Das Topspiel der zweiten Bundesliga war ein wildes auf und ab. Herthas fulminanter Start, dann viel HSV-Kontrolle ohne zwingend zu werden und dann die Reese Wucht im Abgang. Aber wieso war das so? Oder aus HSV-Sicht: Wieso hat man erst keinen Zugriff auf das Spiel und wieso verliert man ihn wieder sobald Fabi Reese auf dem Platz steht? Schauen wir es uns doch einmal genauer an.


Es war von Anfang an ein offenes Visier von beiden Mannschaften. Beide Teams verteidigten Mann gegen Mann über den Platz und zielten so auf frühe und hohe Ballgewinne. Mit dem Unterschied, dass es eine Mannschaft zunächst weitaus besser machte. Leider war dies nicht der HSV.

Die Zuteilung beim HSV war relativ schnell ersichtlich. Karabec und Selke liefen beide Innenverteidiger an, Sahiti und Dompe die Außenverteidiger, Meffert und Richter orientierten sich an Cuisance und Klemens (auch wenn dies nicht ganz richtig beschrieben ist, da beide auch auf Maza reagieren mussten), Mikelbrencis und Muheim schauten auf Scherhant und Dardai und in der letzten Linie bindete meist Niederlechner Elfadli und Hadzikadunic war der freie Mann, der situativ auf Maza vorschieben durfte.
Allerdings zeigte die Hertha eindrücklich, dass sie Elemente in ihrem Spiel haben, die ein Mann gegen Mann über den gesamten Platz durchaus ins Leere laufen lassen können. Die Hertha tut dies indem sie vor allem über ihre starke linke Seite immer wieder leichte Rotationen sucht.
In folgender Szene baut die Hertha neu über Torwart Gersbeck auf. Der HSV kriegt dann in der Folge seines Anlaufen das Feld geteilt und kann eigentlich auf ihrer rechten Defensivseite Mann gegen Mann verteidigen. Die Hertha hat aber eine Lösung um in dieser Szene schnell eine Überzahl herzustellen.
Der eingerückte Karbownik wird in der Folge von Karabecs Anlaufen durch seinen Deckungsschatten aus dem Spiel genommen. Für Dardai gibt es in der Theorie dann eigentlich nur den langen Schlag nach vorne, aber die alte Dame reagiert auf diese Optionslosigkeit seines Innenverteidigers. Scherhant kippt tief ab und Maza rückt in der Höhe nach. Der HSV agiert in dieser Szene nicht optimal. Scherhant und Karbownik spielen gegen Sahiti ein 1v2, da Mikelbrencis nicht durchschiebt oder durchschieben kann. Das ist aus der TV Perspektive nicht 100% ersichtlich. Dennoch ist klar, dass der HSV sich hier als Mannschaft viel zu einfach aushebeln lässt.

Neben gruppentaktischen Problemen im Durchschieben, zeigte der HSV sich auch individuell gegen den Ball zu Beginn des Spiels nicht von seiner besten Seite. Hier bekommt man erneut das Feld geteilt und die Hertha ist am Ball mit Kapitän Leistner.

Leistner spielt einen simplen Pass auf Zeefuik. Der HSV ist dann, auch aufgrund der Läufe der Hertha, in einer Rückwärtsbewegung. In der Szene sieht Richter wahrscheinlich Dardai zu seiner linken und verliert in der Bewegung seinen eigentlichen Gegenspieler Cuisance aus den Augen, der nämlich in der Bewegung abstoppt und sich als Station für Zeefuik präsentiert. Die Hertha kann zwar initial kein Kapital aus der Schläfrigkeit des HSV schlagen, aber sie zeigt dennoch gut, dass der HSV zu Beginn wirklich nicht im Spiel war. Speziell im Zweikampfverhalten wirkte der HSV mental nicht schnell genug. Timing und Intensität stimmte nicht in vielen Momenten, was dann in den vielen Standards für die Hertha resultierte.

Neben den individuell- und gruppentaktischen Problem, kam in der Anfangsvierstelstunde noch der Hertha X-Faktor in Person von Ibo Maza dazu.

