Blick über den Tellerrand #1

Man mag es kaum glauben aber auch abseits des HSV gibt es spannende Geschichten in der Welt des Fußballs. Hier sind drei von ihnen.

Serginho – Viborg FF

Es ist der 16.04.2023, zusammen mit einem Kumpel sitze ich im „Parken“, dem Stadion des FC Kopenhagen. Kopenhagen spielt zu Hause gegen Viborg und gewinnt nach Toren von Daramy und Claesson am Ende verdient mit 2:1.

Für Viborg trifft ein gewisser Elias Achouri, der 3 Monate nach dem Spiel in die dänische Hauptstadt wechselt, Ablöse: 3 Millionen Euro. Achouri war ein absoluter Leistungsträger in Viborg, für den Zuschauer unfassbar toll anzusehen mit seinem Tempo, seinem Dribbling, einfach großer Unterhaltungsfaktor. Und dann wechselt er zum FC Kopenhagen.

Es brauchte also Ersatz und dieser kam: Sérgio Pereira Andrade, oder auch Serginho genannt, wechselte im Sommer 2023 vom portugiesischen Erstligisten Estoril Praia nach Viborg. Vor seinem Wechsel spielte er auf Leihbasis in der zweiten portugiesischen Liga für UD Oliveirense.

Und Serginho startete seine Zeit in Dänemark sehr gut. 3 Scorer in den ersten 6 Ligaspielen, danach durchaus durchwachsen auch wenn er in der Abstiegsrunde nochmal 5 Scorer in 10 Einsätzen beisteuern konnte.

Diese Saison ist es allerdings alles andere als durchwachsen. 13 Scorer in 12 Pflichtspielen, geteilter 4. Platz in der ligaweiten Scorerliste bisher. Serginho liefert das was man sich vom Achouri-Ersatz erhoffte. Spielfreude, Dribblings und eben das Auge für seine Mitspieler. Stolze 7 Vorlagen nach gerade mal 10 Spieltagen sind bereits auf der Haben-Seite des 23-Jährigen Portugiesen.

Serginho zeichnet seine starke Ballbehandlung, seine gute Übersicht und eine Varianz in seinen Flanken aus. Im letzten Drittel ist er im isolierten 1vs1 nur schwierig zu verteidigen, weil er mit seinen 1,83m zusätzlich zu seinem Dribbling auch seinen Körper häufig gut einzusetzen weiß. Oben drauf kommt eine Spielfreude, die einfach nur Spaß macht als Zuschauer.

Potenzial nach oben gibt es für ihn im eigenen Abschluss. Da hat er eine zu große Streuung in der Qualität. Zu häufig noch zu überhastet, zu ungenau. Bekommt er das noch verbessert wäre es ein super interessantes Gesamtpaket. Es wird spannend zu beobachten sein, ob er diese starke Frühform halten kann. Wenn ja, stehen ihm nach so einer Saison alle Türen offen.

GAIS

Meister in Liga 3, zweiter Platz in Liga 2, momentan Platz 8 von 16 in Liga 1. 5 Punkte von Platz 4 und damit der Conference-League-Qualifikation entfernt, 16 Punkte Abstand zu Platz 14 und der Abstiegsrelegation. Redet man von spannenden Entwicklungen ist meist von Malmö und Trainer Henrik Rydström die Rede. Aber was seit 2021/2022 in Göteborg aufgebaut wurde ist sehr beeindruckend und definitiv auch einen genaueren Blick wert.

Der „Göteborgs Atlet- och Idrottssällskap“ (Göteborgs Leichtathletik- und Sportverein) war Gründungsmitglied der schwedischen ersten Liga und ist einer der ältesten Vereine Schwedens. Vor ihrem kürzlichen kometenhaften Aufstieg verbrachten sie zuletzt 7 Saisons in Liga 2, der „Superettan“, bevor es 2021/2022 dann sogar noch eine Liga tiefer in die „Ettan södra“ ging.

Im November 2021 wurde dann Fredrik Holmberg zum Cheftrainer ernannt, ein Co-/Assistenztrainer des Vereins mit keiner Erfahrung im Profifußball. Eine mutige Entscheidung, die sich auszahlen sollte.

