Spielerprofil: Davie Selke

Dass HSV-Neuzugänge polarisieren können war schon immer klar. Bei Davie Selke kann man aber sicherlich selbstbewusst von einem intensiven Meinungsaustausch der HSV-Fans sprechen. Hier der Versuch Selke als Spieler abseits von Emotionen einzufangen. Auch wenn das bei ihm gar nicht so einfach ist.

Allgemein

Mit Ausnahme eines zweijährigen Aufenthalts im Osten der Republik hatte Selke mit Werder, Hertha, Köln und dem HSV immer Vereine, die eine gewisse Aufmerksamkeit und Emotion verkörpern. Genau das was zu Davie Selke passt. Auf dem Platz hochemotional und mit höchster Motivation dabei braucht der 29-Jährige vielleicht gerade die Emotionalität von den Rängen und vom Umfeld, um sein Spiel auf den Platz zu bekommen.

Der HSV kriegt einen wuchtigen Mittelstürmer, der mit einer Körpergröße von 1,95m natürlich seinem Sturm- und Teamkollegen Robert Glatzel zunächst einmal zu ähneln scheint. Ähnlichkeiten wie Unterschiede sind vorhanden. Werde ich gleich noch ein wenig drauf eingehen.

In seiner Zeit in Köln war Selke sowohl als alleinige Spitze oder als Teil einer Doppelspitze aufgestellt.

Positionierung als alleinige Spitze
Positionierung in einer Doppelspitze

Beides gewohnt zu sein wird für den HSV von Vorteil sein, wenn man situativ auf verschiedene Gegner und Herangehensweisen reagieren möchte.

„In der Vergangenheit habe ich gezeigt, dass ich mich mit einem Stürmer neben mir wohlfühle. Das hat man in Berlin mit Vedad Ibisevic gesehen, in Bremen mit Franco di Santo. Ich glaube, das könnte eine sehr spannende Komponente sein. Ich habe mit Bobby gesprochen. Was er die letzten Jahre hier gezeigt hat, spricht für sich. Ich freue mich darauf, auch mit ihm zusammen auf dem Platz sein zu können. Es wird auch Phasen geben, in denen nur einer spielen wird.“

Selke über eine mögliche Doppelspitze | Das sagt Sturm-Zugang Selke zur Doppelspitze mit Glatzel

Tendenziell bringt Davie Selke eine sehr gute Höchstgeschwindigkeit (34,95 km/h) mit, die ihm in der vergangenen Saison Platz 36 im Bundesliga-Speed-Ranking bescherte. Zum Vergleich: Schnellster beim HSV war in der vergangenen Saison Bakery Jatta mit 34,75 km/h. Wir haben es also mit einem sehr groß gewachsenen Mittelstürmer mit starker Sprintfähigkeit zu tun. Trotzdem: Selkes Anspruch scheint es zu sein auch ins Spiel eingebunden werden zu wollen. Auch seine Heatmaps zeigen, dass er nicht nur in der letzten Linie klebt:

Heatmap Saison 2022/2023
Heatmap Saison 2023/2024

Hier wird es die Aufgabe Baumgarts sein klare Vorgaben zu machen, wenn der HSV mit Doppelspitze spielen sollte. Selke bringt die athletischen Fähigkeiten mit Verteidiger in der letzten Linie zu binden. Dafür muss er aber auch in der letzten Linie aktiv sein. Für den HSV kann es ganz schnell schwierig werden, wenn sich beide Mittelstürmer gerne fallen lassen. Dies muss durch klare Prinzipien im Offensivspiel verhindert werden und dann darf sich Selke auch mal fallen lassen, wenn klar ist, dass dafür dann Glatzel in die letzte Linie geht.

„Davie hat im Fußball schon viel erlebt und bringt einen großen Erfahrungsschatz mit nach Hamburg. Mit seiner Spielweise, aber vor allem auch seiner Mentalität wird er für unsere Mannschaft eine große Bereicherung sein.“

Stefan Kuntz über Davie Selke | HSV verpflichtet Selke | HSV.de

Ansonsten ist Selke am besten mit dem oben bereits genutzten Wort „wuchtig“ beschrieben. Nicht, weil er in Lukaku-Manier seine Gegenspieler mit reiner Körpermaße dominiert sondern weil er seinen Körper einzusetzen weiß. Er haut sich in jeden Ball, er geht jedem Ball nach, er schmeißt sich in jeden Kopfball. Er ist einfach unangenehm zu bespielen. Mal auf Kosten technischer Fehler. Auch das ist Teil seines Spiels.

Mehr zu ihm jetzt in der Analyse.

