Es fällt einem schwer, das Sachliche in dieser Woche in den Vordergrund zu stellen. Die Causa Mario Vušković wiegt knapp eine Woche nach dem CAS-Urteil immer noch schwer. Auch zu schwer, um sie selbst bei einem Taktik- und Analyseblog einfach zu ignorieren und mit dem Tagesgeschäft weiterzumachen. Dennoch fehlen mir immer noch die richtigen Worte, um die Wut, den Ärger und die Enttäuschung richtig zu beschreiben.
Es ist ein seltsames Gefühl, in dieser Situation etwas Positives zu sehen, doch gibt es trotzdem Dinge, auf die man stolz sein kann. Der Zusammenhalt und die Rückendeckung, die Mario von Mannschaft, Vorstand, Verbänden und uns Fans erhält, sind unglaublich schön zu sehen und machen einen stolz, Teil dieser HSV-Familie zu sein, zu der auch Mario Vušković immer gehören wird. Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass der Mensch Mario Vušković all dies irgendwann hinter sich lassen kann und dass bessere Zeiten auf ihn warten. Sei es im Volksparkstadion mit der Nummer 44 auf dem Rücken oder irgendwo sonst auf dem Planeten.
Das Spiel gegen den Aufsteiger aus Münster geriet etwas in den Hintergrund. Neben dem Thema Vušković lag der Fokus auf dem viel kritisierten Auftritt in Hannover und dem Neuzugang-Trio um Marco Richter, Lucas Perrin und Emir Sahiti. Trotzdem wurde am Samstag im Volksparkstadion bei strahlendem Sonnenschein auch noch Fußball gespielt. Es war ein Spiel, in dem der Druck für das Team und Coach Baumgart durchaus hoch war. Ein weiterer Auftritt mit Punktverlust hätte wahrscheinlich für eine unangenehme Länderspielpause gesorgt, im Medienrummel rund um den HSV. Umso wichtiger war es also, dass man die Ansätze, die man über Wochen immer wieder gezeigt hat, nun endlich in Tore auf dem Platz umwandelt.
Personell musste Trainer Baumgart zusätzlich reagieren. Kapitän Schonlau fehlte aufgrund einer Gelb-Rot-Sperre und wurde in der Innenverteidigung vom wieder genesenen Daniel Elfadli ersetzt. Neu im Team war auch Fabio Baldé, der auf der linken Schiene startete. Glatzel rückte für Selke in die Startelf, und Königsdörffer übernahm die zentrale Position von Ludovit Reis.
Beim Aufsteiger gab es im Vergleich zur 0:5-Pokalniederlage gegen den VfB Stuttgart drei Änderungen. Ter Horst agierte anstelle von Schad als Rechtsverteidiger, Mees kam für Makridis ins Spiel, und Amenyido ersetzte die HSV-Leihgabe Andras Nemeth.
Vor dem Spiel herrschte zunächst ein wenig Rätselraten darüber, wie sich der HSV strukturell präsentieren würde. Nach wenigen Sekunden auf dem Platz war jedoch relativ klar, was Steffen Baumgart mit seinem HSV vorhatte. Elfadli ersetzte Innenverteidiger Schonlau eins zu eins, während Hefti und Baldé die Außenpositionen besetzten. Königsdörffer agierte als Zehner, hängende Spitze oder wie auch immer man seine Rolle bezeichnen möchte.
Strukturell ergab sich beim HSV damit eine Art 3-Raute-3, geprägt von vielen Wechselbewegungen und einem Kippverhalten in der gesamten Offensive. Münster formierte sich gegen den Ball in einem 4-2-1-3. Grodowski war der erste Spieler im Pressing und orientierte sich oft an Elfadli und Keeper Heuer Fernandes. Seine Partner im theoretisch formierten Dreierverbund vorne agierten jedoch deutlich passiver als Grodowski. Amenyido und Lorenz verteidigten eher die Passwege und versuchten, die HSV-Halbzehner mit ihrem Deckungsschatten aus dem Spiel zu nehmen. Eine Linie tiefer wurde Meffert permanent von Mees gedeckt und unter Druck gesetzt. Die beiden Sechser der Münsteraner verschoben immer wieder mannorientiert horizontal, um die beweglichen HSV-Zehner zu kontrollieren.
Münster hatte jedoch große Mühe, dieser Variabilität des HSV in der zweiten und dritten Ebene standzuhalten. Dies führte nicht unbedingt dazu, dass der HSV eine enorme Wucht entwickeln konnte, sondern vielmehr dazu, dass Münster gegen den Ball wenig bis gar keinen Zugriff bekam. Dies lässt sich auf drei Aspekte im HSV-Spiel zurückführen.
