrückt den Gegner mit seiner personellen Präsenz. Auch das Nachschieben in die Box ist eine große Stärke.
Auch bei Standards dürfen die Ungarn nicht unterschätzt werden. Ganze 7 von 16 Toren in der EM-Qualifikation wurden aus Standardsituationen erzielt. Diese könnten besonders gegen die kompakte Defensive der Schotten eine wichtige Waffe sein.
Spiel gegen den Ball
Wie man sich angesichts des hohen personellen Aufwands vorstellen kann, nutzen die Ungarn diese Präsenz auch für ihr Spiel gegen den Ball. Sie legen einen besonderen Fokus auf das Gegenpressing, welches oft mit einem enormen Risiko verbunden ist.
Geht in den hohen Zonen der Ball verloren, gehen die Ungarn sofort aggressiv drauf. Das Team von Rossi schiebt dann mannorientiert zu und versucht postwendend einen Ballgewinn zu erzielen. Durch die Umtriebigkeit von Szoboszlai ist dieser häufig direkt anspielbar und so können die Ungarn schnell Gefahr durch Umschaltsituationen erzeugen.
Wie bereits erwähnt ist das Risiko, das Ungarn hier eingeht, hoch. Die Restverteidigung ist oft komplett allein gelassen und steht nicht immer ideal gestaffelt, um das gegnerische Umschaltspiel in der zweiten Phase stoppen zu können.
Dies liegt auch daran, dass gerade das offensive Trio sich nicht viel um die Arbeit gegen den Ball reißt. Sind diese drei Mal überspielt und die Außenverteidiger noch aufgerückt, entsteht bei den Ungarn ein durchaus lückenhafter 3-4 Block, der viel Raum (vor allem in die Tiefe) zu bespielen lässt.
Die Restverteidigung ist wahrscheinlich Ungarns Achillesferse. Schnappt das Gegenpressing nicht zu, sind Orbán, Szalai und Lang oft auf sich allein gestellt. Es ist ein Spiel mit dem Feuer.
Auch ist das Spiel aus dem Angriffs- oder Mittelfeldpressing nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Strukturell agiert man hier meist aus 5-2-3-Formationen heraus und verfolgt speziell in der zweiten Linie mehr einen Zonenansatz. Styles und Nagy agieren als Raumfüller und lassen zunächst nicht auf ein Mann-gegen-Mann-Verteidigen schließen.
Mann gegen Mann verteidigt man meist erst, wenn Szoboszlai den Rhythmus mehr in ein aggressiveres Anlaufen bestimmt. Wenn man ihn beobachtet, wirkt es so, als hätte er hier auch die Zügel in der Hand.
Styles und Nagy schieben dann die zweite Aufbaulinie des Gegners zu. Situativ unterstützen die Flügelverteidiger hier in der Linie und schieben weit vor.
Der Raum vor der Dreierkette wird dann komplett vernachlässigt oder fast schon ignoriert. Die Abstände zwischen Kette und dem anlaufenden Mittel werden teils riesig, sodass ein großes Loch vor der Abwehr entstehen kann. Die Innenverteidiger sind dann gezwungen, diesen Raum ebenfalls mitzuverteidigen. Dass hier eine Anfälligkeit besteht ist selbsterklärend.
Ein weiteres Problem der Ungarn ist die Passivität in jeder defensiven Phase. Es beginnt teils mit einer passiven ersten Defensivreihe, die dem Gegner jede Freiheit gibt. Zudem steht man oft vertikal nicht sonderlich gut gestaffelt und ziemlich hoch. Man bietet dem Gegner mit diesem passiven Ansatz durchaus die Möglichkeit, den gesamten Defensivverbund mit einem langen Ball überspielen zu können.
Dieses passive Verhalten erkennt man auch in der eigenen Hälfte wieder. Teilweise bieten die Ungarn höchstens Begleitschutz und kein gutes Defensivverhalten. Eigentlich kann man sich so etwas bei einem großen Turnier nicht erlauben.