Analyse

Beobachtete Spiele

  • 1. FC Köln – Werder Bremen (21.01.2023, 31 Minuten)
  • Borussia Dortmund – 1. FC Köln (18.08.2023, 69 Minuten)
  • Bayer 04 Leverkusen – 1. FC Köln (08.10.2023, 90 Minuten)
  • 1. FC Köln – FC Bayern München (24.11.2023, 64 Minuten)

Stärken

Bälle festmachen

Davie Selke ist unheimlich schwierig vom Ball zu trennen. Mit seiner Statur kann er sich häufig schon allein mit Hilfe seiner lange Beine die Gegner fernhalten. Selke gelingt es zudem seine Arme so einzusetzen, dass er, bei passender Bewegung des Verteidigers entweder vor dem Verteidiger positionieren oder sich bei Gelegenheit um ihn herumdrehen kann.

Szenen wie diese sind exemplarisch für Selkes körperliches Spiel. Dass er damit sicherlich Gefahr läuft Fouls zu begehen muss dabei einkalkuliert werden.

Hier kann er genügend Zeit überbrücken bis seine Mitspieler wieder aufgerückt sind. Genau solche Szenen wird sich Baumgart auch beim HSV von ihm erhoffen. Natürlich hat auch Glatzel die Fähigkeit Bälle festzumachen. Selke verbindet allerdings seine starke Athletik mit dieser Fähigkeit. Einen Konter über Selke zu spielen, der die Tiefe beläuft und dann noch in der Lage ist Zeit für seine Mitspieler zu schaffen kann Gold wert sein.

Hohe Intensität gegen den Ball

Wahrscheinlich werde ich das bei jedem HSV-Neuzugang in diesem Sommer schreiben aber auch Davie Selke zeichnet sich durch seinen vorbildlichen Einsatz gegen den Ball aus. Das bedingt nun mal das Spiel von Steffen Baumgart. Selkes Antritt ist zwar nicht so explosiv wie die Höchstgeschwindigkeit beeindruckend ist aber trotzdem kann er ein wenig mehr in die Waagschale werfen als Neu-Sturmpartner Glatzel.

Sein Anlaufen ist eigentlich immer im Vollsprint (was auch Nachteile hat, später mehr), die eigene Mannschaft kann sich darauf verlassen, dass Selke stets der erste Verteidiger seines Teams sein will.

Nachgehen bis er den Ball hat

Was mich zu dem nächsten Punkt bringt. Selke lässt nicht locker bis er oder sein Team in eine Situation kommt in dem der Ball erobert werden kann. Es ist genau diese Eigenschaft Selkes, die von Kuntz in der Vorstellung als „Mentalität“ bezeichnet wird. Davie Selke bringt damit eine Power und Dynamik in das HSV-Spiel, die es vorher so mit Glatzel alleine nicht hatte.

Sicherlich wird Baumgart genau dies im Kopf haben und hoffen, dass Selke mit seiner Spielweise Fans und Mitspieler mitziehen kann. Selke ist kein übermäßig guter Pressing-Spieler aber allein seine vorbildliche Einstellung kann schon Prozentpunkte herauskitzeln.

Kopfballspiel

Bei einer Körpergröße von 1,95m setzt man es fast voraus und trotzdem ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Selke sich immer wieder in Kopfballduellen behaupten kann. Nicht nur vor dem Tor sondern auch im Weiterleiten von langen Bällen oder beim Verteidigen gegnerischer Standards ist diese Fähigkeit nicht zu unterschätzen. In Kombination mit seiner körperlichen Spielweise kann er sich häufig auch in intensiv geführten Zweikämpfen behaupten.

DS schafft es trotz starken Schiebens von Schlotterbeck stabil zu bleiben und kann den Kopfball dann noch perfekt in den Lauf seines Teamkollegen setzen. Sowohl in der Anzahl der gewonnenen Luftzweikämpfe als auch in der Erfolgsquote der geführten Luftduelle bewegt sich Selke in den Top-10% aller Bundesliga-Stürmer der vergangenen Saison. Natürlich verkommt diese Stärke (in Anbetracht der Kopfballstärke eines Glatzels) auch schnell zum Treppenwitz, weil der Fußball des HSV nur noch auf „Flanke Muheim – Kopfball Selke/Glatzel“ reduziert wird aber man darf nicht unterschätzen wie wertvoll zwei solch kopfballstarke Stürmer gegen die häufig hochgewachsenen Dreier-IV-Ketten vieler Zweitligisten sein können.