Dieser kippte immer wieder neben 6er Pascal Klemens ab und stellte den HSV vor Probleme. Neben der teils doppelten Überzahl, die die Hertha so ausspielen konnte, bringt Maza auch als Ballschlepper immense Qualitäten mit um das Spiel der Hertha nur mit einem seiner Läufe aufzuziehen.
Schaut man sich die obige Szene genauer an, so fällt auf, dass vor dem Ball auf Maza viel kommuniziert wird beim HSV. Zunächst sieht Meffert zu seiner linken, dass Maza in den Raum hinter Selke abkippt. Er kommuniziert dann mit Selke und Richter, dass jemand den freien Maza aufnehmen soll. Der Pass wird gespielt und Richter reagiert und wird mit einem Haken von Maza aus dem Spiel genommen. Ein Pass auf Scherhant und die Hertha ist im letzten Drittel. Es reicht eine Abkippbewegung von Maza um den HSV vor Probleme in ihrer Zuordnung zu zwingen.

Steht die Hertha etwas höher, so fing situativ Hadzikadunic das Abkippen Mazas auf. Allerdings passierte dies auch ohne wirklich konsequent zu sein. Hadzikadunic verfolgt Maza zwar, er lässt ihn aber schnell wieder stehen. Es sind am Ende viele Kleinigkeiten, die dem HSV den defensiven Zugriff an diesem Spiel verwehren.

Nach zwei dicken Chancen für die Hertha steht es aus HSV-Sicht glücklicherweise noch 0:0. Der HSV passt sich in der Folge dieser Anfangsviertelstunde aber gut an seinen Gegner an. Am Ende sind es im Detail vielleicht Kleinigkeiten, diese haben aber große Wirkung.
Kleinigkeit 1 ist das asymmetrische Anlaufen von Selke und Karabec. Selke ist in seiner Defensivposition nun tiefer und fast an 6er Klemens orientiert. Karabec drückt mit seinem Anlaufen das Spiel in der Folge immer wieder auf Innenverteidiger Leistner. Teils ist das nicht mal schwierig, da sich Karbownik auf der linken Seite nicht als Anspielstation präsentiert und Scherhant zu hoch agiert. Somit bleibt nur der Querpass auf Leistner oder Rückpass auf Gersbeck.
Auch nimmt Adam Karabec durch seinen Anlaufwinkel oft die Zentrale und somit Maza in seinen Deckungsschatten. Aber auch in zweiter Linie ist der HSV jetzt besser aufgestellt. Die Abstände von Richter und Meffert die zwischen Klemens und Maza pendeln müssen, passen besser als noch zu Beginn des Spiels.
Das alles führt dazu, dass die Hertha nun vermehrt über rechts kommen muss und hier merkt man einen enormen Qualitätsunterschied. Die Hertha schafft es zwar immer mal wieder entlang der Schiene durchzuspielen, es fehlt aber die Konsequenz und Präzision und wahrscheinlich fehlt auf rechts nun mal auch X-Faktor Maza.

Dass der HSV in diesem Spiel in Führung geht ist dann doch eine Überraschung. Sie sollte aber eine Warnung an den Rest der Liga sein, wenn man sich die Abläufe genauer anschaut.
Wer meinen Artikel über das Spiel mit Ball zu Polzin gelesen hat, wird dieses Muster bekannt vorkommen. Nach Ballgewinn Elfadli befindet sich der HSV auf der linken Offensivseite wieder. In diesem Diamanten mit Muheim, Elfadli, Karabec und Dompe wird nun viel rotiert und probiert, bis die Hertha dann keinen Druck mehr ausüben kann und sich der HSV in die Tiefe durchzockt. Der HSV stellt die Hertha hier permanent vor Defensiventscheidungen mit welchen die Hertha überfordert ist.
Aber auch ballfern macht der HSV vieles richtig in diesen Szenen. Richter pinnt Leistner, der dadurch nicht mit eingreifen kann. Mit der Flanke crasht dann Emir Sahiti die Box, sodass mit dem Karabec „Chip 2“, die Box dann vielversprechend besetzt ist und Selke zum 0:1 einköpfen kann.

Schaut man sich nun auch das 0:2 an, so müsste einem auffallen, dass man dieses Prinzip schon einmal gesehen hat. Nur dieses Mal mit anderem Ausgang, im wahrsten Sinne. Wieder herrscht viel Bewegung auf der linken Seite, bis letztendlich Karabec die Spur für Königsdörffer aufzieht, der dann traumhaft einnetzt zum 0:2.
Kommt der HSV in diese Abläufe, wird es für die Liga brutal schwer.

Die Hertha wechselt und sie wechselt volles Risiko. Reese feiert sein Comeback und zusätzlich kommen auch Prevjlak und Winkler ins Spiel der Hertha. Die Hertha verändert hiermit auch ihre komplette Offensivstruktur.

