16.6, 15 Uhr Polen – Niederlande in Hamburg
17.6, 21 Uhr Österreich – Frankreich in Düsseldorf
21.6, 18 Uhr Polen – Österreich in Berlin
21.6 21 Uhr Niederlande – Frankreich in Leipzig
25.6, 18 Uhr Niederlande – Österreich in Berlin
25.6, 18 Uhr Frankreich – Polen in Dortmund
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Polen
Unter Michal Probierz läuft es für die Polen. 8 Spiele, 6 Siege, 2 Unentschieden. 21:9 Tore. Zuletzt gelangen ihnen in den abschließenden Freundschaftsspielen vor der EM etwas was den Deutschen nicht gelingen sollte: Siege gegen die Ukraine und die Türkei. In der EM-Quali ein Torverhältnis von +/- 0. 10 geschossen, 10 kassiert. Damit stellten die Polen eine Offensive gegen die Nationen wie Schottland (17 Treffer), Ungarn (16) oder Serbien (15) wie offensive Vorzeige-Teams wirkten. Defensiv zeigte die polnische Mannschaft rund um Superstar Robert Lewandowski allerdings beeindruckende Leistungen. Ein xGA-Wert von gerade mal 4,8 bedeutete den fünftbesten Wert aller EM-Quali-Teilnehmer. Dass daraus 10 Gegentore entstanden wird man in Polen sicherlich auf Pech zurückführen. Am Ende setzte man sich in den Playoffs der EM-Qualifikation gegen Wales im Finale im Elfmeterschießen durch. Unter Probierz scheint man auch offensive Lösungen zu finden ohne die defensive Ordnung zu verlieren. Wie sie das schaffen schauen wir uns jetzt an.
Kader & Formation

Im polnischen Kader dreht sich auch bei dieser EURO noch vieles um Robert Lewandowski. Er ist wieder einmal die personifizierte Hoffnung der Polen in der Todesgruppe D.
Probierz bringt seine Polen in einem 3-5-2-System auf das Feld, und eins darf schon verraten sein: Es ist ein durchaus offensives 3-5-2, wenn man nur auf das Personal schaut. Das Tor wird auch bei dieser EURO wieder von Wojciech Szczęsny (Juventus Turin) gehütet. Vielleicht sein letztes großes Turnier, denn Ersatz steht mit Marcin Bulka (OGC Nice) bereit. In der Innenverteidigung gibt es vor dem Turnierstart auch keine Diskussionen. Links startet Jakub Kiwior (FC Arsenal), zentral Paweł Dawidowicz (Hellas Verona) und rechts Jan Bednarek (FC Southampton).
Auf den Flügelverteidigerpositionen bringt der polnische Trainer zwei nominelle Flügelspieler aufs Feld. Auf der rechten Seite Przemysław Frankowski (RC Lens) und links Nicola Zalewski (AS Rom). Matty Cash (Aston Villa) fehlt bei dem Turnier.
Zentral haben die Polen auch eine klare Philosophie, was das Personal betrifft. Mit Jakub Piotrowski (Ludogorets) und Bartosz Slisz (Atlanta United) stehen zwei eher defensiv orientierte Mittelfeldspieler in der Startelf. Ausbalanciert wird es in der Zentrale dann durch Piotr Zieliński (SSC Napoli). Eine weitere offensive Option wäre wohl auch Sebastian Szymański (Fenerbahce Istanbul).
Im Sturm müssen die Polen verletzungsbedingt auf Arkadiusz Milik (Juventus Turin) verzichten. Neben Robert Lewandowski (FC Barcelona) wird wohl Karol Świderski (Hellas Verona) stürmen.
Spiel mit dem Ball
Die Polen bringen in ihrem Spiel mit dem Ball klare Prinzipien und Ideen in diese Europameisterschaft ein, und ihr Fußball hat ein klares räumliches Ziel: die Tiefe hinter den gegnerischen Außenverteidigern, auch Zone 16 und 18 genannt.

Für dieses Ziel haben die Polen zwei recht ähnliche Prinzipien. Aber fangen wir mal vorne an. Die Polen strukturieren sich zunächst in einem 3-1-Aufbau. Slisz agiert vor den Innenverteidigern zunächst als alleiniger Sechser, bis die Polen in ihre Rotation und die eigentlich gewollte Struktur kommen.
Im polnischen Aufbauspiel sollen nämlich Zielinski und Lewandowski als eine Art Zehner agieren. Lewandowski kippt dafür immer wieder in tiefere Räume ab, um Verbindungen herzustellen. Zielinski schiebt auf der rechten Seite ebenfalls auf eine Linie neben Lewandowski. Die beiden eher defensiveren Mittelfeldspieler, die vor allem für Absicherung sorgen, stehen nun in einem 3-2-Aufbau im Verhältnis zu den Innenverteidigern.
Swiderski kippt in dieser Mittelfeldrotation etwas mehr in die zentrale Position, um nicht zusätzliche Räume zu besetzen. Beide Flügelverteidiger schieben extrem weit hoch und agieren teils höher als die Zehnerlinie um Lewandowski und Zielinski.

Variante 1 sieht man vermehrt auf der linken polnischen Seite. Wenn möglich, öffnet Kiwior, der durchaus ein solides Passspiel mitbringt, linienbrechend auf Lewandowski. Dieser kann nun entweder mit wenigen Kontakten direkt in die Tiefe auf den startenden Zalewski verlängern oder gar die direkte Steilpassoption auf einen einlaufenden Swiderski suchen. Option B wählen die Polen jedoch meistens nur bei wenig bis keinem Druck auf den Ballführenden und genügend Raum hinter der Kette. Das Suchen der Schienentiefe ist hier weitaus öfter die bevorzugte Variante.

Variante 2 auf der rechten Seite bringt etwas mehr Variabilität mit sich und ist meiner Meinung nach auch erfolgsversprechender. Die beiden hoch aufgerückten Spieler, Zielinski und Frankowski, spielen im Idealfall ein 2v1 gegen den gegnerischen Außenverteidiger, sodass dieser in seinem Defensivverbund eine Entscheidung treffen muss. Springt der Außenverteidiger nun auf Zielinski, wählen die Polen den direkten Tiefenball auf Frankowski.
Bietet sich die Passspur für Zielinski an, dann wird auch diese gewählt. Zielinski ist hier als 10er in der Situation weitaus weiträumiger als Lewandowski.
Eine weitere Variante ist auch das Ausspielen und die resultierende Tiefenattacke von entweder Zielinski oder Frankowski.

