Vielleicht doch mehr als ein glücklicher Sieg? #KOEHSV Analyse

Auftaktsieg beim Absteiger und Top-Favorit auf den Wiederaufstieg? Für viele andere Mannschaften dieser Liga wäre das wohl ein Traumstart. In Hamburg hält sich die Euphorie jedoch in Grenzen. Vielleicht liegt es am gestreuten Pessimismus vor dem Auftakt oder an dem überraschend gewählten Spielansatz von Steffen Baumgart? 40,3 % Ballbesitz und ein Field Tilt von 23 % sind Werte, die HSV-Fans lange nicht mehr gesehen haben. Dieser „passive“ Ansatz erntete viel Kritik und Verwunderung. Je nach Modell „erzielte“ Köln 2,7 xG bis 3,3 xG. Dies sieht auf den ersten Blick nicht nach der geforderten Stabilität aus und wirkt wie ein mehr als glücklicher Auftaktsieg für den HSV. War es aber nur Glück, oder hat der HSV vielleicht doch mehr richtig gemacht, als auf den ersten Blick erkennbar?

Personell gab es vor dem Auftakt auf beiden Seiten noch kleinere Fragezeichen. Beim HSV stellte sich die Frage, wer die rechte Schiene beackern sollte. Die Wahl fiel etwas überraschend auf Bakery Jatta und nicht auf William Mikelbrencis. Auf der Doppel-10 agierten Ludovit Reis und Neuzugang Adam Karabec.

Bei den Kölnern startete Pauli anstelle von Heintz, und Waldschmidt wurde rechtzeitig fit für einen Startelfeinsatz.

Köln agierte mit Ball wie erwartet in ihrem 4-Raute-2-System. Pauli und Hübers bildeten mit Martel einen 2-1-Aufbau, der situativ durch Huseinbasic im linken Halbraum unterstützt wurde. Beide Außenverteidiger hielten konsequent die Breite und fanden sich fast immer auf einer Höhe mit Martel.

Im rechten Halbraum agierte Ljubicic als halber Zehner. Er stieß permanent in den Raum vor der Sturmspitze, wenn Waldschmidt aus diesen Zonen herauskippte. Downs und Lemperle zeigten ebenfalls eine hohe Variabilität und präsentierten sich, wie zuvor in den Testspielen, mit vielen raumangreifenden Läufen in die Tiefe und Breite.

Der HSV überraschte mit seiner Formation gegen den Ball. Sechser Jonas Meffert kippte zwischen die beiden Innenverteidiger Sebastian Schonlau und Dennis Hadžikadunić und sicherte so mögliche Unterzahlen gegen das Kölner Offensivtrio ab. Er war zudem ein wichtiger Bestandteil der Box-Verteidigung gegen die zahlreichen FC-Flanken.

Strukturell ergab sich daraus ein 5-4-1-System gegen den Ball, das zu Beginn noch recht variabel war. Durch die Defensivrollen von Bakery Jatta und Adam Karabec zeigte sich gelegentlich eine andere Grundformation. Jatta war in den ersten Minuten oft noch höher gegen seinen direkten Gegenspieler Leart Paçarada positioniert, zog sich aber im Laufe des Spiels weiter zurück, um gegen die Läufe von Downs die Tiefe besser abzusichern. Auch Karabec war zunächst oft neben Ransford Königsdörffer zu finden, fügte sich aber im Laufe des Spiels rechts von Jean-Luc Dompé in die Vierer-Reihe ein.

Die beiden Achter, Daniel Elfadli und Ludovit Reis, agierten in einer Mischung aus Raum- und Mannorientierung. Verschob Köln in den Halbraum oder die Breite, schoben die HSV-Achter auf den gegnerischen Aufbauspieler vor. Dies führte beim HSV häufig zu Problemen in ihrem Defensivverbund.

Die Kölner fanden Lücken, abseits der vielen unnötigen individuellen Fehler, vor allem durch die Diagonalität zwischen den Hamburger Defensivlinien. Es gab mehrere Ursachen für diese horizontalen und vertikalen Unkompaktheiten.

Diese Kette begann auf der rechten Seite meist mit einer suboptimalen Position von Adam Karabec gegen den Ball. Entweder erwischte es ihn nach einem Vorstoß auf den zweiten Kölner Innenverteidiger, oder er positionierte sich nicht gut im Raum gegen Leart Paçarada auf der Außenbahn.