Prognose
Der erfrischende Ansatz in ihrem eigenen Ballbesitzspiel ist sicherlich etwas Besonderes bei der EM dieses Jahr. Es macht wirklich Freude, den Ungarn bei ihrem Fußballansatz zuzusehen. Es würde mich nicht überraschen, wenn ungarische Spiele Tendenzen entwickeln, ein Spektakel zu werden.
Das Spiel gegen die Schweiz wird vielleicht direkt zu einer Vorentscheidung für die Gruppenphase. Hier wird es sicherlich Chancen auf beiden Seiten geben. Effizienz und womöglich Standards können hier den Unterschied machen. Gegen das deutsche Spiel wird man sich gegen den Ball sehr schwer tun, dafür ist man oft zu passiv und zu wenig organisiert.
Auch gegen Schottland kann es für die Ungarn zäh und ärgerlich werden. Die Konterstärke der Schotten könnte die Ungarn durchaus auf dem falschen Fuß erwischen aber durch ihr variables Spiel haben sie eigentlich die Qualität, solche Gegner trotzdem zu schlagen. Für einen Lauf bis spät ins Turnier fehlt den Ungarn aber aktuell die Balance zwischen offensivem Output und defensiver Absicherung.
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Schweiz
Die Schweiz gehört inzwischen zum festen Repertoire der Endrunden einer EM oder WM. Seit 2010 ist sie durchgängig dabei und hat kein Turnier mehr verpasst. Die Nati von Coach Murat Yakin möchte wieder an die Erfolge von vor 3 Jahren anknüpfen, als man die Franzosen aus dem Turnier werfen konnte.
Aber es hakt in der Schweizer Nationalmannschaft. Nur Platz 2 hinter Rumänien in der EM-Qualifikation. Inzwischen ist das zu wenig für die Schweizer Ansprüche. Probleme hat Yakins Team vor allem vor dem Tor und im letzten Drittel. 22 Tore aus 23,6 Expected Goals geben einen ersten Hinweis darauf, dass die Chancenverwertung die größte Baustelle der Schweizer ist. Was ist also noch übrig von der Magie, die Shaqiri und Co. in den vorangegangenen Endrunden ausstrahlen konnten?
Kader & Formation
Bei Yakin und der Schweizer Nati gibt es recht wenige Fragezeichen vor dem Turnierstart. Viele Personalien wirken wie in Stein gemeißelt. Die Schweizer stellen sich in einem 3-4-2-1-System auf. Im Tor steht nach wie vor Yann Sommer (Inter Mailand). Er ist unter Yakin weiterhin die Nummer 1 vor Gregor Kobel (Borussia Dortmund). In der zentralen Innenverteidigung agiert Manuel Akanji (Manchester City), links der ehemalige Wolfsburger Ricardo Rodríguez (FC Turin) und rechts erwarte ich Nico Elvedi (Borussia Mönchengladbach). Die erste Alternative auf der Innenverteidigerposition wäre Fabian Schär (Newcastle United). In der Zentrale wird Denis Zakaria (AS Monaco) wahrscheinlich keine Option für die Startelf sein. Stattdessen wird wohl Remo Freuler oder Michel Aebischer (beide FC Bologna) neben Kapitän Granit Xhaka (Bayer Leverkusen) spielen.
Auf den Wingbackpositionen gibt es bei der Schweiz auch zwei klare Stammspieler. Links Dan Ndoye (FC Bologna) und rechts Silvan Widmer (Mainz 05).
Im offensiven Trio fehlt aktuell Breel Embolo (AS Monaco), sodass Zeki Amdouni (FC Burnley) die erste Option für die Position des Neuners sein sollte. Alternativ wäre auch Noah Okafor (AC Mailand) eine Variante. In den Halbraumpositionen erwarte ich rechts Altmeister Xherdan Shaqiri (Chicago Fire) und links Rubén Vargas (FC Augsburg).
Spiel mit Ball
Wenn man Spieler im Kader hat, die unter Pep Guardiola und Xabi Alonso Stammspieler waren, dann sollte man sich ihre Stärken zunutze machen. Zum Glück hat das auch Murat Yakin verstanden. Er verfolgt mit der Nati einen ballbesitzorientierten Ansatz mit durchaus spannenden Elementen.
