Im Fokus: Das Spiel mit Ball gegen Hannover 96

Auch Tage nach der 0:1-Niederlage in Hannover stellen sich im HSV-Kosmos immer noch dieselben Fragen. Die hartnäckigste bleibt die nach dem Spiel mit dem Ball des HSV und der vermeintlichen Passivität. Doch woran liegt es, dass der HSV es erneut nicht geschafft hat, Druck auf den Gegner aufzubauen oder überhaupt einmal gefährlich vor das Tor zu kommen? Liegen grundlegende Strukturprobleme vor, oder sind es vielmehr individuelle Entscheidungen auf dem Platz, die das Spiel beeinflussen? Schauen wir es uns an:

Strukturell war beim HSV vieles unverändert. Leichte Veränderungen wurden erst etwas später im Spiel sichtbar. Zu Beginn baute der HSV aus seiner mittlerweile bekannten 3-1(2)-Struktur auf, in der Ludovit Reis situativ immer wieder tief neben Meffert unterstützte. Pherai und Karabec, die auf der Doppel-10 agierten, lauerten vertikal versetzt eine Linie weiter. Königsdörffer und Hefti übernahmen die Rolle der Breitengeber, während Selke zentral blieb.

Hannover agierte gegen den Ball leicht strukturverändert. Man könnte ihrem Spiel am ehesten eine 4-1-2-3-Formation gegen den Ball zuschreiben. Zudem gingen die Hannoveraner aggressiv und stark mannorientiert vor. Besonders in den ersten 15 bis 20 Minuten zeigten die 96er eine gute bis sogar sehr gute Defensivleistung, was es dem HSV nicht unbedingt einfacher machte. 

In erster Linie agierten Rochelt, Ngankam und Lee spiegelbildlich zum HSV-Aufbau-Trio. Eine Linie tiefer zeigte sich dann die Variabilität, die 96 am Freitag gegen den Ball mitbrachte. Nielsen und Christiansen orientierten sich mutmaßlich immer am seitennahen 6er oder 8er des HSV, doch diese Zuordnungen waren bei 96 alles andere als in Stein gemeißelt. Besonders Christiansen tauchte häufig im Zehnerraum bei Immanuel Pherai auf, wodurch Nielsen dann auf Meffert vorrückte. In vielen Fällen wurde Reis von Rochelts Deckungsschatten aus dem Spiel genommen. 

Besonders bei den HSV-10ern und der numerischen Überzahl im Mittelfeld wusste Hannover sich auf verschiedene Weisen zu helfen. Wenn Christiansen und Nielsen beide Reis und Meffert deckten, blieb theoretisch nur Leopold im Raum zwischen Abwehr und Mittelfeld der Hannoveraner. Dieser übernahm oft diese Situation im Raum oder orientierte sich an Karabec. In einigen Fällen rückte Muroya auf Pherai im Halbraum vor, während Neumann etwas herauskippte, um den nicht immer breit haltenden Königsdörffer zu unterstützen. Dessen Positionsspiel war nicht immer ideal für das Spiel des HSV – dazu später mehr.

Hohes Anlaufen von Hannover 96

Bleiben wir zunächst beim hohen Anlaufen der 96er und bei dem Grund, wieso es extrem gut funktionierte. Der Grund dafür ist eigentlich recht simpel: Hauptverantwortlich war das diagonale Anlaufverhalten von Jessic Ngankam. Dieser schaffte es mit seinen Bewegungen konstant das Spielfeld zu teilen und drückte so das HSV-Spiel auf eine Spielfeldhälfte. 

Infolgedessen konnte 96 immer gut nachschieben und das Feld für den HSV weiter verengen. Durch den Druck und die resultierenden Deckungsschatten gab es praktisch keine progressiven Optionen für den HSV, außer dem halbhohen Ball in den Zehnerraum. Auch ein Auflösen über Torwart Heuer-Fernandes war nicht möglich, da dieser ebenfalls durch den ballfernen Flügelspieler von Hannover 96 zugeschoben werden konnte.