In der Folge musste Daniel Elfadli oft nach außen auf Denis Huseinbašić herausrücken, was einen riesigen Raum in seinem Rücken öffnete. Ludovit Reis verpasste es daraufhin, den Rücken von Elfadli abzusichern, wodurch auch seine Position in diesen Situationen oft alles andere als ideal war. So konnte Paçarada regelmäßig einen der drei Stürmer im Zentrum finden. Köln suchte in der Folge sofort die Tiefe, aber ohne wirklich gefährlich zu werden.

Die gleichen Probleme fanden sich auch auf der linken Hamburger Defensivseite. In der zweiten Halbzeit nutzte Jan Thielmann regelmäßig den Raum zwischen den Hamburger Ketten. Die Gründe hierfür sind ähnlich, aber nicht identisch.

Die Defensivzuteilung auf der linken Seite unterscheidet sich leicht von der rechten, wie oben bereits erwähnt. Auffällig ist, dass Miro Muheims direkter Gegenspieler oft Dejan Ljubičić war, dem er auch in die Breite folgte. Durch Jean-Luc Dompés schlechten Anlaufwinkel und die aufgerückte Position von Ludovit Reis gegen Eric Martel öffnete der HSV erneut den Raum vor der Fünferkette für die Kölner.

Der HSV zeigte in diesen Szenen auch individualtaktische Schwächen. So war das Übergeben von Dejan Ljubičić zwischen Ludovit Reis und Miro Muheim in tieferen Zonen nicht immer hundertprozentig sauber. Auch das Vorwärtsverteidigen der Kette war nicht immer gut getimed, sodass man oft nicht genügend Druck auf den Kölner Passempfänger ausüben konnte.

Aber auch gegen eine gute Ordnung des HSV-Blocks hatte Köln Lösungen parat. Wenn Ludovit Reis und Daniel Elfadli mal ohne Herausrücken vor der Kette agierten, nutzte Köln das Abkippen der Stürmer oder von Luca Waldschmidt, um im Zwischenlinienraum ein kleines Zuordnungschaos zu erzeugen. In diesem Beispiel zog Damion Downs Elfadli leicht aus der Struktur heraus, sodass Waldschmidt in seinem Rücken wieder frei wurde. Reis verpasste es auch in diesen Situationen, Elfadli besser abzusichern.

Kölns Stilmittel mit diagonalen Eröffnungen fand gegen den HSV zumindest im Ansatz Erfolg. Wirklich gefährlich wurde Köln jedoch fast nie. Betrachtet man alle 28 Kölner Abschlüsse separat und analysiert explizit die Chancen gegen den tief stehenden HSV-Block, fällt auf, dass Köln zwar gute Ansätze hatte, aber selten in aussichtsreiche Abschlusspositionen kam. Satte 17 Abschlüsse stehen für den FC zu Buche, doch blickt man auf die expected Goals (xG), so liegen nur 3 der Kölner Abschlüsse über einem Wert von 0.1 xG: ein Abschluss von Damion Downs, ein Kopfball von Denis Huseinbašić, und das Tor von Linton Maina.

Alle anderen Kölner Großchancen resultierten aus individuellen Fehlern der Hamburger, Kontern oder Standardsituationen. Gefährlich wurden die Kölner vor allem, wenn sie den HSV außerhalb ihres Blocks erwischten und in ihr geradliniges, schnelles Umschaltspiel kommen konnten.

Wenn man also nur auf Basis der expected Goals argumentieren möchte, sollte man sich mit diesen Zahlen etwas genauer auseinandersetzen. Es ist ebenfalls keine Seltenheit, dass ein Team, das 2:0 führt, in der Folge dieser Führung in der xG-Statistik übertroffen wird.

Auch schoss Köln nur dreimal aufs Tor, und noch wichtiger: Nach dem Anschlusstreffer kam von Köln nichts Zwingendes mehr auf das Hamburger Tor. Es dauerte 13 Minuten, bis sie aus dem Spiel heraus wieder zu einem Abschluss kamen. Obwohl Köln beeindruckende Zahlen auf der xG-Skala aufwies, liegt die Wahrheit auch darin, dass sie aus eigener Kraft zu wenig Chancen kreieren konnten.