Das Timing spielt hier aber eine riesige Rolle. Agiert Zielinski zu tief oder situativ auch zu breit, dann entsteht ein riesiges Loch im Aufbau der Polen. Die defensiven Zentralen bringen hier zu wenig Qualität am Ball mit, um diese Löcher wirklich effektiv füllen zu können. Generell geht von Slisz und Piotrowski relativ wenig Verantwortung im Spiel mit Ball aus.
Oft kommt auch ein langer Ball schon von den Innenverteidigern. Allerdings sollten die Polen hier extreme Vorsicht walten lassen. Sie zeigten sich in Qualifikationsspielen und auch im letzten Test gegen die Türken immer noch extrem anfällig für gegnerisches Pressing und glänzten hier mit einer hohen Fehlerquote. Das müssen die Polen dringend abstellen, um in dieser Gruppe überhaupt eine Chance zu haben.
Ansonsten werden die Polen auch wieder auf ihre Standards angewiesen sein, um regelmäßig Gefahr ausstrahlen zu können. Auch sollte der Gegner nicht den Fehler machen, den Polen zu viel Raum bei zu wenig Druck zu geben. Sie sind in ihrem Tiefe suchenden Spiel gut genug, um jede Passivität zu bestrafen. Das gleiche gilt auch vor dem Strafraum. Bietet sich eine Chance für einen Abschluss aus der Distanz, dann wird diese Chance meistens gezogen.
Spiel gegen den Ball
Das Defensivspiel der Polen ist weder besonders gut noch besonders schlecht. Es liegt, je nach Tagesform und Gegner, irgendwo dazwischen. In der Regel zeigen sich auch im Laufe eines Spiels die verschiedenen Facetten der polnischen Defensive.

Meistens agiert Polen aus einem Midblock heraus, der sich als 5-3-2 formiert. Die Polen legen viel Wert auf ihre räumliche Struktur und verteidigen zunächst aus einer Raumorientierung heraus.
Wenn es keine gute Option für ein Angriffspressing gibt, agieren die Polen eher abwartend aus ihrem Block heraus. Zuschlagen wollen sie, wie viele Teams bei dieser EURO, auf den Außenpositionen. Hier zeigen sich dann die ersten Schwächen des polnischen Defensivkonstrukts. Darauf ist auch das Anlaufverhalten der Stürmer ausgerichtet.
Um genügend Druck herzustellen, sind die Polen in diesen Zonen durchaus aggressiv. Vor allem Slisz und Piotrowski kommen hier über ihre starken Qualitäten gegen den Ball. Die Polen erzeugen auf der Schiene durch viel Personal Druck auf den gegnerischen Ballführenden und suchen aktiv die Zweikämpfe. Diese Aggressivität zeigt sich auch beim Durchschieben des Dreierblocks. Oft halten sich mindestens zwei zentrale Spieler unmittelbar in Ballnähe auf, was vor der Abwehr teils extreme Räume öffnet, vor allem wenn die horizontale Staffelung der Polen nicht passt.

Ist Piotrowski in diesen Szenen auf der rechten Defensivseite nicht gut angebunden, entsteht das bereits erwähnte Loch vor der eigenen Fünferkette. Je nach gegnerischem Personal werden die Polen in der Zentrale vor große Zuordnungsprobleme gestellt, die entweder in extremen zentralen Unterzahlen resultieren können oder zu einer komplett verschobenen Fünferkette führen. Bei diesen gruppentaktischen Abläufen haben die Polen noch Nachholbedarf.

Die Polen suchen aber durchaus auch das hohe Anlaufen in ihrem Spiel. Wie auch offensiv, gibt es hier ähnliche Defensivprinzipien. Wieder versuchen Lewandowski, Swiderski und situativ ein hochschiebender zentraler Mittelfeldspieler, das Spiel auf die gegnerische Außenbahn zu lenken.
Je nach Staffelung, vor allem nach dem Hochschieben eines zentralen Mittelfeldspielers, bieten sich im Zweier-Mittelfeld wieder Optionen für den Gegner. Die Polen sind hier absolut gewillt, aus der letzten Linie heraus vorzuschieben, haben aber oft Probleme mit ihrem Timing.
Muss Bednarek in dieser Situation springen, auch weil Zielinski vielleicht in der ersten Linie mit anläuft, stimmt das Timing oft nicht. Das bringt dem Gegner oft genau die nötigen Sekunden, die er in der Situation braucht. Je besser der Gegenspieler, desto weniger Zeit wird er brauchen, um eine gute Anschlussaktion herzustellen und diese Unachtsamkeit zu bestrafen.

Ein weiteres Problem ist das Markieren von Spielern in diesen Situationen. Oft sind die Abstände, besonders bei überspieltem Pressing, zu den Gegenspielern viel zu groß. Es sind nicht nur die Sekunden, die der Gegner hat, um den Polen wehzutun, sondern auch die wenigen Meter Freiraum oder Vorsprung in der Aktion. Hier braucht es mehr Disziplin.
Das zeigt sich auch oft bei gegnerischen Standards. Hier herrscht des Öfteren Verwirrung im polnischen Strafraum.
Prognose
Das Spiel der Polen ist durchaus facettenreich, jedoch eher auf einer schwankenden Leistungsebene. In guten Szenen wirken ihr Pressing und ihre Offensivaktionen gut vorbereitet. Es fehlt jedoch an Konstanz; oft zeigt sich im selben Spiel auch das andere Gesicht der Polen mit schlechtem Timing im Anlaufen, Zuschieben oder bei Steilpässen in die Tiefe. Hinzu kommen eklatante Fehler im Aufbau, die den Polen regelmäßig zum Verhängnis werden. All das könnte eine zu große Hypothek in der Todesgruppe D darstellen. Ein Weiterkommen scheint nur möglich, wenn in dieser Gruppe das komplette Chaos ausbricht. Den Grundstein könnten sie mit einem guten Spiel gegen die Niederlande selbst legen.
Niederlande
Unter Ronald Koeman präsentiert sich die Niederlande weder besonders gut, noch besonders schlecht. In 2023 gab es 6 Pflichtspielsiege, diese wurden je zweimal gegen Gibraltar, Griechenland und Irland eingefahren. Dazu gab es 4 Pflichtspielniederlagen. Diese gegen Frankreich (2x), Italien und Kroatien. Auch dieses Jahr: 3 Siege gegen Schottland, Kanada und Island. Eine Niederlage gegen Deutschland. Man hat das Gefühl, dass das Team des Ex-Barca-Trainers Koeman recht schnell an ihre Grenzen stößt. Eben dann, wenn der Gegner individuell mindestens auf Augenhöhe ist. Alles darunter wird besiegt, alles darüber wird verloren. Nur eine oberflächliche Betrachtung oder ist da doch etwas dran?
Kader & Formation