Scherhant agiert nun neben Prevjlak als zweite Spitze, Reese übernimmt die linke Spur und Winkler ersetzt simpel Palko Dardai. Das stellt den HSV vor viele Probleme. Im Aufbau ist es bei der Hertha nun eine Art 3-1 mit viel variablem Personal davor. Die beiden Hertha Stürmer binden nun permanent das Innenverteidiger Duo des HSV tief in der letzten Linie und die HSV Außenverteidiger stehen sich häufig einem 2v1 entgegen. Hertha findet aufgrund dieser Überzahl immer wieder Optionen in der Breite…

aber auch zwischen den Linien. Die Anpassung des HSV auf ihren Defensiv-Tannenbaum wirkt nicht und Hertha findet immer wieder Räume im HSV Defensivverbund.

Ist der Ball mal gespielt, so kann die Hertha mit einer enormen Wucht auf in Richtung HSV Tor agieren. Die Hertha hat sofort fast 6 Spieler in der „letzten“ Linie und nutzt dies effektiv. Nur Heuer Fernandes verhindert, dass es hier nicht schon früher 2:2 steht.

Mit dem 3er Wechsel der Hertha spielt der HSV permanent in Unterzahl in ihrer letzten Linie und somit auch mindestens Gleichzahl gegen die Offensive der Berliner in ihrer eigenen Box. Vor dem 2:2 springt erst Sahiti unnötig auf einen möglichen Ball auf Dardai und macht es für Maza wirklich einfach Reese ins Spiel der Berliner zu bringen. Reeses Flanke muss der HSV individuell sicher besser verteidigen, allerdings sind die Grundvoraussetzungen für einen Berliner Erfolg bei 3v3 im Strafraum höher als sie zu dem Zeitpunkt hätte sein dürfen.

Am Ende stellt der HSV auf ein 5-4-1 um und hat das Glück auf seiner Seite. Herthas Absicherung lädt Sahiti zu seinem ersten HSV-Tor ein und vor dem Kasten macht Heuer Fernandes nach einer letzten Schrecksekunde für den HSV alles klar. Muss der HSV nach dem 3er Wechsel der Hertha vielleicht früher sein System in der letzten Linie anpassen? Wahrscheinlich wäre das eine gute Idee gewesen. Macht man allerdings aufgrund der lückenhaften Hertha Restverteidigung früher das dritte Tor redet kein Mensch darüber.
Klar ist allerdings, dass der HSV dieses Spiel nicht unbedingt hätte gewinnen müssen. Aus Berliner Sicht könnte man sogar sagen, dass sie es nicht hätten gewinnen dürfen. Dennoch gehen 3 Punkte mit nach Hamburg und mit den 3 Punkten gehen gute, wie auch verbesserungswürdige Dinge mit an die Elbe.
Aufbauen sollte man weiterhin an den Dynamiken, die man durch Rotationen im letzten Drittel erzeugen kann. Hier ist der HSV brandgefährlich und wird ausnahmslos jede Mannschaft an einem guten Tag vor immense Probleme stellen. Auch waren die Anpassungen von Polzin & Co zunächst gut. Der HSV schafft es schwierige Phasen zu überleben und zeigt nach solchen Phasen auch eine hohe Resilienz in ihrem Spiel.
Es gilt aber auch weiterhin daran zu arbeiten, wie man gegen hohes aggressives Anlaufen agieren möchte. Gegen Darmstadt und nun auch gegen die Hertha zeigte man nicht immer die gewünschte Präzision und passende Abläufe in tiefen Zonen. Auch hat die Hertha dem HSV gezeigt, dass man gegen den Ball noch zulegen muss. Als einzelner Spieler, aber auch als Mannschaft.
Gegen Hannover wird es auf vieles wieder ankommen und dass wahrscheinlich ohne Davie Selke und sicher ohne Muheim. Hannover hat vor allem bei ihrem zweiten Tor gegen Münster gezeigt, dass sie nicht mehr Leitlschen Ideenlosfußball spielen. Es wird wahrscheinlich die bisher schwierigste Aufgabe für das junge Trainerteam. Aber wie sagt man so schön: Man wächst mit seinen Aufgaben.
P.S. Euch ist vielleicht aufgefallen, dass die Analyse nicht so tief war, wie sonst. Auf mich warten vorübergehend auch neue Aufgaben. Meine nächste Analyse gibt es wahrscheinlich erst wieder Ende März oder im April.