Fredrik Holmberg, Cheftrainer von GAIS

„Die Makrelen“, wie sie auch in Fankreisen genannt werden, zeichnen sich unter Holmberg vor allem durch eines aus: Arbeit. Es ist sicherlich nicht der Fußball, der sich durch besonders attraktives Spiel mit Ball auszeichnet. Wobei, vielleicht in Ansätzen schon, dazu gleich noch.

Es ist aber vor allem die Struktur und der Wille gegen den Ball, die die Göteborger so erfolgreich macht. Aufgebaut in einem 4-3-3 meist Mid-Block agiert GAIS aggressiv und voller Hingabe. Bei Ballgewinn wird gnadenlos umgeschaltet. Viel Verantwortung lastet auf dem zentralen Mittelfeld, im letzten Drittel auf den Außenbahnspielern, die im 1vs1 für Gefahr sorgen sollen.

Die Spielidee klingt simpel, ist sie gewissermaßen auch aber sie benötigt eben auch große Disziplin des gesamten Teams und diese wird auch bereits seit knapp 3 Jahren aufrechterhalten. Schaut man sich die Statistiken dieser Saison an wird man eben auch erkennen, dass GAIS kein allzu großes Interesse an besonders vielen eigenen Spielanteilen hat (besonders als Aufsteiger aber auch nicht verwerflich):

  • Ballbesitz: 43,5% (14. von 16)
  • Genaue Pässe pro Spiel: 306,2 (14. von 16)
  • xG: 33,4 (10. von 16)
  • Schüsse auf das Tor pro Spiel: 4,2 (12. von 16)

ABER und das ist eben das große ABER: GAIS versteht das eigene Spiel (und das muss auch Fans immer wieder bewusst sein) auch in einer Aktivität gegen den Ball. Ein Team ist nicht passiv nur weil sie dem Gegner den Ball überlässt oder sich mal fallen lässt. Ein Team kann ebenso aktiv sein, nur eben gegen den Ball. Und das zeigt sich beim Team von Holmberg in folgenden Zahlen:

  • Großchancen: 60 (6. von 16)
  • Ballberührungen im gegnerischen Strafraum: 652 (6. von 16)
  • Ecken: 148 (6. von 16)
  • Abgefangene Bälle pro Spiel: 11,4 (1. von 16)
  • Balleroberungen im letzten Drittel pro Spiel: 4,9 (6. von 16)

GAIS agiert extrem aggressiv gegen den Ball (mit Abstand die meisten gelben Karten, 15 mehr als Platz 2) und wenn er gewonnen wurde geht es sehr geradlinig nach vorne, wo es die Einzelspieler selbständig lösen sollen.

Und die Göteborger haben durchaus interessante Individualisten. Zuerst zu nennen ist sicherlich Axel Henriksson, der mit seinen 1,89m im zentralen Mittelfeld diese Saison seinen Durchbruch schaffte. Stolze 10 Scorer (7 Tore, 3 Vorlagen) und 11 gelbe Karten kann der 22-Jährige Schwede diese Saison vorweisen.

Henriksson bringt ein super spannendes Gesamtpaket mit. Groß, technisch gut, durchaus schnell auf den Beinen für seine eher schlaksige Statur. Und passend zur Spielweise der Göteborger eben auch immer mit vollem Einsatz dabei. Gut denkbar, dass es bereits im Winter den Wechsel für ihn geben könnte.

Offensiv liegt viel auf den Schultern von Gustav Lundgren, der bereits seit der 3. Liga für GAIS unterwegs ist. Und auch in der Allsvenskan weiß er mit 3 Toren und 8 Vorlagen in 26 Einsätzen zu überzeugen.

Defensiv hält vor allem Axel Norén den Laden zusammen. Mit 1,84m relativ kleiner Innenverteidiger, der aber mit seinem guten Antritt schon vor dem direkten Zweikampf lösen kann. Auch schon seit der dritten Liga bei GAIS und auch bei ihm gibt es erste Gerüchte über einen möglichen Abgang.