Die Schweiz startet in einem 3-1(2)-3-2-1 Grundgerüst. Die drei Innenverteidiger agieren meist breit sowie leicht versetzt zueinander. Davor ist Xhaka immer die erste Station, Rhythmusgeber und Lenker des Schweizer Ballbesitzes. Als Achter agiert Freuler häufig leicht diagonal versetzt zu Xhaka, er kann aber durchaus auch horizontal auf die gleiche Linie fallen. Ndoye und Widmer agieren als Breitengeber und schieben situativ hoch in die letzte Kette.
Die beiden Halbraumspieler Shaqiri und Vargas entscheiden letztendlich über den Erfolg in der Offensive. Diese haben unter Yakin durchaus viele Freiheiten. Ihr Auftrag ist es, in offenen Räumen die Bälle zu bekommen, um dann entweder über Kombinationen oder ganz simpel über Dribblings das Spiel anzutreiben.
Die Staffelung der Nati passt aber in diesen Situationen nicht immer. Speziell gegen tief- und passivstehende Gegner fehlt es den Schweizern schlichtweg an Personal in höheren Zonen. Es kommt durchaus mal vor, dass Xhaka und beide Flügelverteidiger hinter dem gegnerischen Abwehrblock stehen. Die verbliebenen vier Offensiven gehen in dem tiefen Block dann unter. Allerdings ist speziell Xhaka gut genug darin, auch aus solchen Situationen die Dynamik mit Geduld und Verlagerungen wiederherzustellen.
Passen die Staffelungen, wird meist die Kombination und der Raum im Halbraum gesucht. Die Grundformation der Schweizer erleichtert diese Diamantenbildung durchaus. Die Schweizer schaffen es entweder über simples Kombinationsspiel in die Tiefe zu kommen oder Xhaka kann sich von seinem Gegner lösen und das Spiel verlagern oder mehr über das Zentrum aufziehen.
Variante 3 ist das Herabkippen des Halbraumspielers (Vargas) und das Angreifen der Tiefe über den Stürmer oder den zurückgezogenen Shaqiri.
Speziell in der ersten Aufbaulinie finden die Schweizer immer wieder gute Lösungen im Kollektiv durch einfache Positionsrotationen. Die Mannorientierungen des Gegners nutzen sie dort dann gerne zu ihrem eigenen Vorteil. Xhaka kippt in diesem Beispiel in die letzte Linie ab, während Shaqiri seine Freiheiten nutzt und in der zweiten Aufbaulinie aushilft.
Das Ergebnis ist, dass Freuler nun zentral keinen direkten Gegenspieler hat und teilweise viel Raum vor der letzten gegnerischen Kette vorfindet, um das Spiel zu gestalten.
Wie bereits erwähnt, ist das letzte Drittel und die Chancenverwertung das Sorgenkind der Schweizer. Hier zeigen sich wiederkehrende Probleme, insbesondere bei der Entscheidungsfindung einiger Offensivspieler.
Ein bewährtes und häufig gesehenes Mittel ist das Spiel über Dritte in den hohen Zonen. Hier überlädt besonders Shaqiri oft ballnah und leitet nach dem Anspiel mit einem Kontakt weiter in die Tiefe auf die Schiene oder sogar auf den Halbraum, was den Spieler sofort in eine Abschlussmöglichkeit bringt. Diese Prinzipien werden jedoch auch über Amdouni und Vargas angewendet. Vor dem Tor versagen den Schweizern dann oft die Nerven. Mit 28 vergebenen Großchancen sind sie “Spitzenreiter” in der EM-Qualifikation gewesen.
Ein anderes Mittel ist ein einfaches Dribbling der Halbraumspieler, um die gegnerische Abwehrkette vor Entscheidungen zu stellen. Insbesondere Vargas (oder Zuber gegen Estland) drehten in diesen Räumen immer wieder auf und lockten den gegnerischen Außenverteidiger heraus. Dabei verpasst die Mannschaft jedoch oft das ideale Timing für den Pass in die Tiefe auf Ndoye, der durchaus die Qualität hat viele 1-gegen-1-Situationen zu lösen und stattdessen den Abschluss aus der Distanz sucht.