1.) Die bereits erwähnten Wechselbewegungen des HSV: Die nominelle Überzahl im Mittelfeld machte es Münster vor allem auf kommunikativer Ebene sehr schwer, wenn die HSV-Zehner sich in Bewegung setzten. Attackierte nun Pherai aus einer tiefen Position den Halbraum, kippte Königsdörffer in vielen Szenen entsprechend ab. Durch die zusätzliche Präsenz von Karabec in bestimmten Situationen (speziell nach dem horizontalen Verschieben des HSV) wurde das Übergeben und Durchschieben für Preußen Münster zu einer schwierigen Aufgabe.
2.) Ein weiterer Aspekt für den fehlenden Zugriff der Münsteraner war das gelegentliche breite Herausschieben von Muheim. Befand sich Amenyido in einer zentralen Position, öffneten sich die diagonalen Passwege für den HSV, was eine gute Gelegenheit bot, das Spiel aus dieser Position aufzuziehen.
3.) Schob in diesen Szenen zusätzlich ein Zehner zwischen Baldé und Muheim, musste Münster erneut konsequent durchschieben. Da jedoch niemand den Rücken von Bazzoli absicherte, fand sich dort oft Karabec, der häufig ohne Gegnerdruck agieren konnte. Über eine solche Szene gelangte der HSV früh das erste Mal dynamisch in die gegnerische Hälfte.
Münster zeigte jedoch auch, dass es diese Szenen besser verteidigen konnte. Wenn Amenyido aus einer tieferen Position heraus Muheim anlaufen konnte, blieb diesem eigentlich nur der lange Ball auf Baldé. Außerdem verlor das HSV-Spiel an Dynamik, wenn alle Zehner zu statisch in ihren Räumen verblieben. Mit Bewegung im eigenen Spiel konnte der HSV den Gegner ebenfalls in Bewegung bringen und sich so in die eine oder andere Umschaltbewegung spielen.
Auch in Momenten aggressiveren Anlaufens zeigte sich Münster nicht unbedingt griffig und ideal gegen die Ballbesitzstrukturen des HSV aufgestellt. Einer der wenigen Pressing-Auslöser waren meist Rückpässe auf Hadžikadunić. Dieser löste die Drucksituationen meist mit einem weiteren Rückpass auf Keeper Heuer Fernandes auf. Dennoch wirkte Preußen Münster in diesen Situationen zahnlos, was mehrere Gründe hatte.
Einerseits fehlte es im Verhalten gegen den Ball, insbesondere bei Lorenz, an Spitzigkeit und Aggressivität. Er fiel wiederholt dadurch auf, dass er in Szenen des hohen Anlaufens die Wege nicht konsequent mitging oder erst zum Lauf ansetzte, wenn es eigentlich schon zu spät war. Oft stand er etwas tiefer bei HSV-Rechtsverteidiger Hefti.
Andererseits führte dies dazu, dass der HSV durch den Dreieraufbau mit Meffert als Anker gegen das Anlaufen von Grodowski, Amenyido und Mees ohnehin schon in Überzahl spielte. Wenn dann noch ein stark mitspielender Torwart wie Heuer Fernandes ins Spiel einbezogen wird, spielt der HSV faktisch 3 gegen 5 aus Münsteraner Sicht. Elfadlis und Mefferts clevere Bewegungen ohne Ball erschweren insbesondere Amenyido seine Orientierung. In diesen Szenen wirkt er unentschlossen und sichtlich hin- und hergerissen zwischen seiner eigentlichen Aufgabe, Muheim zu decken, und dem freien Elfadli vor seiner Nase.
Selbst wenn Münster mehr Druck auf den Ball ausübt, findet der HSV im Aufbau oft den sehr freien Mann. In dieser Szene steht Münster zwar ballnah in Gleichzahl, aber es fehlt erneut der nötige Druck auf den Gegner. Heuer Fernandes kann das hohe Anlaufen mühelos mit einem Chip auf Muheim auflösen. Doch auch dahinter zeigt Münster im Defensivverhalten keine sattelfeste Leistung. Nachdem Muheim den Pass erhält, schiebt Hendrix relativ aggressiv auf ihn zu. Ein einfacher Querpass auf Pherai genügt, um auch diese Situation zu entschärfen. Der HSV kann anschließend problemlos verlagern und aufdrehen.
