Und auf einmal sind alle happy und zufrieden #F95HSV Analyse

Es wäre wahrscheinlich sehr unruhig geworden, hätte der HSV das Topspiel am Sonntagmittag bei Fortuna Düsseldorf nicht gewonnen oder gar verloren. 8 Punkte auf den Spitzenreiter, 3 Spiele sieglos, wahrscheinlich Platz 7 oder 8 und viel Zeit in der Länderspielpause um Gerüchte über die Zukunft des HSV in den Umlauf zu schmeißen. Schon ist dieser mögliche Ausgang erst einmal vom Tisch. Denn das Narrativ heißt nun 0:3 beim Spitzenreiter (der zu Hause eigentlich nie verliert) und 2 Punkte Rückstand auf Platz 1. So schnell kann sich die Stimmung ändern im Zirkus zweite Bundesliga.

Das Spiel gegen die Fortuna hatte vieles, was ein Topspiel braucht. Viele Offensivszenen, Dramatik und Spannung mit dem gewissen Quäntchen Spielglück auf Hamburger Seite, was in den Spielen davor mal gar nicht der Fall war. Aber hatte der HSV wirklich nur Spielglück bei einer Fortuna, die aus 2xG (OPTA) nichts zählbares auf die Anzeigetafel brachte?

Personell stellte Trainer Steffen Baumgart um. Katterbach wechselte die Schienenseite und Jean-Luc Dompé durfte wieder von Beginn an spielen. Das gleiche galt für Marco Richter, der für Karabec ins Team rückte. Den zuletzt etwas anfälligen Hadzikadunic ersetze Daniel Elfadli, dafür rückte Ludovit Reis ebenfalls wieder in die Startelf.

Strategisch änderte dies in den Grundprinzipien des HSV aber nichts. Viel mehr waren es taktische Veränderungen, die das Team von Steffen Baumgart vornahm.

Fortschritte im Ballbesitz

Im Ballbesitz änderte sich sichtlich erst einmal nicht viel zur bisherigen Saison und zum Paderborn-Spiel. Der HSV baute aus einem 3-1 Aufbau hinaus auf. Fortuna agierte dagegen in einem abwartenden 4-2-3-1. Kownacki pendelte immer wieder mit Meffert im Deckungsschatten auf Schonlau heraus, Fortunas Außenstürmer waren ebenfalls eher darauf bedacht den Raum hinter sich zu schließen, anstatt hohe Ballgewinne zu erzielen. Johannesson orientierte sich an Meffert und Fortunas Doppel-6 nahmen Richter und Reis in Manndeckung. In letzter Linie verteidigte die Fortuna 4 gegen 4.

3-1-4 Formation gegen Fortunas 4-2-3-1 in den ersten Ebenen

In der Anfangsphase war der HSV sehr auf Sicherheit bedacht. Das 1:0 durch Dompé spielte dem HSV natürlich ordentlich in die Karten. Die Lösungen über das Zentrum fiel dem HSV in den ersten Minuten dennoch schwer. Richter und Reis kippten oft breit heraus oder neben Jonas Meffert ab, diesen Aktionen folgten aber meistens ein Quer- oder Rückpass. Wie schon erwähnt, agierte die Fortuna sehr abwartend und man lies sich nicht großartig locken. Man stellte stattdessen gut zu, schob gut durch und zwang den HSV in tiefen Zonen zu dem einen oder anderen langen Ball über Miro Muheim. Allerdings zeigte der HSV nach diesen langen Bällen oft wohin es gehen sollte: Gegenpressing auf den zweiten Ball, was in den meisten Fällen auch gut gelang. Trotzdem wäre der HSV vor seiner Führung fast in das 0:1 gelaufen, nachdem die Fortuna sich nach wenigen Minuten gut befreien konnte und gegen eine Restverteidigung aus Meffert und Schonlau spielen kann.

Neben den langen Bällen fand der HSV in den Anfangsminuten oft Noah Katterbach, der etwas in tiefere Zonen abkippte. Generell ist hier zu sagen, dass Katterbach eine sehr solide Partie spielte und sich auch im Ballbesitz durch seine minimale Breite strukturell gut dem HSV-Spiel anpasste. Wurde Katterbach gefunden, rückte oft ein Zentraler Mittelfeldspieler der Fortuna auf ihn heraus und nahm dem HSV-Verteidiger durch dessen Deckungsschatten die mögliche Diagonalität. In der Folge wählte Katterbach dann öfters die Verlagerung auf die linke Seite, die aber oft nicht sauber ausgeführt war.