Der im US-Sport bekannte „Injury Bug“ hat auch das niederländische EM-Team erfasst. Zuerst war Frenkie de Jong (FC Barcelona) nicht rechtzeitig fit, und im letzten Test hat sich nun auch noch Teun Koopmeiners (Atalanta Bergamo) verletzt. Beide werden diese EM verpassen – eine echte Herausforderung für die Oranje.
Im Tor gibt es einen kleinen Generationswechsel. Nach Jahren mit Stekelenburg ist nun Bart Verbruggen (Brighton & Hove Albion) die neue Nummer 1. In der Viererkette, die bei Ballbesitz zu einer Dreierkette wird, hat Koeman mehr als nur die Qual der Wahl. Die Tiefe auf dieser Position ist wirklich der Traum jedes Trainers. Virgil van Dijk (FC Liverpool) und Stefan de Vrij (Inter Mailand) werden wohl den Vorzug erhalten. Links spielt Nathan Aké (Manchester City) als falscher Linksverteidiger. Alternativen wären Matthijs de Ligt (FC Bayern), Micky van de Ven (Tottenham) oder Daley Blind (Gironde FC). Auf der rechten Verteidigerposition ist Denzel Dumfries (Inter Mailand) gesetzt. Jeremia Frimpong (Bayer Leverkusen) spielt als Rechtsverteidiger keine Rolle, Koeman sieht ihn hier mindestens eine Linie höher. Der eigentliche Ersatzmann ist Lutsharel Geertruida (Feyenoord Rotterdam).
Die zentralen Positionen im 4-3-3 füllen nun Jerdy Schouten und Joey Veerman (beide FC Utrecht) aus. Tijani Reijnders (AC Mailand) wird wohl auf der offensiven Mittelfeldposition starten. Weitere Optionen wären Georginio Wijnaldum (Al-Ettifaq FC) oder Ryan Gravenberch (FC Liverpool).
Im Offensivtrio sind Xavi Simons (RB Leipzig) und Memphis Depay (Atlético Madrid) gesetzt. Die dritte Position scheint noch nicht fest vergeben zu sein. Im letzten Testspiel gegen Island startete Cody Gakpo (FC Liverpool), aber auch Frimpong ist eine Option. Brian Brobbey (Ajax Amsterdam) könnte eine Variante sein, wenn Koeman einen Zielspieler braucht. Depay würde in diesem Szenario auf die Außenbahn ausweichen.
Spiel mit dem Ball
Die neuesten Trends aus dem Vereinsfußball sieht man auf Nationalmannschaftsebene eher selten. Umso erfrischender ist es, dass Ronald Koeman uns mit seinen Niederländern das Gegenteil beweist. Es klingt irgendwie komisch, dass ein Trainer, der in der Kritik steht, erfrischenden Fußball spielen lässt, ist aber so. Es funktioniert einfach nicht immer. Für Kritiker geschieht dies zu selten.

Strukturell ordnet sich das niederländische Spiel meist in einem 3-2-1-4 an. Aber die Grundstruktur zeigt hier viel Flexibilität, dazu später mehr.
Das 3-2-Gebilde im Aufbau der Oranje besteht fast ausschließlich aus den drei Innenverteidigern, die eine Dreierkette bilden, und den beiden Sechsern vor der Abwehr. Die Niederländer investieren hier viel Personal in eher tiefen Zonen des Spielfeldes. Aber warum tun sie das?
Die Niederländer wollen den Gegner zu einem Pressing zwingen oder, sprichwörtlich gesagt, ihn herzlich dazu einladen, sie tief in ihrer eigenen Hälfte zu attackieren. Der Rest der Mannschaft steht oft komplett in der letzten Linie, um den bespielbaren Raum noch größer zu machen.
Lässt sich der Gegner auf diese Spielweise ein, haben alle Innenverteidiger die Qualität, diesen freigewordenen Raum im Mittelfeld sofort zu attackieren. Um dies möglich zu machen, kommt es auch auf die Position der zentralen defensiven Mittelfeldspieler an. Besetzen sie mit ihrem Gegenspieler im Rücken zu viel Raum und blockieren Passwege, dann wird es für das Team von Koeman schwieriger, so progressiv aus der letzten Linie herauszuspielen.

Auch deswegen fallen Veerman und Schouten situativ sogar in die letzte Linie zurück. Ist der Gegner gelockt und öffnet sich der Raum hinter dem gegnerischen Pressing, dann suchen die Innenverteidiger den Blick eine Linie in die Tiefe, um die Option im „Loch“ zu finden. Da hat Oranje verschiedene Abläufe und Optionen.
Die wahrscheinlichste und am häufigsten gesehene ist wohl die über einen stark abkippenden Depay. Steht der Zehner in unmittelbarer Nähe, leitet Depay oft mit einem, oft auch schön anzusehenden, Kontakt weiter. Die Wechselbewegungen zwischen Depay und dem Zehner sind oft flüssig und nehmen die Dynamik der Situation mit. Alternativ kann Depay das Spiel auch auf beide Seiten verlagern. Koeman legt sehr viel Wert darauf, dass die gesamte Breite des Spielfeldes in diesen Situationen genutzt wird.
Wie effektiv eine falsche 9 gegen Mann-gegen-Mann-Pressing sein kann, stellt Depay oft genug unter Beweis. Im Musterbeispiel attackieren Reijnders oder Xavi Simons direkt die Tiefe des vorwärtsverteidigenden Innenverteidigers und werden mit einem Kontakt von Depay in die Aktion gebracht. Leider klappt das jedoch nicht immer aus holländischer Sicht.