Münster zeigt zusätzlich in ihrem Defensiv-Timing, dass noch viel Arbeit nötig ist, um in der 2. Liga bestehen zu können. Der HSV ist erneut tief im eigenen Ballbesitz. Zwar gelingt es Grodowski, Elfadli mit dessen Rücken zum Spiel aus der Partie zu nehmen, aber Mees ist in dieser Szene nicht nah genug an Jonas Meffert dran. Dadurch kann Meffert mit einem direkten Pass den abgekippten Pherai in der Breite bedienen. Das wird natürlich auch durch das „tiefe“ Pinnen von Hefti und Königsdörffer ermöglicht, aber letztlich gelingt dieser Pass auch, weil Münster wenige Antworten auf die permanente Überzahl des HSV im Mittelfeld hat. Kombiniert man das mit den Problemen im Durchschieben, der Unfähigkeit, den HSV auf einer Spielfeldhälfte in Gleichzahl zu zwingen, und der defensiven Passivität von Lorenz, entsteht der Eindruck, dass der HSV heute vielleicht eine Nummer zu groß für den Aufsteiger ist.
Es wirkt fast ironisch, dass der HSV aus diesen vielen Szenen vor dem Münsteraner Tor nie richtig Kapital schlagen konnte. Die Herausforderung, die eigene Dynamik nicht zu verschleppen, bleibt also weiterhin bestehen. Umso erfreulicher war erneut das brutale und lineare Umschaltspiel des HSV. Die Ecke vor dem 2:0 resultierte ebenfalls aus einer dieser Situationen.
Auch die neue Standardstärke wird für den HSV sicherlich noch zu einem entscheidenden Standbein der Offensive. Gefühlt brennt es bei fast jeder Standardsituation im gegnerischen Strafraum. Was sich gegen Hannover angedeutet hat, hat sich letztendlich gegen Münster bestätigt. Die zwei Tore waren sicherlich kein Zufall.
Auch gegen den Ball zeigte sich der HSV anders als bisher in der Saison. Statt im tiefen 5-4-1 agierte man gegen den Aufsteiger in einer Art 4-1-3-2-Struktur. Glatzel begann sein Anlaufen oft aus einem diagonalen Winkel, um das Spiel auf die Außenbahnen zu lenken, wobei er meist versuchte, den Ballbesitz des Gegners zu einem Chipball auf Kirkesov zu zwingen. Münster versuchte in diesen Szenen vor allem durch Mees, ballnahe Optionen zu schaffen, doch der HSV war im Zuschieben gut aufgestellt.
Es gab sogar Szenen, in denen der HSV in Überzahl spielen konnte. Hadžikadunić schob in diesen Momenten nach vorne und sicherte mehr oder weniger die Tiefe gegen Lorenz. Durch seine Positionierung konnte Karabec oft das Verlagerungsspiel ins Zentrum oder in den Rücken von Kirkesov unterbinden, sodass dieser gezwungen war, in ein 2-gegen-1 zu spielen. In ähnlichen Szenen gewann der HSV den Ball häufig in etwas höheren Zonen, so auch vor dem 1:0, das allerdings erst mit der zweiten Welle zum Erfolg führte.
Ansonsten war Münster mit Ballbesitz so gut wie chancenlos. Einzig einige progressive Ansätze fanden sich auf der rechten Seite, wo Baldé theoretisch gegen ter Horst und Hendrix spielte. Da Baldé oft zentral agierte (was auch notwendig war), war ter Horst häufig der freie Mann, der jedoch mit Ball wenig anzufangen wusste.
Hoher Ballbesitz der Münsteraner endete fast immer in einer Halbfeldflanke, die selten im ersten Versuch etwas einbrachte. Gefährlich wurden sie nur durch ihre Standardsituationen, zu denen auch die „Monstereinwürfe“ zählten.
In der zweiten Halbzeit veränderte Münster die Statik sowohl im Ballbesitz als auch gegen den Ball. Gegen den Ball ging man endlich gegen die Unterzahl im Mittelfeld vor. Dies ermöglichte es Amenyido, tiefer und zentraler zu stehen, ohne sich primär auf das Anlaufen des HSV zu konzentrieren. Stattdessen sollte er, wenn möglich, Meffert im Schatten folgen. Dadurch erhielt Elfadli mehr Freiheiten mit dem Ball. Mees konnte sich eine Linie dahinter positionieren und einen der Zehner abdecken. Der HSV nutzte zwar weiterhin die gleichen Prinzipien im Ballbesitz, war jedoch nicht mehr so dynamisch wie in der ersten Halbzeit.
