Allgemein
St. Gallen, Bern, Genua, Montpellier, Hamburg. Rechtsverteidiger, Innenverteidiger, dann wieder Rechtsverteidiger. Dreier-, Vierer-, Fünferkette. Es ist sicherlich fair zu sagen, dass Silvan Hefti sich bereits häufiger in seiner Karriere auf neue Situationen einstellen musste. Das wird er auch dieses Mal beim HSV müssen. Wieder neues System, neue Mitspieler, neue Liga.
Hefti spielte in St. Gallen zunächst Rechts- oder Innenverteidiger bis er letztendlich fest auf die rechte Seite geschoben wurde. Dort spielte er auch 2019/2020 seine offensiv beste Saison, die er mit 10 Scorern (3 Tore/7 Vorlagen) abschloss und die einen Wechsel zum damaligen Schweizer Meister dem BSC Young Boys zur Folge hatte. Dort konnte er mit starken Leistungen anschließen, wurde mit der Berner Mannschaft Schweizer Meister und wechselte im Winter 2022 zum italienischen Erstligisten Genua CFC mit denen er aber noch in der selben Saison in die Serie B abstieg. Seitdem folgten weniger erfolgreiche Jahre in Genua und einer ebenfalls eher unbefriedigenden Leihe zum französischen Erstligisten Montpellier HSC.
„Silvan ist ein taktisch sehr zuverlässiger Verteidiger. Er soll uns mit seiner Zweikampfstärke defensiv stabilisieren und auf der rechten Seite durch seine Intensität zusätzliche Impulse setzen.“
HSV-Sportdirektor Claus Costa über Silvan Hefti – https://www.hsv.de/news/hsv-verpflichtet-hefti
Hefti agierte in den letzten Jahren sowohl als rechter Schienenspieler, der klar auch für die offensiven Akzente zuständig sein sollte als auch als klassischer RV, der zwar Breite bietet aber nicht besonders hoch positioniert wird.
Defensiv:
Offensiv:
Seine Heatmaps der letzten beiden Saisons zeigen, dass Hefti für die komplette Seite zuständig gewesen ist, sowohl in Genua als auch Montpellier und zudem auch immer wieder Tendenzen zeigte gerne auch zentraler zu agieren:
Mit Hefti bekommt der HSV ein spannendes Profil für die Defensive aber auch Offensive. Hefti ist weder der typische Schienenspieler, der mit Top Speed und Offensivdrang die rechte Seite bearbeitet noch ist er ein klassischer RV, der gerne hinten bleibt und nur partiell sich mit in die Offensive einschaltet. Hefti verbindet eine gute Athletik mit gutem taktischem Verständnis im Defensivverhalten. Er kann Akzente in der Offensive setzen und ist trotzdem immer auch dabei die Defensive im Auge zu behalten.
Zudem ist es mit Hefti sicherlich auch möglich ihn als äußeren Innenverteidiger einer Dreierkette aufzustellen und so Muheim weiter offensiv zu positionieren. Also je nach Spielsituation, je nach gewollter taktischer Variante bietet Hefti der Hamburger Mannschaft neue Möglichkeiten.
Wie er das tut, was er gut macht und woran er noch arbeiten muss. Jetzt in der Analyse.
Analyse
Beobachtete Spiele
- Genua CFC – Modena FC (11.08.2023, 90 Minuten)
- Genua CFC – AC Florenz (19.08.2023, 90 Minuten)
- OGC Nizza – Montpellier HSC (08.03.2024, 13 Minuten)
- Stade Reims – Montpellier HSC (21.04.2024, 90 Minuten)
Stärken
Aggressives „Nach-Vorne-Verteidigen“
Beim Schweizer Rechtsverteidiger sieht man immer wieder Szenen in denen er erbarmungslos seinen Gegenspieler anläuft und ihn so zum Rückpass zwingt. Hefti hat ein gutes Gespür dafür wann Pässe gespielt werden und wann er den Schritt auf seinen Gegner zumachen muss, um ihn unter Druck zu setzen.