Auf diese gewünschte Breite kann jedoch je nach Situation auch mal verzichtet werden. Vor allem mit Cody Gakpo auf der linken Seite ist dies immer wieder ein Thema. Da Xavi Simons durch Dumfries‘ Breitengebung eher im Halbraum roamt, ist Gakpo hier je nach der Position von Reijnders etwas isoliert als Breitengeber. Er hat aber auch durchaus die Freiheit, von außen in die Halbräume zu driften und die Räume zu attackieren. Die verlorene Breite wird dann durch einen Sprint von Aké ausgeglichen. Die Wege werden für den Außenverteidiger durchaus mal zum Sprint über den gesamten Platz.
Der funktionierende Ansatz vermittelt jedoch nur die halbe Wahrheit. Speziell gegen individuell stärkere Teams mit weniger Ballbesitzanteilen kommen die Niederlande zu selten in diese Umschaltsituationen, die sie eigentlich so stark machen könnten. Auch hat diese Art und Weise des Fußballspielens natürlich ihre Risiken. Gegen gut organisiertes und vorbereitetes Pressing können hier auch Probleme entstehen.

Ein weiteres Sorgenkind ist das niederländische Spiel im letzten Drittel. Es wirkt in manchen Phasen etwas eindimensional, auch wenn dieser oft gewählte Ansatz durchaus Erfolg bringen kann.
Die Niederlande legen in diesen Szenen einen hohen Wert auf Flanken und ein kluges Attackieren des Strafraums. Gesucht werden diese Flanken meistens aus höheren Zonen, was aber natürlich seine Gründe hat. Mit Depay, Simons und Gakpo haben sie nur einen Spieler, der über 1,80m hinausragt: Cody Gakpo. Ist nun aber Gakpo in der Rolle des Flankengebers, wirkt die gewählte Option der Flanke auf den ersten Blick etwas sinnlos.
Mit ein wenig Erklärung erkennt man jedoch die Idee von Koeman. Durch die Halbposition des Flankengebers steht oft auch die gegnerische Abwehrkette noch relativ hoch. Das bedeutet, es gibt durchaus Räume zwischen und hinter den Verteidigern, die man attackieren könnte. Die Holländer setzen nicht, wie viele Teams, auf ein Überladen des Strafraums, sondern attackieren bewusst die Zwischenräume der Verteidiger. Dies hilft Oranje zwar auch nicht, wenn die Flanke nicht passt oder aus einer zu statischen Position geschlagen wurde, allerdings konnten sie schon oft genug aus diesen Situationen zuschlagen, da sie die Abwehrkette zuvor durch Bewegung aus den tiefen Zonen gebracht haben.
Spiel gegen den Ball
Die Frage, die sich hier für mich stellt, ist, ob die Ballverluste der Niederländer eher ein Problem für den Defensivteil oder die Offensive darstellen. Letztlich scheint es ja beides zu betreffen. Dennoch sind die Probleme der Oranje gegen zentrale Überzahlen ein Thema, das in diesem Zusammenhang erwähnt werden muss.

Die Holländer bekommen des Öfteren mal zu spüren, dass ihr offensiver Spielstil durchaus risikobehaftet ist und oft mit den selben Problemen zu kämpfen hat. Ist der Gegner griffig in seinem Pressing und drückt das Spiel der Oranje in eine kleine „Optionslosigkeit“, dann wird man anfällig für Ballverluste in der eigenen Hälfte.
In diesem Beispiel bleibt van Dijk nun nur noch der Ball auf den vermeintlich freien Schouten, da die restlichen Mitspieler durch gute Anlaufwinkel abgeschnitten sind. Erhält Schouten nun den Ball, befindet er sich fast schon in einer Art Pressingfalle, in der Ballnähe ein 4 gegen 1 bewältigen muss. Diese Szenen, in denen die Holländer in ballnahe Unterzahlen hineinkombinieren wollen, gibt es bei der Oranje öfter als man vielleicht denken mag. Das Beispiel mag nun etwas extrem wirken, aber dennoch ist es ein bekanntes Problem im Aufbauspiel.
Die Niederlande haben diese Probleme aus der Zentralen, sowie aus der Breite heraus. Schiebt der Gegner das Spiel gut zu, geht jede progressive Passspur nach vorne verloren, weil der Raum entweder vom eigenen oder vom Gegenspieler besetzt wird.
Je nach Situation und Absicherung des Passes in die zweite Linie, können im Handumdrehen große Chancen für den Gegner entstehen.

Ein weiteres Problem, das sich aus der Grundstruktur des holländischen Aufbaus ergibt, sind die Abstände zwischen Nathan Aké und Cody Gakpo und der daraus resultierende Raum, den Aké verteidigen muss.
Diese markanten Unterschiede zur rechten Seite ergeben sich aus zwei Gründen. Erstens agiert Gakpo im Gegensatz zu Dumfries schon strukturell etwas höher. Er schiebt nicht aus einer Anbindung zum Innenverteidiger hoch, da er kein Wingback ist, sondern als Flügelspieler automatisch in höheren Zonen zu finden ist.
Der gewollte 3-2-Aufbau lässt Aké nun noch zusätzlich weiter in die Zentrale driften. Der Abstand zu Gakpo als möglicher absichernder Teil wird dadurch noch größer. Das Ergebnis ist ein riesiger Raum in der Tiefe, den Aké oft alleine verteidigen muss. Seine Qualität ermöglicht es ihm, einige der Konsequenzen abzufedern, dennoch bleibt dies ein Schwachpunkt in der niederländischen Mannschaft.

Aber kommen wir doch endlich mal zur eigentlichen Struktur in der holländischen Defensive. Im letzten Test gegen Island agierte man aus einer 4-2-1-3-Struktur heraus, situativ sogar 4-5-1. Über den Zeitraum der Qualifikation zeigte man unter Koeman jedoch eine Vielzahl an Defensivstrukturen, in denen man den Gegner auch gerne einmal defensiv gespiegelt hat.
Für besonders aggressives Anlaufen sind die Niederlande nicht bekannt, aber genauso wenig stellen sie den Bus vor dem eigenen Strafraum. Vielmehr ist die Mannschaft abwartend und lauert in einem Midblock auf ihre Chance.