Athletik

Um es nochmal zu betonen: Der HSV bekommt mit Selke keinen unbeweglichen Mittelstürmer-Turm und hat mit Selke/Glatzel kein Duo, dass sich darauf beschränkt vorne nur noch die Rübe hinzuhalten.

Mit Selke bekommt man einen Stürmer, der das Feld auseinanderziehen kann. Natürlich muss man ihn dementsprechend auch einsetzen.

Hier eine Szene, die für mich gut zeigt wo der Unterschied zwischen Selke und Glatzel liegt. Köln kann den Ball erobern und will schnell Umschalten. Selke erkennt das und sucht sofort die Tiefe. Robert Glatzel hätte wahrscheinlich, wie in Bild 2 eingezeichnet, versucht den Ball in dem Viereck zu bekommen und sich so ins Spiel einzuschalten. Seine Athletik hätte den Versuch des Tiefenlaufs gar nicht erst sinnvoll erscheinen lassen.

Und damit mich keiner falsch versteht: Das ist keine qualitative Bewertung von Selke und Glatzel. Nur weil Selke hier Pluspunkte sammelt sehe ich ihn deswegen nicht automatisch vor Glatzel. Aber Selke bringt eben diese bestimmte Komponente mit. Beide in Kombination kann deswegen schon funktionieren, nur eben mit klaren Rollenprofilen.

Torbeteiligungen

Man kann von Selke halten was man will aber er ist regelmäßig an Toren beteiligt. Klar klingen 66 Scorer in 238 Spielen erstmal nicht viel. Schaut man aber auf die Einsatzminuten dieser 238 Spiele (11.810 Minuten) sind es auf 90 Minuten gerechnet nur noch rund 131 komplette Bundesliga-Spiele. Das sind ca. jedes 2. Bundesliga-Spiel eine Torbeteiligung.

Jetzt kann man mir natürlich vorwerfen, dass es schöngerechnet ist aber man muss anerkennen, dass Selke, wenn er seine Zeit bekommt auch in der Offensive aktiv wird. Egal ob man sein Profil mag oder nicht.

Luft nach oben

Abschluss über Kraft

Was zunächst nicht so negativ klingt ist zumindest für ein komplettes Stürmer-Paket zunächst nicht optimal: Selke definiert seinen Torabschluss häufig über Kraft statt Präzision. Das bedeutet nicht, dass seine Torquote dadurch bedeutend im Vergleich zu anderen abfällt aber mit ein wenig mehr Balance zwischen Power und Präzision könnte er noch mehr vor dem Tor herausholen.

DS kommt hier in eine aussichtsreiche Abschlusssituation und statt den Ball überlegt in die lange Ecke zu platzieren schießt er unplatziert auf den Torwart. Selkes Stärke in der Situation zu bleiben erlaubt ihm zumindest den Abpraller dann zu verwandeln.

Defensiver Output

Wie oben angesprochen ist Selke ein vorbildlicher Arbeiter für seine Mannschaft. Nichtsdestotrotz muss man leider festhalten, dass sein Erfolg in Pressingsituationen recht gering ist. Häufig ist er zu schnell im Sprint und findet nicht den richtigen Moment für das Pressing oder er läuft einfach im falschen Winkel an und öffnet damit wieder Räume.

Natürlich ist es gegen Bayer Leverkusen brutal schwierig „richtig“ zu pressen. Aber zumindest hat Selke hier die Chance das Spielfeld zu „teilen“ und Tapsoba zum vertikalen Pass zu zwingen. Stattdessen läuft Selke ihn frontal an was Tapsoba die Möglichkeit gibt wieder abzubremsen und hinten herum zu spielen.

Im Vergleich zu allen Stürmern der Top5-Ligen findet sich Selke in der abgelaufenen Saison in den unteren 2% in der Kategorie „abgefangene Bälle“ und im schlechtesten Prozent in der Kategorie „zurückgewonnene Bälle“ wieder. In der Saison davor in den unteren 21% und 4%. Davor 14% und 10%. Man hat sich mit Selke also einen Mentalitäts- aber sicherlich keinen Pressingspieler dazugeholt. Mit Glatzel und Selke gleichzeitig auf dem Platz hätte man gegen den Ball eine erste Reihe, die mit viel Laufarbeit in der dahinterliegenden Reihe aufgefangen werden müsste.

Technik im Zusammenspiel

Es ist sicherlich kein Zufall, dass RB Leipzig und Steffen Baumgart Selkes Profil sehr interessant finden. Als geradliniger, zweikampfbetonter Stürmer kann er sehr wertvoll in der letzten Linie und im Strafraum sein. Alles andere ist sicherlich auch mal möglich aber sollte nicht zu sehr herausgefordert werden. Dafür reicht seine Technik in der Regelmäßigkeit einfach nicht.