Mit Ball verfolgten die Hamburger einen ebenfalls vorsichtigen, aber durchaus effektiven Ansatz. Den unter Baumgart üblichen 3-2-Aufbau veränderte man situativ zu einem 3-1-Aufbau mit einem höhenversetzten Daniel Elfadli. Der HSV zeigte sich dabei äußerst variabel. Miro Muheim und Dennis Hadžikadunić pendelten häufig in die Breite, Jonas Meffert ließ sich teils neben Sebastian Schonlau in die erste Linie fallen und wurde dann von Elfadli als Anker vertreten. Generell kann man sagen, dass die Positionswechsel von Elfadli und Meffert sowohl mit als auch gegen den Ball extrem flüssig sind. Es wirkte nicht so, als wäre es ihr erstes Pflichtspiel zusammen gewesen.

Auch Ludovit Reis kippte situativ in die Tiefe ab, agierte jedoch im Durchschnitt höher als Elfadli. Adam Karabec lauerte meist im Zwischenlinienraum für Umschaltmomente.

Köln agierte in einer 4-2-1-3-Struktur. Damion DownsTim Lemperle und Dejan Ljubičić spiegelten die erste Aufbaulinie des HSV wider, während sich Luca Waldschmidt am Hamburger Sechser orientierte. Eric Martel und Denis Huseinbašić sicherten den Raum dahinter ab. Köln hatte hier gerade zu Beginn aufgrund der Schläfrigkeit des HSVs Erfolg, aber der HSV wusste sich dennoch gut gegen das Kölner Angriffspressing zu befreien – und das immer wieder über dasselbe Kölner Problem.

Kölner Schwachstellen

Das Problem der Kölner war das 1-gegen-2-Duell von Huseinbašić gegen Adam Karabec und Daniel Elfadli. Egal, für welche Entscheidung sich der junge Kölner Mittelfeldspieler entschied, der HSV konnte vor allem in der ersten Halbzeit oft Kapital aus dem freigewordenen Spieler schlagen.

Wenn Huseinbašić auf Elfadli vorschob, gelang es Torwart Daniel Heuer Fernandes oft, mit seiner fußballerischen Qualität den freien Karabec im Raum zwischen Leart Paqarada und Huseinbašić zu finden.

Sicherte Denis Huseinbašić ab, stand gelegentlich Luca Waldschmidt vor einem 1-gegen-2-Duell hinter der Kölner Dreierlinie. Zwar fand der HSV Daniel Elfadli (oder den freien Mann) nicht immer mit dem ersten Pass, doch oft mit der zweiten oder dritten Station, sodass der HSV immer wieder gut aus dem Kölner Pressing heraus verlagern konnte. Ein Mittel, das den Kölnern noch doppelt wehtun würde.

Beim 0:1 des HSV fällt die ermahnte Unterzahl im Mittelfeld noch nicht ins Gewicht, jedoch zeigt sich das horizontale Verschieben des FC deutlich. Nach einem kurz ausgeführten Freistoß des HSV kommt es zu einer Verlagerung, in der Miro Muheim mit Dejan Ljubičić im Rücken nach vorne drängt.

Köln gerät hier in eine unangenehme Defensivaktion, ohne es groß zu befürchten. Durch die ballnahe Position von Ransford Königsdörffer bindet er Timo Hübers in der letzten Linie, sodass dieser nicht aktiv in die Situation eingreifen kann, um möglicherweise Jean-Luc Dompé im Duell mit Jan Thielmann zu unterstützen.

Nach dem Pass von Muheim auf Dompé steht Thielmann trotz eines schnellen Zurückrückens von Ljubičić vor einem 1-gegen-2-Duell, da Ludovit Reis aus dem Halbraum die Tiefe zwischen der Kette angreift. Dieser Lauf lässt Thielmann in seinem Duell mit Dompé wahrscheinlich zögern, sodass dieser relativ mühelos nach innen ziehen und den Abschluss suchen kann.

Das 0:1 ist sicherlich begünstigt durch die defensive Unordnung, aber man konnte bereits erahnen, dass der HSV geradlinig den Torabschluss suchen würde.