Wenn der Ball dann doch zu Ndoye gelangt, fehlt es insbesondere bei hohen Flanken häufig an einem Zielspieler im Strafraum. Das Ausspielen einer Situation ist oft die bessere Lösung für die Schweizer Nationalmannschaft.
Spiel gegen den Ball
Auch die Schweiz legt einen hohen Fokus auf Gegen- und Angriffspressing. Speziell das hohe Anlaufen ist wahrscheinlich mit das Mutigste und Aggressivste von allen teilnehmenden Nationen.
Die Schweiz sucht gegen den Ball über das gesamte Feld das Spiel Mann gegen Mann. Der Gegner wird hier teilweise komplett gespiegelt.
Allerdings beginnt auch dieser mutige Ansatz etwas konservativer. Amdouni, Shaqiri und Vargas agieren zunächst abwartend an der zweiten Aufbaulinie des Gegners. Insbesondere Amdouni orientiert sich hier immer wieder am gegnerischen Spielmacher. Das Ziel der Schweizer ist es in diesen Situationen, das Spiel durch die Mitte zu verhindern und den Gegner auf die Außen zu lenken.
Der Ball auf die Außenposition ist meist der Pressingtrigger für die Schweizer. In der Folge wird alles Mann gegen Mann zugelaufen, und man hofft auf Ballgewinne in der Hälfte des Gegners. Ist dies erfolgreich kann insbesondere über Xhaka einiges an Gefahr entstehen.
Aber auch ohne den Pass auf die Schiene zeigen die Schweizer, dass sie den Gegner früh stören wollen, um daraus Kapital zu schlagen.
Es fehlt in diesen Situationen jedoch durchaus sowohl an vertikaler als auch vor allem an horizontaler Kompaktheit. Die Positionen von Shaqiri und Vargas sind situativ oft zu eng, sodass eine Verlagerung ausreicht, um vertikale Passräume gegen die Schweizer zu öffnen.
Hat der Gegner in diesen Situationen die Qualität, linienbrechende Pässe gegen die Schweizer zu spielen und schafft zudem Anschlussaktionen in der letzten Linie, dann gerät die Fünferkette der Nati durchaus ins Schwitzen. Die Abstimmung und Zuordnung kann hier chaotisch wirken, ebenso wenn der Gegner diesem Druck entkommen kann.
Die Schweiz hat jedoch auch das andere Extrem zu bieten: einen tiefen Block vor der Abwehr. Bei längeren Ballbesitzphasen des Gegners verbarrikadiert sie sich gerne mal in einem 5-2-3 vor dem eigenen Strafraum. Die Schweiz schafft es hier, kompakt zu stehen und lässt oft nur wenig zu.
Aber die Schweizer Mannschaft zeigt auch hier leichte Schwächen. Speziell im Übergeben und Durchschieben gibt es Luft nach oben. Auch in der Abstimmung der Kette (beim Herausrücken und in der Manndeckung) wirkt die Hintermannschaft des Öfteren unsortiert und zu sehr auf den Ball und nicht auf den Gegenspieler fokussiert.
Prognose
Ohne den zweiten Platz und die furchtbare Chancenverwertung könnte die Schweiz durchaus als Geheimfavorit für einen tieferen Lauf im Turnier gelten. Aber am Ende fehlen für diesen Status die Ergebnisse und auch die Konstanz. Die Tests gegen Estland und Österreich waren dennoch in Ordnung, insbesondere auf der defensiven Seite. Das Sorgenkind bleibt jedoch das letzte Drittel. Speziell gegen tiefstehende und gut organisierte Gegner wird man sich wahrscheinlich schwer tun. Hier kann man sich diese Lässigkeit vor dem Tor sicherlich nicht weiter erlauben, wenn man ein erfolgreiches Turnier spielen möchte.
Mit Effizienz vor dem Tor und besser abgestimmten Defensivstrukturen kann es aber durchaus möglich sein, dass die Schweiz wie 2021 ein dickes Ausrufezeichen setzen kann.