Ist der HSV wirklich zu passiv? #HSVBSC Analyse

In Köln noch Glück gehabt und gegen Hertha bestraft worden. So oder so ähnlich äußerten sich viele Kritiker nach den ersten beiden Saisonspielen des HSV. Viel zu passiv würde die Mannschaft von Steffen Baumgart mit einer Führung im Rücken auftreten, und es könne ja nicht auf Dauer gut gehen. So war wohl auch der Hertha-Ausgleich nur eine Frage der Zeit.

Nach Gegentoren in der Schlussphase ist es aber nicht einmal verwerflich, dass man hier von verlorenen und nicht gewonnenen Punkten spricht. Dennoch darf die Frage erlaubt sein: Hat der HSV wirklich ein Passivitätsproblem, oder lag das Kippen des Spiels vielleicht doch an etwas anderem? Wir gehen auf Spurensuche.

Personell änderte sich beim HSV nichts im Vergleich zum Köln-Spiel. Die Hertha tauschte verletzungsbedingt jedoch zweimal: Karbownik rückte für Cuisance ins Team und Scherhant für Palkó Dárdai. Dies änderte bei den Berlinern aber nichts an ihrer 4-3-3-Grundformation.

Die Hertha erwischte zwar einen leicht besseren Start und kam durch Maza früh zur ersten Chance, aber die erste Hälfte gehörte über weite Strecken dem HSV.

Im Spiel mit Ball setzte der HSV auf gewohnte Strukturen: drei Mann in der ersten Linie, Meffert und Elfadli davor, Reis und Karabec im Halbraum, Jatta und Dompé als Breitengeber und ganz vorne der Doppel-Torschütze der Vorwoche, Ransford Königsdörffer.

Hertha agierte dagegen strukturell etwas überraschend und vorsichtiger, als man es vielleicht erwarten konnte. Wenn man es auf eine Grundformation herunterbrechen möchte, kommt man wohl am ehesten auf ein 4-2-2-2.

Im Anlaufen waren Scherhant und Winkler die ersten Berliner Verteidiger. Sie agierten hier aus recht breiten Zonen zusammen, sodass ihr direktes Anlaufen meist den äußeren Innenverteidigern des HSV galt. Tabakovic war nicht wie erwartet zwischen den beiden Flügeln im Anlaufen zu finden, sondern eine Linie tiefer neben Maza. Hier stellte man die HSV-Doppel-6 zu. Noch eine Linie tiefer sicherten Karbownik und Demme neben Karabec und Reis ab.

Der verhaltene Matchplan der Hertha zeigte sich auch in der Aggressivität des Anlaufens. Man stand zwar relativ hoch, war aber nicht sonderlich aggressiv gegen den Ball.

Der HSV hatte mehrere Lösungen gegen das Berliner Defensivkonstrukt und nutzte in vielen Szenen seine Überzahl in der ersten Linie. Durch Tabakovics tiefe Defensivposition war meist Schonlau der freie Mann im HSV-Aufbau. Er konnte in vielen Szenen ohne viel Druck agieren und das HSV-Spiel ruhig aufbauen. Durchaus problematisch für die Hertha, dass Schonlau mit Ball am Fuß einer der besten Innenverteidiger dieser Liga ist. So hat er genug Qualität und Selbstvertrauen, entweder dieses Hertha-Konstrukt anzudribbeln oder abzuwarten und Druck zu absorbieren, während sich anderswo auf dem Feld eine Möglichkeit öffnet.

Letzteres passierte oft, wenn Schonlau von Winkler oder Scherhant diagonal angelaufen wurde. Aus Hertha-Sicht muss man sagen, dass dies selten aus guten Winkeln geschah, was das Spiel für den HSV dann nicht sonderlich erschwerte. Oft reichte ein Quer- oder Steilpass, um das Hertha-Anlaufen auszuhebeln.

Die zentralen Positionen von Reis und Karabec öffneten entweder den Raum für einen Pass auf den Schienenspieler oder gaben den nötigen Platz für einen Lauf mit Ball, ohne großartig unter Druck gesetzt zu werden. Hadžikadunić wählte oft die Passvariante, während Miro Muheim auch viele Meter mit Ball machte.

Die Probleme im Anlaufen auf Sebastian Schonlau zeigten sich auch in anderen Situationen. In einer weiteren Szene vor der ersten Halbzeit löst Jonas Meffert den Druck von Tabakovic über den freien Schonlau erst auf. Der Stürmer der Hertha schiebt nach dem Pass weiter auf den HSV-Kapitän durch, allerdings ohne, dass jemand Meffert in seinem Rücken gut absichert. Der HSV-Kapitän kann wiederholt einen einfachen vertikalen Ball in den Rücken von Tabakovic spielen, und der HSV hat erneut Raum und Möglichkeiten, nach vorne zu spielen.