In der Anfangsphase war das HSV-Spiel daher extrem limitiert, und die Lösungen, die man mit den halblangen Bällen fand, wurden umgehend wieder zunichte gemacht. Bei etwa 1:43 findet einer dieser Bälle Königsdörffer, der die Situation technisch schwach löst. Bei 3:53 ist es ähnlich erfolglos, und um 9:20 ist Karabecs Aktion nicht sauber genug. Auch bei 11:00 und 14:00 bringt der lange Ball für den HSV keinen Erfolg.

Positionierung und Körperorientierung

In dieser Phase zeigt sich auch, dass der HSV individuell nicht immer ideal positioniert ist. Besonders auffällig ist das bei Königsdörffer auf der linken Seite und bei Karabec im rechten Halbraum. Beginnen wir bei Königsdörffer:

Betrachtet man die Heatmap aus seinem Spiel gegen 96, fällt auf, dass er viele seiner Aktionen eher leicht versetzt im Halbraum und nicht wirklich in der Breite hatte. Warum ist das ein Problem? Übertrieben ausgedrückt, macht es dem HSV ein wenig die Struktur in diesen Zonen und Situationen kaputt.

Einerseits bietet Königsdörffer in seiner weniger breiten Position oft eine nicht immer ideale Körperhaltung. Deutlich wird dies in der Szene rund um 2:28. Nach einem Ballgewinn durch Schonlau kann dieser auf Pherai spielen. Pherai leitet dann weiter auf Königsdörffer. Ransi steht bei diesem Pass einerseits wieder leicht breitenversetzt und zusätzlich mit dem Körper offen zu Pherai hin, sodass er den Ball mit Muroya im Rücken empfangen kann. Durch seine Körperposition kann er die gewonnene Dynamik jedoch nicht im Spiel halten. In dieser Situation bleibt ihm nur der Rückpass auf den vorschiebenden Muheim, der dann versucht, Pherai in seinem Tiefenlauf in Szene zu setzen.

Dem HSV geht in diesen Situationen also sowohl Breite als auch Tiefe verloren. Zudem scheint es oft so, als stünden sich Pherai und Königsdörffer in diesen Szenen bildlich auf den Füßen.

Bei Karabec hingegen war es in der Anfangsphase eher ein Höhen- statt ein Breitenproblem. Oft stand er in recht geringer Distanz zu Halstenberg und lauerte nicht in den Spuren und im Rücken von Nielsen und Christiansen. Das machte er aber vor allem in der zweiten Hälfte deutlich besser.

Umschaltspiel

Das HSV-Spiel war daher umso mehr auf ein sauberes Umschaltspiel angewiesen. Doch hier stand man sich kontinuierlich selbst im Weg, sei es durch schlechte Entscheidungsfindung oder durch zahlreiche technische Unsauberkeiten.

Ein Beispiel, das mich im Nachhinein sehr geärgert hat, ereignete sich schon sehr früh im Spiel. Um 4:39 kommt der HSV einmal mit Dynamik in die Umschaltbewegung und zeigt zudem eine ordentliche Staffelung. Halstenberg reagiert leicht auf Hefti und steht minimal vorgerückt im Vergleich zur übrigen Kette, was Selke ein 1-gegen-1 gegen Neumann ermöglicht. Das erkennt auch Hefti, der in dieser Situation den direkten Ball auf Selke spielt.

Was Hefti leider nicht realisiert hat, ist, dass durch das Herausziehen von Selke in der Mitte des Feldes plötzlich große Räume entstanden sind, die Pherai im Rücken von Christiansen ebenfalls erkannt hatte. Hätte Hefti hier einen präzisen Ball gespielt, wäre der HSV wahrscheinlich im letzten Drittel in einer 2-gegen-3-Situation gewesen. Eine große verpasste Gelegenheit.