Verlagerung auf oft freien Katterbach

Über rechts blieben meist nur Einzelaktionen von Katterbach. Die HSV-Offensive fand zu einem Großteil über die linke Seite statt und man sah hier auch immer wieder die selben Prinzipien. Durch Fortunas enge, horizontale Staffelung, öffneten sich meist lineare Passspuren auf der linken Schiene des HSV. Das 4 gegen 4 in der letzten Linie wird in der Folge der Schlüssel, für die immer wieder erfolgten HSV Durchbrüche auf der Außenbahn. Zentral pinnen Glatze und Selke beide Düsseldorfer Innenverteidiger, durch den breiten Dompé klafft nun eine recht große Lücke zwischen Innen- und Außenverteidiger, die der HSV permanent durch Muheim, Reis und Richter attackiert.

HSV attackiert Schnittstelle zwischen Lunddal und Hoffmann

Das Muster zieht sich durch die gesamte erste Hälfte dieses Spiels und zeigt sich zudem in verschiedensten Phasen wieder. Der HSV nutzt die Präsenz von Glatzel und Selke in der Höhe und in der Tiefe des Spielfeldes. Die permanente Dreiecks- und Diamantenbildung auf Außen hilft dem HSV hier immer wieder in die selben Abläufe zu kommen. Es fehlte in diesen Szenen oft der entscheidende Zentimeter, der vielleicht das zweite HSV-Tor in dieser Hälfte gebracht hätte. Ebenfalls positiv zu erwähnen ist, dass Katterbach ballfern regelmäßig die Box gecrashed hat und so ein 3 gegen 3 vor der Flanke oder vor dem Flachpass herstellen konnte. In den Momenten hatte die Fortuna durchaus ihre Probleme.

HSV attackiert selbe Schnittstelle, aber tief in der Hälfte der Fortuna

Neben den vielen Durchbrüchen über die Schnittstelle zeigte der HSV auch über die Zentrale mehr als noch in der Vorwoche gegen Paderborn. Der HSV öffnete sich Passspuren durch das Zentrum. Schafft es der HSV seine 8er in leicht breitere Positionen zu kriegen, dann öffneten sich zentral Spuren zu einem abkippenden Stürmer. Haben die 8er dann noch eine gute Höhe für das Spiel über Dritte, dann kann der HSV aus diesen Szenen in die Dynamik kommen. Der HSV spielt diese Szene zwar nicht sauber genug aus (Glatzels Pass, Selke Kontrolle und Dompés Hereingebe sind alle nicht gut genug), aber man schafft es dennoch innerhalb von Sekunden zumindest leichte Gefahr zu entwickeln und belohnt sich mit einem Eckball.

HSV findet Passspuren durch die Mitte

Im Spiel ohne Ball war allerdings noch nicht alles das Gelbe vom Ei. Kippten Glatzel und Selke in der ersten Hälfte etwas tiefer in den linken Halbraum oder gar auf die Schiene, dann fehlte in letzter Linie in manchen Szenen die Gegenbewegung dazu. Hier fängt Bobby Glatzel leicht an zu kippen und es öffnet sich ein durchaus bespielbarer Raum für Muheim, der keinen Druck auf den Ball hat. Erkennt Richter diese Szene besser, dann kann für den HSV hier etwas gehen, denn wenig Druck und eine „hohe“ Kette sind nie ein gutes Pärchen in der Defensivarbeit.

Fehlende Gegenbewegung Richter

Dass der HSV es aber auch besser konnte, zeigt er permanent in diesem Spiel. Hier schlägt Muheim zwar nicht den langen Ball, sondern findet den abkippenden Selke im Zentrum. Durch Mefferts Herausschieben, Reis‘ Tiefenlauf und Richters eher ballferne Position kann Selke ohne immensen Druck den Ball erhalten. Dieser lässt zwar wieder in die erste Aufbaulinie klatschen, allerdings folgt beim HSV direkt die nächste Gegenbewegung mit einem kippenden Glatzel. Am Ende der Szenen sorgen diese Rotationen dafür, dass Dompé breit isoliert ist, der wieder auf die schon beschriebene Schnittstelle auf Reis durchschieben kann. Es scheitert erneut am letzten Pass.

Gegenbewegung und Tiefenattacke besser, Pass zu weit

Defensiv facettenreich – aber nicht immer sattelfest

Defensiv konnte man das HSV-Spiel auf 3 Ebenen einteilen. Das hohe Anlaufen, Verhalten im Mid-Block und das Verteidigen im Low-Block.