Der HSV gewann im Laufe des Spiels immer mehr Selbstvertrauen und fand so auch noch ein drittes Muster, wie man gegen die Hertha zu Chancen kommt.

Nach einem weiteren erfolglosen Durchschieben von Tabakovic rückt Winkler leicht auf Meffert nach. Dies gibt Muheim auf der linken Seite den nötigen Raum, um von Meffert in Szene gesetzt zu werden. Muheim spielt daraufhin leicht in den Druck auf Königsdörffer, der Gechter sofort in seinem Rücken hat. Winkler kann seine Aktion zwar relativ schnell korrigieren, es fehlen aber entscheidende Meter, um defensiv richtig in die Aktion zu kommen.

Königsdörffer schafft es, den Ball gut festzumachen, und legt simpel auf den raumattackierenden Muheim ab. Der statisch erwischte Karbownik verfolgt dann Miro Muheim, sodass Reis keinen direkten Gegenspieler mehr hat. Der HSV spielt es praktisch perfekt zu Ende, scheitert aber am herausragend reagierenden Ernst im Tor der Hertha.

All diese Probleme zeigten sich auch beim 1:0 der Hamburger. Nach einer langen Ballbesitzphase bringt der HSV den gegnerischen Block durch all seine Mittel immer wieder in Bewegung und, übertrieben ausgedrückt, ein wenig ins Chaos. Scherhants Hochschieben auf Schonlau öffnet nach einem Meffert-Muheim-Doppelpass die rechte Seite für Hadžikadunić. Es reicht eine gute 1-gegen-1-Situation von Jatta gegen den oft überforderten Dudziak, um den HSV das erste Mal in diesem Spiel gefährlich werden zu lassen. Das schlechte Stellungsspiel von Linus Gechter macht es dann Königsdörffer nicht besonders schwer, sich durchzusetzen.

Allerdings änderte sich die Statik dieses Spiels nach einer guten bis sehr guten halben Stunde. Die Hertha stellte defensiv um. Tabakovic rückte zwischen die Flügel, und man agierte nun Mann gegen Mann über den gesamten Platz. Die Hertha zeigte schon am Ende der ersten Hälfte, dass sie im Verhalten gegen den Ball nun anders auftreten wollte. Die Berliner waren zwar aggressiver, aber der HSV schaffte es immer noch, Nadelstiche zu setzen. Gelungen ist dem HSV dies über das Spiel in den Druck hinein mit simplen Klatschelementen. Auch war die Hertha in ihrem Timing nicht immer ideal, sodass sich beim Durchschieben zentral durchaus Räume ergaben.

Die Probleme konnte die Hertha mit der Halbzeitpause allerdings ablegen. Sie war nun viel besser in diesen Situationen und konnte den HSV teils unter immensen Druck setzen. Dies zeigte sich in einer Menge von schnellen Ballgewinnen. Die Entlastung fiel dem HSV immer schwerer.

Kleinere Lichtblicke waren die Verlagerungen und das Festmachen der Bälle durch Selke. Hier spielte der HSV die Umschaltmomente allerdings zu unsauber aus.

Die fehlende Entlastung ist somit nicht auf zu viel Passivität zurückzuführen, sondern vielmehr auf die Umstellung der Hertha gegen den Ball in Idee, Struktur und auch Aggressivität.

Aber Ballgewinne allein erzielen noch keine Tore, vor allem nicht gegen einen HSV, der in der Vorwoche wenig Hochkarätiges aus der Ordnung angeboten hat.

Die Hertha überraschte auch hier. Kempf, Gechter und Demme bildeten in den meisten Phasen der Partie einen 2-1-Aufbau mit doppelt breiten Außenverteidigern. Dies hatte man unter Fiel schon anders gesehen. Die Achter besetzten den Halbraum, und die Flügel agierten beide breit.

Der HSV zeigte gegen den Berliner Ballbesitz wieder ihr 5-4-1, das man schon in Köln gesehen hatte. Situativ schob man jedoch aus einem Viererkettenverbund vor. Reis schob in diesen Szenen in die letzte Linie neben Königsdörffer, während Elfadli Demme attackierte. Meffert und Karabec blieben meist tiefer bei den Hertha-Achtern, Dompé rückte auf Kenny vor, und auf der rechten Defensivseite schob Jatta vor und wurde von Hadžikadunić abgesichert.

Speziell nach der Führung bot man den Hertha-Innenverteidigern viel Freiheit im Ballbesitz an, doch die Hertha schaffte es nie wirklich, gefährlich zu werden. Dies lag zum einen daran, dass der Raum vor der Kette immer wieder durch gutes Sichern verteidigt war, und zum anderen daran, dass der Hertha die Mittel gegen einen tiefstehenden Gegner fehlten.