Ein Spieler um den es Gerüchte über einen Wechsel nach Deutschland gibt ist Alexander Ahl Holmström. Dieser wird nämlich mit dem 1. FC Magdeburg in Verbindung gebracht. Holmström ist der Mittelstürmer von GAIS und könnte in Magdeburg nochmal eine neue Komponente in den Sturm bringen. Auch Holmström bringt mit 1,91m eine sehr gute Physis mit, die es in Magdeburg nach dem Abgang von Luca Schuler so im Kader momentan nicht gibt. Neuzugang Martijn Kaars macht seine Sache bisher sehr gut ist aber ein anderer Spielertyp womit das Interesse durchaus Sinn ergibt.

Holmströms Vertrag läuft zum 31.12.2024 aus, wäre dementsprechend zum Wintertransferfenster ablösefrei zu haben. Der 25-Jährige ist der klassische „Turm“ in der Sturmspitze als Abschlussspieler in der letzten Linie.

Ich finde es immer beeindruckend zu sehen wie es Vereine mit einem Trainer schaffen sich einer Art Fußball zu verschreiben und diese konsequent durchzuziehen. Das ist hier passiert und auch gelungen. Man kann nur hoffen, dass die Mannschaft nicht durch zu viele Abgänge zu sehr geschwächt wird und sich der Verein auch weiterhin im schwedischen Oberhaus etabliert.

Nach den ersten 6 Spieltagen stand AZ Alkmaar mit 16 Punkten und einem Torverhältnis von 16:2 auf Platz 2 der Tabelle. Jetzt, 2 Wochen später, musste man 2 Niederlagen hintereinander hinnehmen. Trotzdem ist das Team von Maarten Martens eines mit einer klaren Spielidee und interessanten Einzelkönnern.

Martens übernahm im Januar 2024 vom inzwischen in Ungarn bei Ferencváros tätigen Pascal Janssen. Martens war sein Co-Trainer und zuvor vornehmlich in der Jugendabteilung des FC Brügge tätig. Der Belgier war als Spieler im offensiven Mittelfeld unterwegs, stolze 231 Pflichtspiele und 118 Scorer für AZ stehen für ihn zu Buche.

Alkmaar-Trainer Maarten Martens

Alkmaar ist für den 40-Jährigen die erste Station als Cheftrainer im Profifußball und bisher mit einer doch recht soliden Zwischenbilanz. 25 Spiele, ein Punkteschnitt von 1,92 und ein Torverhältnis von 51:28. Doch was ist Martens Spielidee?

Am besten zusammengefasst ist Alkmaars Stil als: gerade und direkt. Alkmaar ist nicht darauf bedacht im Stile des klassischen Ajax-Fußballs über Ballbesitz-Dominanz den Gegner zu bezwingen sondern ihre eigene Art von Dominanz aufs Feld zu bringen. Mit hohem Pressing und überfallartigen Kontern.

Im Aufbau bildet sich meist eine Dreierkette aus den beiden Innenverteidigern und einem Sechser. Die beiden Außenverteidiger schieben dabei weit und hoch und in den Halbräumen sind der 2. Sechser sowie die eigentlichen Außenbahn-Spieler zu finden. So bildet sich häufig ein 3-1-4-2/3-2-5, wobei sich im letzten Drittel keine große Festlegung der Positionen mehr umsetzen lässt.

Um den Strafraum herum sind alle Spieler frei in ihrer Wahl der Positionen solange alle Räume besetzt werden. Die Außenbahnspieler tauschen Seiten, der 10er geht in die Spitze während sich der Mittelstürmer fallen lässt. Hat Alkmaar den Ball im letzten Drittel sind die Spieler relativ frei in ihrer Ausführung.

Grundformation AZ Alkmaar mit Ball

Das bisherige Aushängeschild Alkmaars unter Martens ist sicherlich ihr Ansatz gegen den Ball. Und nicht gegen den Ball als Mittel, um Tore zu verhindern sondern ganz im Gegenteil: Selbst Tore zu erzielen.

Alkmaar setzt häufig auf ein hohes Pressing, Mannorientierungen und direktes Verteidigen am gegnerischen Strafraum. Der Ballgewinn liegt im Fokus, nicht nur das Einschränken des gegnerischen Spiels. Verteidigt wird im 4-4-2/4-1-3-2, je nach dem ob ein 6er weiter mit nach vorne schiebt und der andere sich ein wenig fallen lässt.

Grundformation AZ Alkmaar gegen den Ball

Ziel ist es, den Gegner in die äußeren Bereichen des Spielfeldes zu drängen und dort die gegnerischen Spieler zu isolieren und zu Ballverlusten zu zwingen.