Bietet den Doppelpass an und lässt den Ball dann viel zu hoch wieder klatschen. Leider nicht zu verarbeiten für seinen Teamkollegen.

Lässt sich fallen, um den klatschen lassen zu können aber gibt dem Ball zu wenig Kraft mit und so kann dieser relativ mühelos vom Dortmunder abgefangen werden.

Bekommt den Ball mit direktem Gegnerdruck. Diesem kann er nicht entgehen und wird schnell wieder vom Ball getrennt.

Selke hat die Fähigkeit, Bälle mit seinem Körper überragend abzuschirmen und dann mit Ruhe weiterzuleiten. In einer dynamischen Kombination, die nur 1-2 Kontakte erlaubt hat er häufig Schwierigkeiten.

Spielmacher-Qualität

Sein ganzes Profil schreit nach Abschlussspieler und so ist es auch wenig verwunderlich, dass Selkes Fähigkeiten als Vorbereiter doch klar ausbaufähig sind. Im fehlen die Möglichkeiten im offensiven 1-vs-1, die Technik und Kreativität. Zudem dann im entscheidenden Moment auch mal die Übersicht. Versucht man Selke in eine Vorbereiter-/Spielgestalter-Rolle zu pressen wird man enttäuscht werden.

Er kann sich körperlich und mit seiner Geschwindigkeit gegen Schlotterbeck durchsetzen allerdings fehlt ihm dann die Idee was er mit dem Ball als Nächstes anfangen soll. Er dribbelt sich dann an die Eckfahne und schlägt eine Flanke, die keine Chance hat auch nur irgendwie verwertet zu werden.

„fbref“-Statistiken im Vergleich zu Bundesliga-Stürmern in der Saison 2023/2024

Verletzungen

51 verpasste Spiele in den letzten 10 Jahren. Selkes Verletzungshistorie ist nicht dramatisch aber trotzdem eben ausreichend vorhanden. Er braucht für seine Spielweise eine hundertprozentige Fitness, sonst ergibt es keinen Sinn.

„Ermutigend“ kann sein, dass es in seiner Akte keine besondere Häufung an Muskelverletzungen gibt. Zwei Fußverletzungen ließen ihn zuletzt ausfallen, ansonsten sind es immer wieder Blessuren, die von den HSV-Ärzten jetzt über die Saison richtig eingeschätzt werden müssen. Bekommt die Belastung gut angeglichen wird Selke seine Einsätze bekommen aber man kann davon ausgehen, dass er seine Pausenzeiten benötigen wird.

Meine Verletzung ist ausgeheilt, der Fuß fühlt sich super an. Jetzt werde ich im Training sehr gut gesteuert, rangeführt und freue mich darauf, dass ich bald mit der Mannschaft trainieren kann. Die Belastung wird kontinuierlich gesteigert. Ich habe am Montag zum ersten Mal die 1000-Meter-Läufe mitmachen dürfen. Die hat der Coach aus Köln mitgebracht, an die können wir uns in der Vorbereitung gewöhnen. Das habe ich gut verkraftet.

Selke über seinen Fitnesszustand | Das sagt Sturm-Zugang Selke zur Doppelspitze mit Glatzel

Fazit

Mit Selke bekommt der HSV eine neue Komponente für den Sturm dazu. Ein Mittelstürmer mit diesen körperlichen Voraussetzungen und gleichzeitig dieser Geschwindigkeit wird für jeden Zweitligisten schwierig zu verteidigen sein.

Der größte Faktor in dem Ergebnis „Erfolg“-„Misserfolg“ wird sein Selke richtig einzusetzen. Es wird dem HSV nichts bringen, wenn Selke sich viel fallen lässt und Bälle verteilen will. Erstens hat man mit Robert Glatzel einen solchen Stürmer schon und zweitens hat man mit Pherai und Karabec deutlich bessere zentrale Spielmacher als dass es ein Davie Selke übernehmen müsste.

Kriegt man sein Profil richtig in das HSV-Spiel eingebaut kann seine Verpflichtung ein Volltreffer sein. Der Grat ist allerdings schmal, dass man sich daran nicht schnell anpassen kann und Selkes Fähigkeiten vielleicht ein wenig verloren gehen, weil seine Mitspieler ihn nicht richtig in Szene gesetzt bekommen. Man war nun mal gewohnt, dass sich der Mittelstürmer gerne fallen lässt.

Ich bin gespannt wie schnell sich Selke nach seiner Verletzung etablieren kann und wie positiv oder negativ man nach der Hinrunde auf seine Verpflichtung schauen wird.

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