Gefährlich wurden die Herthaner meist nach horizontalen Verlagerungen. Häufig ließ sich der HSV aus der Deckung locken, wenn Jonjoe Kenny am Ball war. Dompé schob dann vor. Die ballnahe Acht (in diesem Fall Karbownik) zog sich und ihren Gegenspieler Richtung Außenlinie, was Raum für Tabakovic zum Abkippen öffnete. Dieser konnte dann entweder direkt oder über Dritte das Spiel der Hertha auf die andere Seite verlagern. Die Hertha hatte dann oft Optionen, da Karabec und Co. erst ordentlich durchschieben mussten, um defensiv wieder in die Aktion zu kommen. Auch gab es in tieferen Zonen oft eine Chance für ein Überzahlspiel, da Hadžikadunić meist eher die Box verteidigte, anstatt Druck auf den vielleicht näheren Gegenspieler auszuüben.

Aus einer ähnlichen Situation kommt die Hertha so zu ihrer besten Möglichkeit in der ersten Hälfte (Abschluss Maza, Minute 2).

Ansonsten fällt den Herthanern in Durchgang 1 nicht viel ein. In Halbzeit 2 verändern sie zwar leicht die offensive Staffelung (Winkler ist nun viel mehr im Halbraum als zuvor), aber die Hertha bleibt in ihren Aktionen weiterhin zu wenig zwingend.

Einen Vorgeschmack auf das Gegentor bekommt der HSV dann in Minute 54. Karabec lässt sich von Kempf locken und sichert nicht mehr die Breite des Mittelfelds ab, sodass Zeefuik in dieser Situation keinen direkten Gegenspieler hat. Mit einem Pass schiebt Jatta vor, und Hadžikadunić rückt in die Breite auf Scherhant. Meffert ist zwar in Mazas Rücken, kann aber seine Verbindung zu Scherhant in die Breite nicht verhindern. Der HSV ist in dieser Szene einfach eine Sekunde zu spät dran. Maza attackiert dann den Raum, der durch das Durchschieben von Hadžikadunić entsteht. Elfadli kann zwar einigermaßen auf Maza reagieren, dennoch fehlen nur Zentimeter zum Ausgleich.

Ähnlich oder fast identisch verläuft der Ausgleichstreffer. Das Personal ist zwar leicht verändert, die Probleme blieben jedoch dieselben.

In einer längeren Ballbesitzphase schiebt Pherai auf Demme, Meffert auf Zeefuik und Baldé auf Maza. Letzterer bleibt dann aber eher im Raum zwischen Maza und dem tief agierenden Kempf. Durch dieses Zucken im Vorlaufen ist Baldé danach defensiv nicht mehr ideal positioniert. Maza hat ein paar Meter Freiheit zu viel, und Meffert kann beim Übergeben diese Meter nicht mehr gut machen.

Parallel beginnt die HSV-Kette, wie schon in Minute 54, beim Spiel auf den Außenverteidiger zu springen. Hefti schiebt auf Dárdai, Hadžikadunić verfolgt den herauskippenden Winkler, und Maza attackiert erneut den Raum in der HSV-Tiefe.

Der ebenfalls eingewechselte Ramos erkennt diese neue Spielsituation dann zu spät und schiebt sehr verzögert durch, was den Berlinern die nötige Zeit für die Flanke gibt. Der Ausgleich fällt dann fast schon mit dem ersten richtigen Hertha-Abschluss aus dem Spiel heraus.

“Auf Dauer hätte dieser Low-Block nicht gut gehen können.” – Ich sehe das jedoch etwas anders, da es 86 Minuten lang gut ging. Abgesehen von den beiden Chancen, die die Hertha nach Standards hatte (Pfosten Gechter, Abschluss Schuler), waren sie aus dem Spiel heraus eigentlich nie wirklich nah dran an einem Ausgleich. Am ehesten noch in Minute 54, als der HSV identische Probleme zeigte wie beim Ausgleich.

Gegen den Ball war das lange Zeit ordentlich. 0,50 xG aus 9 Schüssen bestätigen dies auch in der Statistik, wenn man sich die zweite Halbzeit anschaut.

Der Fokus der Kritik sollte sich daher viel mehr auf die fehlende Lösungsfindung gegen ein aggressives Pressing richten. Hier schnürte die Hertha den HSV ein, und nicht mit ihrem eigenen Ballbesitz.

Grund zur übermäßigen Sorge habe ich dennoch nicht. Die Hertha machte kaum Fehler in der zweiten Halbzeit, was sicherlich nicht die Norm in der zweiten Bundesliga ist. Umso wichtiger wird es sein, die wenigen Chancen zu nutzen, um das Spiel schon vor dem Abpfiff entscheiden zu können.

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