Bei eigenem Ballgewinn wird sehr schnell umgeschaltet, der erste Gedanke ist immer direkt in die Tiefe zu gehen, den Gegner so ungeordnet in der eigenen Struktur verwunden zu können.

Alkmaar hatte bisher Erfolg mit dieser Spielweise, kann sowohl offensiv als auch defensiv gute Werte vorweisen:

  • xG: 16,3 (3. von 18)
  • Torschüsse pro Spiel: 6,8 (2. von 18)
  • Großchancen: 29 (1. von 18)
  • Angekommene lange Bälle pro Spiel: 27,6 (3. von 18)
  • Ballberührungen im gegnerischen Strafraum: 243 (3. von 18)
  • xG zugelassen: 7,9 (5. von 18)
  • Erfolgreiche Ballabnahmen pro Spiel: 12,8 (2. von 18)
  • Balleroberungen im letzten Drittel pro Spiel: 5,0 (1. von 18)

Alkmaars defensive Intensität ist ihre größte offensive Stärke. Kommen sie in ihre Pressing- und Umschalt-Aktionen sind sie immer brandgefährlich. Kein Zufall, dass Alkmaar mit vier Kontertoren die meisten der Liga hat.

Ein wenig ins Stocken gerät der Tabellendritte, wenn es ins ruhige Spiel um den Strafraum herum geht. Dort gibt es definitiv noch Nachholbedarf.

Individuell ist AZ Alkmaar ebenfalls spannend besetzt. Auf der 10 haben sie mit Sven Mijnans noch einen „echten 10er“ in ihren Reihen. Tolle Technik am Ball, gute Übersicht und Passspiel, wenig Aktionen mit Ball am Fuß, wenn es darum geht den Ball selbst übers Feld zu tragen. Mijnans kann das Spiel lenken, auch wenn ihm im letzten Drittel hier und da vielleicht noch ein wenig das letzte bisschen Killerinstinkt abgeht. Trotzdem sind alle Anlagen für den nächsten Schritt vorhanden.

Vor einem Jahr von BK Häcken für eine stattliche Ablöse in Höhe von 4 Millionen Euro gekommen und diese Saison bisher Top-Scorer Alkmaars ist Ibrahim Sadiq. Pfeilschneller Außenbahnspieler, trickreich und elementar wichtig für das Umschaltspiel. Einer der, wenn nicht sogar der aufregendste Spieler im Kader der Niederländer.

Es wird noch relativ wenig über ihn gesprochen aber ich halte Peer Koopmeiners für einen Spieler, den man im Auge behalten sollte. Peer ist der kleine Bruder vom niederländischen Nationalspieler Teun Koopmeiners und spielte in den vergangenen Jahren in der 2. Mannschaft Alkmaars in der 2. niederländischen Liga oder leihweise in der Eredivisie für Excelsior oder Almere City. Jetzt ist er fester Bestandteil der 1. Mannschaft und stand in allen 8 Ligaspielen in der Startelf.

Koopmeiners ist am besten auf der 6 aufgehoben von wo er seine Stärken mit und gegen den Ball am besten ins Spiel bringen kann. Gutes Passspiel über kurze und längere Distanzen, gute Übersicht auch gegen den Ball. Ein solider Spieler, der wenig Fehler macht. Für den nächsten Schritt könnte seine Athletik ihm ein wenig im Weg stehen. Koopmeiners ist nicht der schnellste, weder im Antritt noch in der Endgeschwindigkeit, auch schnelle Bewegungen kann er häufiger mal nicht mitgehen. Trotzdem hat er das Potenzial sich in dieser Saison richtig im niederländischen Fußball zu etablieren.

Das Team von Maarten Martens hat viele interessante Spieler (van Bommel, Owuso-Oduro, Parrott, Goes) und eine klare Idee wofür sie stehen wollen. Kriegen sie es hin sich auch in ruhigeren Spielphasen offensiv durchzusetzen gibt es wenig was Alkmaar aufhalten kann. Gelingt es ihnen nicht sind sie möglicherweise zu sehr darauf angewiesen das Spiel stets im Chaos zu halten was nicht im Sinne eigener Spielkontrolle sein kann.

Schreibe einen Kommentar