Nimmt der Gegner das Tempo aus dem Spiel oder schiebt in höheren Zonen auf die Außenbahn, ist Oranje hellwach und lauert auf Ballgewinne. Die Pressingmomente sind meist gut überlegt und vorbereitet. Generell kann man sagen, dass die Niederlande lieber einmal zu viel abwarten als einmal zu früh draufzugehen. Selbst wenn sich der Gegner befreien kann, ist die Restabsicherung oft noch sehr solide und von hoher Qualität geprägt.
Auch ihre Variabilität in Dreier-, Vierer- oder Fünferkette wird für die Holländer höchstwahrscheinlich noch zum Tragen kommen. Da sie sich auf dieselben Prinzipien verlassen und eher vorsichtig agieren, ziehen sich durch das holländische Defensivkonstrukt eigentlich keine nennenswerten Schwächen. Die Eingespieltheit der Kette, kombiniert mit der Weltklasse von Spielern wie van Dijk, macht die Niederländer schwer zu knacken. Am verwundbarsten sind sie wohl durch ihr eigenes Spiel mit dem Ball.

Prognose
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, warum Ronald Koeman bei der Oranje etwas angezählt ist. Das pressing-einladende Spiel ist nun nichts für jedermann und gerade die Kritiker schreien wahrscheinlich bei jedem tiefen Ballverlust etwas lauter als zuvor. Ob man das gut findet oder nicht, darf jeder selbst entscheiden. Ich finde es auf nationaler Ebene eigentlich ziemlich erfrischend.
Welche Kritik ich allerdings mehr als berechtigt finde, ist die Idee im letzten Drittel. Bei der vorhandenen Qualität auf Flanken zu setzen, auch wenn es oft gut umgesetzt wird, wirkt ein wenig wie verlorenes Potenzial.
Wie erfolgreich das Turnier wird, liegt aber ganz an den Niederlanden selbst. Stellt man sich vor allem gegen das Pressing der Österreicher selbst ein Bein, dann könnte es eng werden mit dem Achtelfinale. Wenn es über das Achtelfinale hinausgehen soll, dann braucht es ein perfektes Spiel der Oranje. Fehler darf man sich gegen die Favoriten des Turniers nämlich nicht erlauben.
Frankreich
Les Bleus, Équipe Tricolore, black-blanc-beur. Oder einfach nur: EM-Finalist 2016, Weltmeister 2018, WM-Finalist 2022. Bei den letzten großen Turnieren ging eigentlich alles über die Franzosen. Zwar fehlte zum Schluss zweimal der krönende Abschluss aber auch bei diesem Turnier darf man davon ausgehen, dass die Franzosen wieder ein gehöriges Wort um den Titel mitsprechen wollen und werden. Die meisten Tore pro Spiel in der EM-Quali. Die zweitwenigsten Gegentore. Dritthöchster xG-Wert. Zweitwenigste xG zugelassen. Ja, Frankreich ist und bleibt eine Top-Mannschaft. Zudem ein vom Wechsel zu Real Madrid beflügelter Kylian Mbappé, was soll die Franzosen noch aufhalten? Vielleicht Didier Deschamps? Was er mit seiner Mannschaft vor hat und wie ihre Chancen auf einen weiteren tiefen Lauf im Turnier stehen erfahrt ihr jetzt.
Kader & Formation

Der Kader von Didier Deschamps ist gespickt mit Talenten auf dem Weg zur Weltklasse. Es hat wohl kein anderer Kader so viel Potenzial in sich wie der der Franzosen. Einige von ihnen beweisen tagtäglich im Ligabetrieb, dass sie die Klasse für mehr haben als die Ersatzbank. Manche sind eigentlich auch viel zu gut dafür, dass selbst der Gedanke, gewisse Spieler auf die Bank zu setzen, absolut absurd wirkt. Aber das ist Alltag bei den Franzosen. Es ist am Ende doch nur Platz für 10 Feldspieler.
Zwischen den Pfosten steht der Lloris-Ablöser Mike Maignan (AC Mailand). Er ist die unangefochtene Nummer 1. Wahrscheinlich ist die Torwartposition auch die einzige Position, wo den Franzosen in der Tiefe des Kaders am ehesten die Qualität ausgeht.
In der Innenverteidigung fehlt Lucas Hernandez (Paris Saint-Germain) verletzungsbedingt. Dieser war eigentlich neben Dayot Upamecano (Bayern München) gesetzt. Dafür rutscht wohl William Saliba (FC Arsenal) ins Team, der mehr als eine würdige Vertretung darstellt. Ibrahim Konaté (FC Liverpool) ist ebenfalls eine Option.
Auf der rechten Innenverteidigerposition führt aktuell kein Weg an Jules Koundé (FC Barcelona) vorbei. Die Alternative wäre Jonathan Clauss (Olympique Marseille), auf dem Feld wahrscheinlich die größte „Sorgenposition“ von Deschamps. Links ist Theo Hernandez (AC Mailand) gesetzt.
Im defensiven Mittelfeld dieses 4-2-3-1 kommt nun ein Luxusproblem nach dem anderen auf Deschamps zu. Die Qualität, die Frankreich hier hat, ist einfach irre.
Da Antoine Griezmann (Atletico Madrid) gesetzt sein sollte, bleiben hier nur zwei freie Plätze. Bewerber hierfür gibt es genug. Aurélien Tchouaméni, Eduardo Camavinga (beide Real Madrid) und N’Golo Kanté (Al-Ittihad) sind wohl am wahrscheinlichsten. Ich denke, es wird einer der Real-Spieler neben Kanté. Aber auch Warren Zaïre-Emery (Paris Saint-Germain), Youssouf Fofana (AS Monaco) und Adrien Rabiot (Juventus Turin) hätten alle das Zeug für die Startelf.
Im Sturm ist die Kaderbreite zwar auch hoch, allerdings gibt es hier keine Fragezeichen. Kylian Mbappé, Ousmane Dembélé (beide Paris Saint-Germain) und Olivier Giroud (AC Mailand) sind hier gesetzt. Marcus Thuram (Inter Mailand), Randal Kolo Muani (Paris Saint-Germain) und Kingsley Coman (FC Bayern München) sind wohl nur Optionen für die Bank.
Spiel mit dem Ball
Didier Deschamps war noch nie das Sinnbild der fußballerischen Revolution. Ganz im Gegenteil sogar: Kritiker sagen, dass sein erfolgreicher Fußball langweilig und inspirationslos ist. Erfolgreich und inspirationslos in einem Satz – geht das überhaupt?