Im hohen Anlaufen war es strukturell eine Art 3-4-1-2 gegen Fortunas 2(3)-1(2) Aufbau. In erster Linie agierte meist Dompé neben einem der beiden Stoßstürmer, der andere lies sich auf den tiefen 6er der Fortuna fallen. Beide HSV-Außenverteidiger schoben leicht vor auf die gegnerischen AVs, Reis und Richter orientierten sich an Zimmermann und Johannesson, sodass auch der HSV Mann-gegen-Mann in letzter Linie spielte. Zunächst zumindest.

Hohes Anlaufen HSV gegen 2(3)-1 Aufbau F95

Drückte die Fortuna ihr Spiel mehr in die Hälfte des HSV, dann fiel der HSV in ein 5-3-2 zurück. Die Mannorientierungen des HSV lösen sich hier minimal auf, was ihn zu viel Vor- und Durchschieben zwingt. Lediglich Jonas Meffert blieb über die meiste Zeit des Spiels strikt an Kownacki dran und verfolgte ihn stets gut bei vielen seiner Kippbewegungen.

Prinzipiell suchte die Fortuna einen ähnlichen Anlauf, wie der HSV in ihrem Spiel nach vorne. Man versuchte aus tieferen Zonen (ca. höhe Mittelkreis) die Schnittstellen des HSV zu attackieren. Vor allem auf rechts stehen dann Klaus und Lunddal breit, zentral attackiert der ballferne 8er den theoretischen Raum des Außenverteidigers. Hier zeigt sich aber der gute Matchplan des HSV gegen den Ball.

5-3-2 im Mid-Block

Progressed die Fortuna etwas tiefer auf der rechten Seite, dann zeigt sich erneut das, was mir gegen den Ball sehr gut gefallen hat: Die immer noch hohe „Restverteidigung“ in der Box. Die Fortuna crasht in ihrem Spiel regelmäßig die gegnerische Box, sodass man Gefahr laufen könnte im eigenen Strafraum in Gleich- oder sogar Unterzahl zu spielen. Meffert zwischen Elfadli und Schonlau verringert das Risiko hier deutlich. Zusätzlich nimmt die Fünferkette der Fortuna ihre gewollten Schnittstellen, wenn man sauber durchschiebt (was der HSV aber nicht immer getan hat).

In Summe führte es dazu, dass der HSV aus einem Low- und Midblock in dem 5-3-2 defensiv eine solide Partie in der ersten Hälfte zeigte. Nur in dieser Szene entwischt Klaus Schonlau und kommt zum Abschluss.

Boxverteidigung HSV

Der HSV profitierte ebenfalls an der nicht immer ganz idealen Entscheidungsfindung der Fortuna im letzten Drittel. Viel zu oft wählte man den Weg mit dem Kopf durch die Wand, wobei in vielen Situationen ein Ausspielen mit etwas mehr Geduld die bessere Variante gewesen wäre. Viele Flanken der Fortuna verteidigte der HSV solide weg.

Fortuna teils überhastet trotz guten ballnahen Optionen

Das größte HSV-Problem in Halbzeit 1 war allerdings, dass die Fortuna es permanent schaffte in diese Flankenpositionen zu kommen. Der HSV hatte hier öfters mit den wiederkehrenden Problemen zu kämpfen. Öffnete sich für die Fortuna ein Pass in den Druck, zwang man den HSV in ihrem Mid-Block zu einer Reaktion. Glatzel schiebt zunächst von seiner tieferen Defensivposition beim Fortuna 6er durch auf Hoffmann, der den abkippenden Kownacki findet. Im Rücken von Glatzel ist der 6er nun vollkommen frei und kann ohne Mühe auf Johannesson durchschieben.

Klatschen über tiefe, freie 6 mit folgender Verlagerung
Klatschen im Doppelpass mit Verlagerung in Rücken des Mittelfeldblocks

Die Prinzipien sind nicht beschränkt auf ein Spiel über Dritte, sondern funktionieren auch mit einfachen Doppelpässen. Lunddal spielt diagonal und zwingt Reis in die Defensivaktion. Die horizontale Staffelung ist hier nicht unbedingt ideal, sodass im Rücken von Reis ein immenser Raum aufgeht. Nach dem Doppelpass kann Lunddal auch relativ mühelos das Spiel der Fortuna verlagern.

Der HSV zeigt in der ersten Hälfte immer wieder Probleme in seinem Vorwärtsverteidigen. Situativ sind diese nicht gut abgestimmt und die Integrität der letzten Kette geht komplett verloren. Zum Glück kriegt der HSV viele dieser Situation durch gutes und intelligentes Zweikampfverhalten in den Griff und bei den vielen gefährlichen Fortuna Standards war das Glück auf Hamburger Seite und sonst war da ja noch Raab, der wahrscheinlich die beste Torwartleistung eines Profis in Deutschland an diesem Wochenende zeigte.