Hefti schafft es häufig in kurzer Zeit die Distanz zu seinem Gegenspieler zu überbrücken auch wenn er zunächst gar nicht als direkter Gegner gesehen werden würde.
Verhalten im Angriffspressing
Hefti ist es aus seiner Zeit in Genua gewohnt sehr hoch den Gegner zu pressen. Dies wird ihm im System unter Steffen Baumgart zu Gute kommen. In Genua spielte er fast schon als Rechtsaußen, wenn der Gegner zum Pressing einlud.
Hier in dieser Szene kann Hefti seinen Gegenspieler schon bei der Ballannahme nach hinten drängen und zwingt ihn am Ende zum langen Ball, der im Aus landet.
Auch hier zeigt der 26-Jährige seine Spielintelligenz. Er passt den richtigen Moment ab und kann in Kombination mit seiner Dynamik im Antritt den Gegner so stören, dass nur ein Querschläger dabei rumkommt. Hefti zeigt hier Tendenzen, die man beim HSV von „Außenbahnspielern“ sonst nur von Bakery Jatta kannte, der auch sehr gut darin war Bälle frühzeitig im Angriffspressing zumindest zu blocken oder abzufälschen.
„Silvan hat in unterschiedlichen Ländern und deren höchsten Spielklassen umfangreiche Erfahrungen gesammelt, die er nun bei uns einbringen wird. Er möchte und soll Verantwortung übernehmen, daher freuen wir uns sehr, dass wir den Transfer realisieren konnten.“
HSV-Sportdirektor Claus Costa über Hefti – https://www.hsv.de/news/hsv-verpflichtet-hefti
Defensives 1-gegen-1
Silvan Hefti beweist im defensiven 1-gegen-1 häufig eine starke Balance in seinen seitlichen Bewegungen. Praktisch jede Bewegung des Angreifers kann gespielt werden ohne dass er seine Balance verliert. So wird es für den Gegenspieler super schwierig an ihm im Dribbling vorbeizukommen.
Der Angreifer dribbelt frontal auf ihn zu, will dann mit einer schnellen Bewegung in die Mitte ziehen und flanken aber Hefti kann die Bewegung gut mitgehen und mit einem langen Ausfallschritt die Flanke blocken.
Hier kommt er durch einen langen Diagonalball auf die linke Seite in eine 1-gegen-1-Situation. Hefti kann das Momentum des Angreifers auffangen, ihn in eine statische Position bringen und sich so viel Zeit erkaufen, dass daraus ein 1-gegen-2 wird und der Angreifer den Rückpass wählt.
Übersicht im Defensivverhalten
Nicht nur im direkten Zweikampf sondern auch im Abfangen oder Blocken von Pässen ist Hefti definitiv eine Verstärkung für den HSV. Er hat ein gutes räumliches Empfinden und behält häufig die Übersicht was um ihn herum passiert.
Hefti nimmt hier den Laufweg hinter sich wahr, stellt deswegen den Körper schon ein wenig breiter, ein wenig frontaler vor den Angreifer, um so den direkten Passweg zu schließen und so gelingt es ihm in den Zweikampf zu kommen und den Ball zu blocken.
Verhalten im Spiel auf der „Schiene“
Im Offensivspiel wird man von Silvan Hefti nicht erwarten dürften, dass er im Alleingang für die großen Momente sorgt. Was er aber gut kann sind Tempovorstöße über die Seite, da ihm sein sauberes Passspiel erlaubt mit wenigen Kontakten Meter zu machen. Eine typische Szene ist diese für ihn:
Beim HSV wird es vor allem auf das Zusammenspiel mit den im Halbraum positionierten Spielern ankommen. Findet Hefti dort schnell ein gemeinsames Verständnis könnte dies sehr gut funktionieren.
Flankenqualität
Für einen eher defensivstarken Schienenspieler sind Heftis Flanken von ordentlicher Qualität. Diese kommen nicht in großer Regelmäßigkeit aber er hat definitiv die Technik um im System von Steffen Baumgart die ein oder andere vernünftige Flanke auf die Zielspieler vorne zu bringen.