Das französische Spiel ist durch eine gewisse Vorsicht mit Ball geprägt, und daran ist eigentlich auch nichts verwerflich. Diese Vorsicht zeigt sich unter anderem an der numerisch guten Restverteidigung und dem daraus resultierenden wenigen Personal in hohen Zonen.
Strukturell stellt sich das oft auch etwas asymmetrisch dar. Camavinga und Kanté agieren vor dem Innenverteidigerpärchen als Doppel-6 im Aufbau. Situativ ist auch nur Camavinga in dieses Aufbaudreieck eingebunden. Auf den Außenverteidigerpositionen spielen die Franzosen im Normalfall mit zwei verschiedenen Profilen. Theo Hernandez ist hier weitaus offensiver orientiert als sein Pendant Koundé, der sogar teilweise in die letzte Aufbaulinie herabfällt. Mit den drei Innenverteidigern und den zwei Defensiv-Monstern davor haben die Franzosen nun fast immer genug fähiges Personal hinter dem Ball, um auch vor gegnerischem Umschalten gut abgesichert zu sein.
Griezmann ist der Freigeist dieses Teams. Er darf seine Intelligenz in seinem Spiel mit jeglicher Freiheit ausführen und ist neben Mbappé der absolute Schlüsselspieler in der französischen Offensive. Seine Fähigkeit, Räume aufzuziehen und zu erkennen, ist immer noch europäische Spitzenklasse.
Beide Flügelspieler driften aus einer etwas breiteren Position bei hochschiebenden Außenverteidigern invers ins Zentrum. Mbappé und Dembélé genießen jedoch beide viele Freiheiten in ihrem Spiel unter Deschamps.

Trotz vieler Freiheiten haben die Franzosen meist das gleiche Ziel in ihrem Spiel mit Ball: dynamisch hinter die gegnerische Abwehr zu kommen und dort zuzuschlagen. Am besten gelingt dies über die Breite des Spielfeldes.
Im Aufbau werden zunächst Giroud als Wandspieler oder Griezmann als Kreativer gesucht. Die zeitgleich passierende Wechselbewegung zwischen Flügelspieler und Außenverteidiger bietet dann mindestens eine Option für die Tiefe für Giroud und Griezmann, sei es über eine direkte Verlagerung oder einfaches Klatsch-Spiel.

Griezmann ist aber nicht nur gut in seiner Fähigkeit, Räume oder Passspuren für das eigene Spiel aufzuziehen. Er ist auch sehr gut darin, diese selbst zu attackieren, sollte er es für nötig halten. In die vorderste Schienenposition schiebt er vor allem vor, wenn Dembele in Drucksituationen herabkippt und dabei vom gegnerischen Außenverteidiger verfolgt wird. So schafft es Frankreich auch hier wieder relativ einfach, in die Tiefe des Feldes zu gelangen.

Noch krasser werden die Dynamiken, wenn Kylian Mbappe an der Situation beteiligt ist. Er kann binnen Sekunden das Spiel von einer tiefen Statik in eine Riesenchance für die Franzosen verwandeln. Holt er sich teils tief die Bälle ab, kann es für den Gegner aus dem Nichts gefährlich werden. Nach seinem Abspiel auf eine seiner Optionen kann Mbappe sofort einen Tiefenlauf starten. Als Magnet für Verteidiger zieht er meist nicht nur die Aufmerksamkeit eines Verteidigers auf sich. Das öffnet natürlich extreme Räume. Theo Hernandez hat, nachdem Mbappe die halbe rechte Defensivseite auf sich gezogen hat, plötzlich Räume ohne Ende. Aber auch der Steilpass auf Mbappe bleibt wegen seines Tempos immer eine super Option.
Es braucht hier keine taktischen Meistermittel, wenn man solche Fußballer auf dem Platz hat. Auch wenn sie manchmal offensiv harmlos wirken können, die Franzosen sind zu jedem Zeitpunkt gut für ein Tor. Sei es über solche Aktionen von Mbappe oder auch über ihr brutales Umschaltspiel, wenn sie defensiv abwarten und auf den Konter lauern.

Spiel gegen den Ball
Schaut man nur schon auf die Namen in der Restverteidigung der Franzosen, dann weiß man, dass man die nicht mal einfach so oder zufällig auskontert oder aus ihrem Midblock knackt. Ob Camavinga, Kanté oder Tchouaméni: Es sind alles drei absolute Defensivmonster gegen den Raum und Mann.

Strukturell agieren die Franzosen aus einem 4-1-4-1 Midblock. Es kommt aber hier durchaus darauf an, wie sich Griezmann und die Doppel-6 verhalten. Je nach Gegner schiebt nämlich einer aus Kanté oder Camavinga eine Linie vor.
Räume gibt es gegen das Team von Didier Deschamps zentral eigentlich nie. Hier wird alles zugelaufen. Die Weiträumigkeit der Doppel-6 ist ein Albtraum für jeden Gegner, der versucht durchzuspielen. Es überrascht nicht, dass die Franzosen fast nichts zulassen. Mit nur 4,1 xGA und 3 Gegentoren in 8 Quali-Spielen sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Die wenigen Chancen, die man gegen Frankreich bekommt, sollte man nutzen, wenn man überhaupt eine Chance haben will.

Aber keine Mannschaft ist perfekt, auch nicht die Franzosen. Und der französische Defensivperfektionismus hört meistens bei Mbappé und Dembélé auf, die sich oft bei der Defensivarbeit ausklinken.
Das hat zur Folge, dass die Wege und Räume für Theo Hernandez größer werden, die er verteidigen und zulaufen muss. Dieses Herausschieben aus der Kette hat natürlich auch taktische Folgen für die Mannschaft. Saliba und Co. müssen permanent nachschieben, um dem Gegner sofort den Raum im Angriff abzuschneiden. Leider sind die Franzosen in diesen Situationen auch sehr stark im Timing. Das Fenster, um aus diesen Szenen Kapital zu schlagen, wird nie sonderlich groß sein.

Etwas erfolgsversprechender sind vielleicht die Möglichkeiten, die sich bieten, wenn die Franzosen ballnah überladen. Je nach Spielsituation hat der Gegner tatsächlich die Chance, „nur“ gegen die französische Restverteidigung anzutreten. Wenn Frankreich in der gegnerischen Umschaltbewegung den Raum um den Ballführenden zu schiebt, ergeben sich im Rücken von Camavinga und Co. durchaus Räume. Wenn es gelingt, sich hier zu lösen, kann man den Franzosen Schaden zufügen. Eine ähnliche Szene gab es vor dem zweiten Tor der Deutschen im Testspiel im Frühjahr.