Anpassungen stimmen, bis die Fortuna wieder Lösungen findet

Nach der Pause war klar, dass man genau diese angesprochenen Probleme in den Griff bekommen musste und der HSV reagierte, wenn auch nur minimal. Die Anpassung der Halbzeitpause lag in der etwas höheren und zentraleren Position von Dompé im HSV-Mid Block. Während er in Halbzeit 1 gegen den Ball oft noch breit gebunden war, so agierte er nun höher und zentraler. Gleiches galt auch für Miro Muheim, der nicht mehr permanent tief in der Kette gebunden war, sondern teils auf einer Höhe von Reis und Richter agierte. Je nach Staffelung der Fortuna, war es sicherlich nicht ohne Risiko, allerdings machte der HSV einen sehr guten Job im Durchschieben, sodass von der Fortuna in den ersten Minuten nach der Halbzeit gar nichts zu sehen war.

Dompé zentraler, Muheim im Mid-Block höher

In der Folge hat vor allem die hohe Position und Dompés Orientierung an Hoffmann, den HSV in durchaus große Schwierigkeiten gebracht. Die Fortuna bekam zwischen Minute 57 und 73 nun endlich was sie wollte. Die Tiefe hinter Miro Muheim. Durch Dompés entweder zu hohe oder zu zentrale Position schaffte es die Fortuna entweder gegen Muheim auf links ein 1v2 herzustellen, was man immer wieder gut ausspielte.

1v2 gegen Muheim mit Raum in der Schnittstelle
Erneute Schnittstellen-Attacke über die linke HSV-Defensivseite

Oder man schaffte es die Tiefe durch einen diagonal laufenden 8er zu attackieren, was ebenfalls immer wieder gelang. Der HSV hatte in dieser Viertelstunde wahrscheinlich die größten Schwierigkeiten der Saison. Die Fortuna kam praktisch mit jeder „Schnittstellen“-Aktion zum Abschluss. Der HSV hatte keine Antworten parat, verlor Schlüsselduelle und zeigte, dass es bei Weitem noch nicht so sattelfest ist, wie es vielleicht die Wochen vorher war.

Bascho ist im Springen zu spät, Niemec kommt sofort in Dynamik und gewinnt Zweikampf gegen Muheim

Der HSV zeigte aber auch im Vorwärtsverteidigen weiterhin ausbaufähiges Timing, wie bereits in Halbzeit 1. In dieser Szene ist Schonlau zu spät dran, der den Steckpass von Kownacki nicht mehr verhindern kann. Am Ende dieser Szene hat der HSV wieder das Glück auf seiner Seite. Sage und schreibe 10 Abschlüsse und ein xG von 1,28 verzeichnet die Fortuna in dieser Viertelstunde. Absolut brutal, dass es nach dieser Phase nicht 1:1 steht.

5-4-1 und Spiel gekillt

Baumgart reagiert und bringt Karabec und Königsdörffer für Dompé und Selke. Er ändert mit diesen Wechseln auch das System gegen den Ball. Der HSV agiert nun in einem 5-4-1. In der Folge kommt die Fortuna nicht mehr in ihre Aktionen wie vorher. Das Momentum ist wie abgerissen. Dass der HSV in der Phase nun auch das Spiel killt, hat wohl viele Hamburger vor dem Fernseher und im Stadion beruhigt. Nach diesem Offensiv-Tsunami hat die Fortuna nur noch 3 Abschlüsse in den nächsten 20 Minuten. Es war eine Umstellung, die der HSV dringend gebraucht hat in dieser Phase.

5-4-1 als Antwort gegen permanente Fortuna Durchbrüche

Am Ende überlebt der HSV eben genau diese Phase von Minute 58 bis Minute 73 und geht trotz der hohen xG der Fortuna nicht ganz unverdient als Sieger vom Platz, auch wenn das Ergebnis sicherlich viel zu hoch ausgefallen ist.

Der HSV hat mit Ball viele gute Ansätze gezeigt und zeigte sich vor allen in ihrem Mid-Block defensiv über zumindest 75 Minuten sehr robust. Defensiv gibt es in der Struktur zwar noch vieles, was man besser machen sollte, aber die Fortuna hat dem HSV auch vieles abverlangt. Gegen Magdeburg wartet hier die nächste Prüfung auf den HSV. Hoffen wir, dass bis dahin die Lücken geschlossen werden.

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