Der Ball wird zurück auf Hefti gelegt, der direkt zur Flanke ansetzt und seinen Mitspieler findet, der den Ball dann leider komplett danebensetzt. Gefühlt (leider kein Beweis hierfür) sind Heftis Flanken aus der Bewegung besser als statische, die groß vorbereitet sind. In seiner Karriere war Hefti nicht für die stärksten Zahlen in der Kategorie Flanken bekannt aber die Technik dafür hätte er definitiv.
Führungsspieler-Qualität (?)
Ich habe ein Fragezeichen hinter diesen Punkt gesetzt, weil solche Beurteilungen von außen immer schwierig zu treffen sind. Hefti war bereits mit 21 Jahren Kapitän des FC St. Gallen, führte seine Mannschaft in insgesamt 75 Spielen als Kapitän aufs Feld.
Auch Stefan Kuntz sagte am Rande der Einweihung der Uwe-Seeler-Allee:
„Er möchte sich zum Führungsspieler entwickeln. Dabei wollen wir ihm helfen.“
HSV-Sportvorstand Stefan Kuntz über Silvan Hefti – Nächster Neuzugang unterschreibt: Was Kuntz über Hefti sagt
Ob man deswegen direkt erwarten darf, dass er von Beginn an als klarer Führungsspieler auftritt bleibt abzuwarten. Fair wäre ihm die nötige Eingewöhnungszeit mit Mitspielern und Umfeld zu geben. Dass er das Potenzial dazu hat auch Verantwortung zu übernehmen ist aber klar gegeben.
Luft nach oben
Aggressivität im Pressing
Auf der einen Seite zeichnet er sich durch starkes Pressing und aktives Zweikampfverhalten aus aber es birgt natürlich auch die Gefahr mal einfacher überspielt zu werden.
In einem Sprintduell gegen seinen Gegenspieler kann Hefti sehr gut mithalten. Als er sich auf einer Höhe mit ihm befindet entscheidet er sich allerdings nicht dazu zu versuchen das Tempo des Angreifers zu verringern und ihn irgendwie zu stellen sondern er geht direkt auf den Ballgewinn. Dadurch hat sein Gegenspieler relativ leichtes Spiel und mit einer kurzen Körperbewegung ist Hefti wieder einen halben Meter hinter ihm was den Raum für die Flanke öffnet.
Auch hier kann Hefti erst wieder sehr gut die Lücke zwischen seinem Gegner und sich schließen, kriegt ihn eigentlich in eine gewollte statische Position aber er geht dann wieder zu aggressiv auf den Ballgewinn. Bleibt er hinter seinem Gegenspieler und stellt ihn kann nicht viel passieren. So hat der Angreifer die Möglichkeit wieder ins Dribbling und an ihm vorbeizugehen. Auch wenn es zugegeben sehr stark vom Spieler von Nizza gewesen ist.
Offensives 1-gegen-1
Wie bereits weiter oben angedeutet ist Silvan Hefti kein Spieler, der mit großen Offensivaktionen glänzen kann. Sein Dribbling ist unterdurchschnittlich, wenn er sich überhaupt in ein 1-gegen-1 begibt.
Er bekommt den Ball mit der Hacke abgelegt und versucht dann mit wenigen Kontakten am Verteidiger vorbeizukommen was nicht gelingt. Hefti fehlt in diesen Situationen die Beweglichkeit sich schnell am Gegner vorbeizubewegen. Sein offensives 1-gegen-1 wirkt ein wenig statisch und hölzern.
Positiv könnte man sein Dribbling als „geradlinig“ und „zielstrebig“ beschreiben. Hier bekommt er den Ball an der Außenlinie und sofort setzt er zum vertikalen Sprint an. Er versucht dann durch 2 Mann eine Flanke hindurch zu schlagen. Diese wird geblockt und Hefti kann wenigstens im Nachfassen noch eine Ecke herausholen.