Wenn die Franzosen keine unerzwungenen Fehler machen, wird es für jeden Gegner, der nicht über viel spielerische Qualität verfügt, enorm schwer sein, gegen dieses Bollwerk Tore zu erzielen. Es ist nicht unmöglich, aber verdammt schwer.
Prognose
Passen erfolgreich und wenig fußballerische Inspiration nun zusammen? Die Antwort ist Ja. Wir haben in der Beschreibung einfach nur diverse Adjektive vergessen, die diese Klasse des französischen Teams auszeichnen: Die Franzosen sind eben auch effizient, klar in ihrem Spiel und oft individuell überlegen. Deshalb sind sie ein absoluter Top-Favorit auf den Titel. Möchtest du gegen die Franzosen ein Spiel gewinnen, musst du die Tiefe gut verteidigen, den Einfluss von Mbappe minimieren und deine Chancen nutzen. Schafft man vielleicht nur 2 der 3 genannten Dinge, könnte man am Ende wieder mit leeren Händen dastehen. In dieser Hinsicht ist Frankreich wohl ein bisschen das Real Madrid unter den Nationalmannschaften.
Österreich
Selten war eine Nationalmannschaft so geprägt von ihrem Trainer noch bevor dieser überhaupt im Amt war. Hätte man eine Mannschaft für Ralf Rangnick malen sollen hätte das Bild schnell die Form dieser 26 Spieler gehabt. Zu sehr ist diese Nation von der RB-Schule und damit eben auch von Rangnick geprägt. Und weil es so gut passt stimmen auch die Ergebnisse. Zwar startete man mit 4 Niederlagen aus den ersten 6 Spielen unter Rangnick, danach folgte aber nur noch eine aus den darauffolgenden 16 Spielen der Österreicher bei 12 Siegen. Und so mauserten sich das deutsche Nachbarland zu einem gern genommenen Geheimtipp. So gern genommen, dass er fast schon nicht mehr geheim ist. Beste Anzeichen für ein starkes Turnier oder spricht doch vielleicht noch etwas dagegen?
Kader & Formation

Beim Geheimtipp dieser EURO ist vor dem ersten Spiel gegen die Franzosen personell eigentlich alles klar. Die Testspiele vor dem Turnier zeigten den Unterschied zwischen den A- und B-Optionen.
Im Tor ist Patrick Pentz (Bröndby IF) die Nummer 1 der Österreicher. Die Viererkette in Ralf Rangnicks 4-2-3-1-System besteht aus Stefan Posch (FC Bologna), Kevin Danso (RC Lens), Maximilian Wöber (Borussia Mönchengladbach) und Alex Prass (SK Sturm Graz). Als Alternativen hat Rangnick durchaus interessante Spieler aus der Bundesliga parat. Philipp Lienhart (SC Freiburg) oder Philipp Mwene (Mainz 05) stehen der ersten Elf nahe. David Alaba (Real Madrid) hat es nicht mehr in die Startelf geschafft.
Im restlichen Team dominiert die Bundesliga. Die Doppel-6 bilden Florian Grillitsch (TSG Hoffenheim) und Nicolas Seiwald (RB Leipzig). Davor agieren Konrad Laimer (RB Leipzig), Christopher Baumgartner (TSG Hoffenheim) und Marcel Sabitzer (Borussia Dortmund). Im Sturm komplettiert Michael Gregoritsch (FC Augsburg) das Team.
Ein weiteres Gesicht aus der Bundesliga, Xaver Schlager (VfL Wolfsburg), wird die EM ebenfalls verpassen.
Auch die offensiven Alternativen spielen bis auf Marko Arnautovic (Inter Mailand) fast alle in der Bundesliga. Kevin Wimmer (VfL Wolfsburg), Florian Kainz (1. FC Köln) und Romano Schmid (Werder Bremen) kommen bei Trainer Rangnick regelmäßig zum Einsatz.
Spiel mit dem Ball
Österreich ist unter Rangnick vielleicht sogar das geradlinigste Team des gesamten Turniers. Abwarten gibt es unter ihm eigentlich nicht. Es wird fast immer die vertikale Lösung gesucht, auch schon vom Anstoß weg, wie man beim Spiel gegen die Slowaken sehen konnte.

Auch sind sie wahrscheinlich das Team im Turnier, das es am effektivsten schafft, Überzahlen aus der ersten Aufbaulinie heraus herzustellen. Österreich baut unter Ralf Rangnick aus einer 2-4-3-1 Struktur auf. Grillitsch und Seiwald agieren auf einer Höhe mit den beiden Außenverteidigern. Die drei Offensiven stehen horizontal eng gestaffelt zueinander, während Gregoritsch eine Linie weiter vorne steht und idealerweise mehr als einen Verteidiger bindet. Das ist von elementarer Wichtigkeit. Wenn nämlich zwei Verteidiger einen Österreicher decken, fehlt in Rangnicks Rechnung nun ein Gegenspieler im Spiel gegen den Ball. Anders ausgedrückt: Irgendwo auf dem Feld muss es eine Überzahl geben und dadurch einen freien Mann.
Und genau diesen finden die Österreicher auch oft genug. Zwar nicht immer auf den ersten Blick, aber mit etwas Geduld öffnet sich dann doch eine Lücke.

Auf den ersten Blick sieht es nicht unbedingt nach einer Überzahl aus, wie ich bereits erwähnt habe. Danso, Seiwald und Posch spielen gegen die gegnerische 7, 10 und 8 und befinden sich eigentlich in einem 3-gegen-3. Die Überzahl der Österreicher existiert jedoch in ihrer eigenen Hälfte zu diesem Zeitpunkt. Daher müssen die drei Mittelfeldspieler vertikal gegen vier Österreicher pendeln.
Rangnick nutzt den Raum und die Zeit, die benötigt werden, um effektiv Räume zu besetzen. Danso wird von der Nummer 7 unter Druck gesetzt, Seiwald von der Nummer 10 zugelaufen, und der gegnerische Flügel hat die Wahl, entweder das Zentrum kompakt zu halten oder auf Posch durchzuschieben. Falls er nicht durchschiebt, kann Posch mit viel Raum vor sich die Umschaltbewegung einleiten, daher ist der Flügel fast gezwungen, ihn zumindest leicht anzulaufen. Der Deckungsschatten, den die Nummer 8 nun mit sich zieht, ist nicht mehr vertikal zum Spielfeld ausgerichtet. Dies öffnet Raum für einen heranrückenden Laimer. Das Timing des Kippens und des gesamten Aufbaus ist bei den Österreichern auf einem extrem hohen Niveau.