Verbesserungen im Aufbau

Dieses Bild von verpassten Möglichkeiten setzte sich fort. Ähnlich schlecht wird auch die Kontersituation in der 19. Minute ausgespielt, indem man sich durch die eigenen Laufwege die Luft abschnürt. Auch die Möglichkeit von Pherai aus der 22. Minute wird nicht ideal genutzt, als er aus der Distanz schießt. Der steile Ball auf Königsdörffer wäre vielleicht die bessere Option gewesen. Allerdings kommt der HSV überhaupt erst durch die bessere Staffelung der Zehner in diese Situation. Auch Schonlau zeigt mit seinem Andribbeln ein Mittel gegen das Defensivkonzept von 96.

Eine andere Lösung, die dem HSV geholfen hat, war die Anpassung der Positionierung von Hefti und Karabec. Besonders auffällig war das Heraus- oder Abkippen in Minute 23. Hier gelingt es dem HSV wohl zum ersten Mal im Spiel, 96 in einer Situation zu erwischen, in der das Anlaufen nicht wie geplant funktioniert. Hefti kann Dehm hoch binden, während Leopold nicht mannorientiert verteidigt, sondern im Raum vor der Viererkette steht.

Karabec kann sich nun, nachdem er sich zunächst «tief» anbietet, ohne Gegnerdruck in den Raum abkippen und für den HSV eine Überzahl in Ballnähe herstellen. Hannover läuft in der Folge mit drei Spielern, teils mit großen Wegen (wie in der Situation für Rochelt), dem HSV leicht hinterher. Am Ende wird die Situation durch ein noch zögerliches Spiel von Schonlau aufgelöst, der wie seine Mitspieler nicht die einfache Lösung im Raum für Karabec sieht, sondern sofort den Ball lang schlägt.

Der HSV nutzt dieses Mittel in der Folge jedoch zunehmend besser. 96 kriegt im Pressing nicht mehr so den Fuß in die Tür wie am Anfang der Partie. So war der Pressingtrigger mit dem Pass auf den äußeren IV zwar erfolgreich, doch kann der HSV es auf rechts meist über das Wechselspiel zwischen Hefti und Karabec auflösen.

Das gibt dem HSV zwar neue Optionen, bringt jedoch auch neue Probleme mit sich, und das schon etwa zwei Minuten später. Nach einem verunglückten Brustklatscher von Selke ist der HSV wieder tief im eigenen Ballbesitz. Nach einem weiteren Wechselspiel auf der rechten Seite, landet der Ball bei Hadzikadunic, der von Meffert aus einer nun tieferen Position angespielt wird. Im Zentrum schiebt Reis dazu. Hadzikadunic spielt nun den wieder auflösenden Ball auf Karabec, der aber im Rücken von Dehm attackiert wird, da er vorher nicht tief gebunden wurde. Karabec hat durch Reis’ vorzeitiges Vorschieben zu Meffert nun keine zentrale Option mehr und auch Hefti, der eher aus einer Halbraumposition in die Tiefe startet ist im Rücken von Karabec kaum anspielbar. So entsteht beim HSV ein riesiges zentrales Loch, was ein progressives Spiel nach vorne nicht einfacher macht. Ganz im Gegenteil sogar. 

Schnelles und technisch sauberes Handeln

Der HSV hat in diesen Szenen jedoch bereits in der ersten Halbzeit Lösungsansätze gezeigt. Diesmal ist es Hefti, der sich nach einem Standard von 96 in der Minute 29 etwas tiefer positionieren kann. Durch die Rückzugbewegungen von 96 ergibt sich eine ähnliche Situation wie zuvor: Nielsen und Rochelt spielen 2 gegen 3 auf der rechten Seite des HSV.

Abseits des Ballgeschehens steht Karabec hoch und linear versetzt, Pherai agiert ballfern und Reis steht wieder zentral. Nachdem der HSV das Anlaufen von 96 wieder über den freien Mann auf rechts auflösen kann, ist es diesmal Meffert, der etwas gegen das zentrale Loch des HSV unternimmt. Mit seinem Spielen und Gehen attackiert er direkt den freien Raum, in den Hefti ablegen kann. Seine Reaktionsschnelligkeit ermöglicht es ihm, sofort einen Ball auf Selke durch den Raum zu spielen, der dann auf Pherai klatschen kann. Leider ist das Ablegen technisch wieder nicht sauber, sodass Pherai den Ball nicht ideal verarbeiten kann und auch der Folgepass auf Königsdörffer nicht optimal ist. Das ist besonders schade, da Ransi auf der linken Seite durchaus Raum gehabt hätte. Der HSV kann es eigentlich besser – man steht sich nur selbst im Weg.