In der zweiten Halbzeit resultierten vermehrt lange Bälle und Umschaltsituationen für den HSV. Man kam durchaus in die ein oder andere gute Situation, doch oft fehlte die Präzision in diesen Szenen.
In dieser Phase nach der Halbzeit beschwerten sich viele Fans und auch Sky-Reporter Strassburger über die Passivität des HSV. Es wurde sogar die Behauptung aufgestellt, dass es für den HSV nicht lange gutgehen könne, während Münster ohne die Einladungen von Hadžikadunić und Pherai abseits ihrer Standardsituationen nie in gute Abschlussmöglichkeiten kam.
Woher kommt es also, dass beim HSV sofort von Passivität gesprochen wird, nachdem man zuvor 45 Minuten mit Ball ein gutes Spiel gemacht hat? Neben den Schludrigkeiten, vor allem von Hadžikadunić, liegt es wohl vor allem am Pressingverhalten des HSV. Münster konnte in dieser Phase den ein oder anderen Ball festmachen und zurück zum Aufbauursprung spielen. Dadurch ergaben sich längere Ballbesitzphasen als in der ersten Halbzeit, in der Münster weniger Kontrolle hatte. Allerdings konnte Münster bis auf wenige Ausnahmen nie wirklich Druck auf die HSV-Defensive entwickeln. In den meisten Fällen wurde das Münsteraner Anlaufen vom HSV zu einem langen Ball gezwungen, den man bereits in der ersten Halbzeit problemlos verteidigen konnte.
Das 3:1 hat sich spielerisch überhaupt nicht angedeutet, und die Behauptung, dass sich der HSV als gesamte Mannschaft noch in der Kabine befinde, nur weil Münster zwei hohe Ballgewinne erzielt hat, ist komplett übertrieben. Die Fehler müssen abgestellt werden, aber auch hier sollte man die Kirche im Dorf lassen.
Während man also zum vierten Mal in diesem Jahr von Passivität sprechen durfte, zeigte sich der HSV in seiner Defensivstruktur anfällig. Hier gibt es in gewissen Szenen durchaus berechtigte Kritik am HSV.
Preußen Münster passte, wie bereits beschrieben, ihr Spiel mit Ball etwas an. Man setzte nun auf mehr Personal in hohen Zonen, indem zwei Außenverteidiger hochschoben und drei Spieler in der letzten Reihe standen. Der HSV hatte nun durch seine Orientierungen aus der ersten Halbzeit oft mit Unterzahlen und Passwegen im Mittelfeld zu kämpfen. Karabec ließ sich in vielen Szenen weiterhin von Kirkesov herausziehen, und dasselbe galt für Baldé auf der anderen Seite.
Pherai spielte nun gegen den 2-2-Aufbau in der zweiten Linie in Unterzahl. Zudem wurde er einmal im Raum erwischt, sodass Münster mit einem diagonalen Ball sauber hinten herausspielen konnte.
Wirklich knifflig wird das Problem in etwas tieferen Zonen. In der Situation vor der Ecke, die zum 3:1 führt, stehen Baldé und Karabec erneut eher breit an den gegnerischen Außenverteidigern orientiert. Zudem steht Pherai etwas aufgerückt vor dem Hamburger Block. Da Meffert nun als einziger zentraler Defensivspieler auf den ballführenden Gegner hinausrücken muss, öffnet sich in seinem Rücken die gesamte Zone 14 vor der Abwehr. Pherai kann defensiv nicht mehr in die Szene eingreifen. Dies führt zum möglichen Elfmeter und letztendlich zur Ecke, die den Anschlusstreffer ermöglicht.
Baumgart reagiert darauf und bringt Ludovit Reis, der sich defensiv besser positioniert als seine Vorgänger in diesen Szenen. Das 3:1 und die wiederkehrenden Probleme mit Mefferts Rücken bleiben ein kleiner Schönheitsfehler an einem ansonsten sonnigen Nachmittag in Hamburg.
Neben der Effizienz im Umschalten und der neuen Standardstärke hat der HSV Münster vor allem in der ersten Halbzeit durch Kontrolle den Stecker gezogen. Die Phase nach der Pause wird wieder einmal heißer gekocht, als sie tatsächlich war. Der HSV kann sicherlich noch in einigen Bereichen Verbesserungen vornehmen (Spiel in der gegnerischen Hälfte, letzter Drittel, Absicherung der Zentrale), aber Passivität gehört sicherlich nicht dazu, auch wenn dies regelmäßig aus allen Ecken geschrien wird.