Es lief zwar über Umwege, aber letztendlich kann sich Österreich so die Überzahl in der eigenen Hälfte zunutze machen. Gepaart mit einer Geradlinigkeit im Aufbau nutzt man oft die erste Chance, die sich vertikal nach vorne bietet.
Das Öffnen von Räumen in solchen Situationen klappt auch aus verschiedenen Varianten. Im Testspiel gegen die Türken kippte Grillitsch öfter zwischen Innen- und Außenverteidiger. Schiebt der zentrale Gegenspieler mit, öffnet sich Raum für einen Abkipper der Offensiven. Österreich schafft es so permanent, Lösungen mit dem Ball zu finden.
Im Gegensatz zum niederländischen Gruppengegner wartet man jedoch nicht aktiv auf das Pressing des Gegners. Agiert der Gegner etwas abwartender, nimmt man das auch gerne an.

Wie der Gegner spielt, ist hier egal – die erste Chance für ein vertikales Spiel wird genutzt. Besonders Danso zeigt hier immer seine Passstärke.
Sobald sie in einer Umschaltbewegung angekommen sind, attackiert der Rest des Angriffs sofort die Tiefe. Teilweise nutzen die Österreicher hier den direkten Weg mit Steilpässen, aber auch das lange Balltragen gehört zu ihrem Repertoire.
Das Verbindungsspiel über Gregoritsch ist ebenfalls ein entscheidender Faktor. Wenn Österreich mal keine andere Option hat, ist auch ein langer Ball hinter den Pressingblock eine Möglichkeit. Gregoritschs 1,93 m Körpergröße sind hier gut geeignet für ein Link-Up in der Luft.

Hinzu kommt auch die Stärke von Österreich bei Standardsituationen. Sie erzielten 4 ihrer 17 Tore per Standards, und angesichts der Gefahr, die sie ausstrahlen, sowie der Abläufe, die sie zeigen, wirkt dies alles andere als zufällig.
Spiel gegen den Ball
Rangnicks Aussage dass „ein bisschen Pressing wie ein bisschen schwanger ist“ reicht eigentlich, um zu verstehen, was die Österreicher gegen den Ball vorhaben: Pressing, hohe Ballgewinne und Druck für den Gegner.

Österreich agiert in ihrem Pressing aus einem 4-1-3-2 heraus. Der Zehner schiebt in die erste Linie neben Gregoritsch. Die Lücke in der zweiten Dreierreihe wird von einem der Sechser aufgefüllt, während der andere hinter diesem 2-3er Block absichert.
In solchen Situationen verfolgt Österreich zwei klare Ideen, wie sie den Gegner unter Druck setzen wollen. Baumgartner lenkt das gegnerische Spiel durch sein Anlaufen in eine Richtung, woraufhin Österreich kompakt bis in die Breite schiebt. Sabitzer und Laimer halten dabei entweder die Distanz zum Gegenspieler oder blockieren mögliche Passwege in die Tiefe. Zudem halten Gregoritsch und Baumgartner stets engen Kontakt zum Gegner, was diesem wenig Zeit lässt, über seine Entscheidungen mit dem Ball nachzudenken.

Genau wie im Spielaufbau suchen die Österreicher auch in der Defensive die erste Gelegenheit, das Spiel des Gegners unter Druck zu setzen. Sie lassen sich nicht auf ein passives Pendeln ein; Baumgartner setzt mit seinen Laufwegen den Gegner direkt unter Druck und isoliert so den ballfernen Außenverteidiger vom Spielgeschehen.
Durch diese Vorgehensweise ermöglicht es Österreich, in der Breite Mann gegen Mann zu verteidigen, ohne dabei viel Risiko in der restlichen Defensive einzugehen.

Ein weiteres häufig gesehenes Mittel ist eine Pressingfalle im Zentrum. Nimmt Baumgartner den zentralen Mittelfeldspieler einmal nicht in seinen Deckungsschatten, dann wird der Pass in das Zentrum für den Gegner als solide Option erscheinen. Durch die Raumdeckung der Österreicher stellt der Pass auf den Außenverteidiger vermeintlich ein höheres Risiko dar, zumindest im ersten Moment. Spielt der Gegner diesen Pass, setzen die Österreicher den defensiven Mittelfeldspieler jedoch brutal unter Druck und zwingen ihn oft zu Fehlern oder schlechten Entscheidungen. Je nach Raumbewusstsein des Gegners entscheiden hier oft Zehntelsekunden über den Erfolg oder Misserfolg des Pressings.
Wenn Laimer und Seiwald im Timing nicht perfekt sind, öffnen sich meistens in der Breite Optionen für den Gegner, womit dieser den gesamten Block aushebeln kann.

Das Timing im Pressing ist vielleicht noch die größte Baustelle von Ralf Rangnick. Auch wenn es diverse Ballgewinne provoziert, reicht eine schlechte Situation oft aus, um eine löchrige Restverteidigung zu erzeugen. Besonders auf den Außenpositionen sind die Wege am weitesten und sorgen häufig für das größte Chaos in der österreichischen Defensive. Wenn hier über den gesamten Platz durchgeschoben werden muss, öffnet sich meist früher als später ein Raum in der Tiefe. Ab diesem Moment läuft Österreich nur noch hinterher. Besonders im Spiel gegen die Belgier haben die Österreicher ihre Grenzen aufgezeigt bekommen.

Prognose
Dass Österreich ein gutes Turnier spielen kann, ist eigentlich kein Geheimnis mehr. Bei den jüngsten Spielen wirkt es trotz der Todesgruppe D fast so, als wäre das Achtelfinale bereits gebucht. Den Hype haben sie absolut verdient. Taktisch spielen die Österreicher auf höchstem Niveau in diesem Turnier. Es scheint, als hätten sie für jede Situation eine Lösung parat und seien zudem sehr anpassungsfähig. Trotzdem kann es in dieser starken Gruppe auch schnell in die andere Richtung gehen. Vor allem gegen die Niederländer, wenn das Pressing nicht griffig genug ist, könnte das schnell nach hinten losgehen. Bringt Österreich seine Stärken auf den Platz, können sie an einem guten Tag jedem Team des Turniers ein Bein stellen. Wer weiß, was mit ein wenig Glück im richtigen Moment möglich sein könnte.