Das Spiel über ein Selke-Klatschen sieht man auch nach dem Rochelt-Tor. 96 spielt hier zwar Mann gegen Mann, aber Dehm ist anfänglich zu weit weg, um das Auflösen über den tiefen Hefti zu verhindern. Hefti kann erneut klatschen lassen auf Hadzikadunic, der einen etwas misslungenen Pass nach vorne spielt, den Selke jedoch trotzdem behaupten kann und Reis in die Situation einbezieht. Der Ball auf Reis wird halbwegs sauber gespielt, aber Reis benötigt zu lange, um den Ball richtig zu kontrollieren, was erneut die Dynamik aus der HSV-Umschaltbewegung nimmt.

Diese technischen Nachlässigkeiten ziehen sich durch das gesamte HSV-Spiel. In Minute 41 findet Karabec hervorragend den freien Raum und hat mit Hefti sogar eine direkte Option, um das Spiel aufzuziehen. Doch der eigentlich einfache Ball von Hadzikadunic geht ins Leere.

Der HSV löst auch in der zweiten Halbzeit die Szenen, in denen 96 hoch anläuft, oft gut auf, und zwar immer wieder durch die genannten Prinzipien. Allerdings wurde 96 mit zunehmender Spielzeit etwas weniger intensiv gegen den Ball. Dennoch sollte das konsequente Abkippen auf der rechten Seite Spuren hinterlassen haben.

So sollte in vielen Fällen Dehm der Spieler auf dem Feld sein, der praktisch gegen zwei Gegenspieler spielen sollte. In Minute 59 wird nämlich wieder mal der 96-Linksverteidiger vor Entscheidungen gestellt. Bitte verzeiht, dass die Grafik hier leicht inkorrekt ist, aber die Thematik stellt es trotz der Hefti und Karabec Verwechslung gut dar. 

Hefti steht invers im Raum, was Dehm zunächst etwas aus der Breite herauslocken kann. Parallel dazu steht Karabec breit. Warum Dehm nun einige Zentimeter mehr auf Karabec statt auf Hefti reagiert, bleibt unklar. Fakt ist jedoch, dass diese kleine Bewegung Hefti im Halbraum den Raum verschafft, den er braucht, um tief auf Selke zu spielen. Die Flanke ist gut, und es fehlen nur wenige Zentimeter für einen Abschluss von Pherai im Zentrum.

Fazit

Schafft es der HSV einmal, hinten ordentlich rauszuspielen, dann meist über die Tatsache, dass die Wege von Dehm oder das hohe Stehen von Karabec zu einem Problem für 96 geworden sind. Der HSV konnte sich hier oft gut befreien, ohne dass 96 viel Kapital aus ihrer Grundidee schlagen konnte. Probleme hat der HSV jedoch im Umgang mit der Situation, sei es durch falsche Entscheidungen oder technische Nachlässigkeiten. An der Entscheidungsfindung wird gearbeitet werden müssen, aber bei den technischen Fehlern gehe ich vorerst nur von einem Ausrutscher aus. Schließlich stehen hier immer noch Profifußballer auf dem Rasen.

Auch Münster wird den HSV wieder hoch attackieren wollen. Die numerische Überzahl durch das Box-Mittelfeld wird auch hier wieder ein Teil der Lösung sein müssen. In Köln haben sie gezeigt, dass sie es auch anders können. Gegen Münster müssen sie das bestätigen.

Ein Kommentar

  1. Mal wieder eine tolle Analyse. Habe vom Spiel nur die letzten 20 Minuten schauen können. Aber eure Analysen helfen sehr, tiefer ins Detail zu gehen.
    Vielen Dank dafür, freue mich schon auf den nächsten Bericht.

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