Kölns fehlende horizontale Kompaktheit und das Problem der Unterzahl im Mittelfeld wurden beim 0:2 des HSV besonders deutlich. Der 1. FC Köln geriet hier, mit dem mitspielenden Daniel Heuer Fernandes, sogar in eine doppelte Unterzahl in der eigenen Hälfte.

Damion Downs läuft nach einem Querpass von Sebastian Schonlau auf Heuer Fernandes direkt auf den HSV-Torwart zu. Auch Tim Lemperle beginnt, den Keeper zu attackieren, allerdings aus einem absolut haarsträubenden Anlaufwinkel. Den auflösenden Ball auf Dennis Hadžikadunić zu spielen, ist keine große Kunst. Ab diesem Moment läuft Köln nur noch hinterher.

Dennis Hadžikadunić zeigt einen seiner guten Läufe mit dem Ball und zieht das Kölner Pressingkonstrukt weiter auseinander. Tim Lemperle und Damion Downs sind aus der Situation heraus, sodass für die Arbeit gegen den Ball nur Luca Waldschmidt übrig bleibt. Zwar schafft es Waldschmidt bei seinem Herausrücken, Daniel Elfadli in seinem Rücken aus dem Spiel zu nehmen, doch Jonas Meffert bleibt dem HSV als progressivere Option erhalten, da Denis Huseinbašić erneut absichert, anstatt vorne zu unterstützen.

Aus dieser Situation heraus kommt der HSV wieder in die horizontale Verlagerung. Dieses Mal verteidigt Jan Thielmann das Nach-Innen-Ziehen von Jean-Luc Dompé, sodass Adam Karabec beim Überlaufen den Platz hat, den er braucht, um eine perfekte Flanke auf Ransford Königsdörffer zu schlagen.

Der HSV zeigt in diesen Umschaltmomenten eine starke Geradlinigkeit. Auch die weiteren Konter des HSV waren vielversprechend. Mit mehr Präzision und vielleicht einem Schritt mehr Vorsprung hätte der HSV den Kölnern durchaus noch mehr weh tun können.

Offensiv ging der HSV, wahrscheinlich weil der Matchplan perfekt aufging, nur selten ins Risiko. Man erdrückte die Kölner selten mit viel Personal, aber in der ersten Halbzeit reichten die Nadelstiche von Jean-Luc Dompé aus. Die Ansätze über Adam Karabec auf der rechten Seite benötigten sicherlich noch einen Feinschliff. Es fehlte zudem ein Spieler, der in der letzten Linie binden und durch Pässe verbinden kann. Ransford Königsdörffer als Neuner außerhalb des Umschaltspiels wird wahrscheinlich nicht Steffen Baumgarts bevorzugte Lösung bleiben, insbesondere gegen schwächere Gegner.

In der zweiten Halbzeit zog sich der HSV weiter zurück und schaffte es dadurch nicht mehr, konsequent für Entlastung zu sorgen. Man kann von diesem Ansatz halten, was man möchte, aber der Erfolg in der zweiten Halbzeit gibt Baumgart letztendlich Recht. 15 Schüsse und 1,09 xG (durchschnittlich 0,07 xG pro Schuss) bestätigen das Bild, dass Köln in der zweiten Halbzeit abseits der Flanken von Jan Thielmann nicht extrem durchschlagkräftig war.

Es gibt sicherlich situative Dinge zu kritisieren. Jonas Meffert und Sebastian Schonlau sahen beim 1:2 nicht gut aus, und Ludovit Reis fehlte oft zum Absichern. Man muss aber auch deutlich sagen, dass es das erste Spiel der Saison war. Zudem gibt es auf diesem Niveau gegen einen solchen Gegner wahrscheinlich keine perfekten 90 Minuten gegen den Ball. Der HSV bot zwar vor der Abwehr viele Angriffsflächen, war aber in der letzten Linie fast immer hellwach und verteidigte das 1:2 leidenschaftlich nach Hause.

Natürlich kann das Spiel jederzeit in eine andere Richtung kippen, aber das ist nun einmal die Natur des Sports. Nach dem ersten Spieltag geht es darum, auf den positiven Aspekten aufzubauen. Es gab viel Positives, und das 0:2 zur Halbzeit war vielleicht etwas glücklich, aber sicherlich kein Zufall.

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