Der Schweizer Rechtsverteidiger hat teilweise nicht die Ruhe in seinen Aktionen nochmal auf den Ball zu treten und entweder a) doch noch ins Dribbling zu gehen oder b) den besser postierten Mann kurz zu suchen. Seine Versuche wirken dann ein wenig „Mit dem Kopf durch die Wand“.
Überhastete Aktionen
Dieser Punkt schließt direkt an den anderen an. Ein großer Pluspunkt und sicherlich etwas was den Scouts des HSV und Steffen Baumgart gefallen hat ist Heftis Tendenz schnell die Tiefe zu suchen. Dies macht er vor allem durch eigene Tiefenläufe über die Außen aber auch im Passspiel versucht er häufig das Spiel schnell zu machen.
Das führt allerdings nicht selten zu vermeidbaren Ballverlusten, weil es natürlich riskanter ist weite Distanzen zu überbrücken als vielleicht mal ein wenig das Tempo herauszunehmen.
Es sind dann Szenen wie diese, die vermeidbar sind. Aus einer eigentlich ruhigen Position sucht Hefti direkt die Tiefe anstatt nochmal zu schauen ob zentral oder hinter ihm bessere Optionen verfügbar sind.
Natürlich ist dies auch immer Teil einer Spielphilosophie. Vielleicht war bei Genua die oberste Maxime den tiefsten Mitspieler finden zu wollen und Hefti hat rein nach Prinzip erstmal das Richtige gemacht. Trotzdem ist es an ihm abzuwägen ob dann, wenn der tiefste Mann nicht verfügbar ist nicht erstmal der zweittiefste usw. die bessere Option für sein Zuspiel wäre.
Technik unter Druck
Hier und da unterlaufen Silvan Hefti noch einfache Fehler, wenn er unter Druck gerät. Es sind allerdings nur kleine Situationen und keine, die für das eigene Team gefährlich werden könnten. Diese könnten mit steigendem Selbstbewusstsein und häufigeren Einsätzen auch wieder abzustellen sein.
Er kriegt unter Gegnerdruck den Ball in den Lauf, legt ihn sich mit dem ersten Kontakt sehr hoch und spielt den Ball dann unerreichbar für seinen Mitspieler weiter. Im Normalfall zeichnet sich Hefti mit einer sauberen Technik aus, deswegen gehe ich davon aus, dass er dies mit höherer Einsatzzeit als in den letzten Jahren abgestellt kriegen kann.
Kopfballspiel
Zwar ist Silvan Hefti mit 1,83m nicht wirklich klein für einen Außenverteidiger (für einen Innenverteidiger schon) aber trotzdem ist sein Verhalten bei Kopfbällen nicht gut. Viel zu häufig lässt er sich aus der Position drängen oder er verpasst das Timing. Auch das wird ein Punkt sein wieso Hefti im Laufe der Karriere aus seiner IV-Rolle in eine eher offensivere gerückt worden ist.
Fazit
Mit Silvan Hefti bekommt der HSV einen defensivstarken und offensivbemühten Schienenspieler mit Potenzial auch andere Rollen auf dem Platz ausfüllen zu können. Saubere Technik, dynamischer Antritt, hohe Spielintelligenz. Diese Eigenschaften dürfen Vorfreude auf den Schweizer Außenverteidiger entfachen.
Nach zwei eher mauen Jahren sollte man Hefti trotzdem die Zeit geben sich an das neue System zu gewöhnen, auch wenn man von ihm erwarten darf, dass die Eingewöhnung eher schnell als langsam gelingt. Zudem muss man abwarten ob seine zunächst angedeutete Stärke in der Offensive nochmal neu beim HSV entdeckt werden kann. In den letzten Jahren war er eher mit defensiver Stabilität als offensivem Spektakel aufgefallen.
Der HSV hat einen für sein Spielsystem sehr passenden Spieler verpflichtet, der ohne die etwas enttäuschenden letzten Jahre sicherlich nicht im Bereich des Möglichen für die Rothosen gewesen wäre. Bleibt zu hoffen, dass Hefti in Hamburg wieder zu alter Stärke und Form zurückfindet. Denn dann wäre dem HSV ein sehr starker Transfer gelungen.