Schon seit Wochen war es allen eigentlich klar, sobald der HSV auswärts bei den Aufsteigern antritt, wird es mal wieder schwierig. Umso glücklicher ist man im Nachhinein, dass die drei Punkte aus Münster entführt werden konnten. Kein schöner Fußball, aber dafür solide und mit etwas erzwungenem Glück durch das Kämpferherz von Masken-Selke hat man gewonnen. Wer sich so lange schwer tut in Führung zu gehen, der steigt am Ende auch auf. So will es zumindest eine Fußball-Weisheit, die besagt, dass gerade die dreckigen Spiele entscheidend sind. Tatsächlich lobte auch Merlin Polzin, dass seine Mannschaft das Spiel komplett angenommen und sich mit der richtigen Art und Weise gewehrt hat. Man scheint also gut auf dieses Szenario vorbereitet gewesen zu sein, weshalb sich vielleicht auch etwas die Frage stellt, warum die Führung so lange auf sich warten ließ. Also schauen wir uns das Spiel etwas genauer an.
Strukturen im Spiel
In den Strukturen gab es bei Münster keine großen Überraschungen. Auch gegen den HSV bauten sie in ihrem üblichen 3-1-4-2 auf, mit viel Personal im offensiven Zentrum und sehr hoch stehenden Außenverteidigern. Etwas mehr ausgeprägt als zuletzt war vielleicht die Orientierung des linken Halbverteidigers auf den Flügel. Das ist bei den Preußen zwar grundsätzlich immer wieder ein Element beim Torabstoß, aber weniger aus dem Spiel heraus. Gegen den HSV war das anders, da sich die erste Aufbaureihe auch ohne Torwart in der 3er-Kette häufig weiter nach links orientiert hat und somit Frenkert links außen auch höher positioniert war, was letztlich wieder eher einem 2er-Aufbau gleich kam. Für den HSV bedeutete das hauptsächlich, dass man situativ aus einem 4-1-4-1 weniger in den 4-3-2-1-Tannenbaum und mehr zum 4-1-3-2 hochschob. Das ist aber eine grundsätzlich vorgesehene Variation beim HSV, um sich zwischen und in Spielen an unterschiedliche Aufbaustrukturen anzupassen (siehe Polzinball Teil 1).

Auch gegen den Ball spielte Münster wie erwartet im 5-3-2 mit dem rechten 8er am eingerückten Muheim orientiert, wobei diese Zuordnung wegen der variablen Positionsbesetzung beim HSV auch immer wieder anders aussehen konnte. Die Hamburger verhielten sich dem gegenüber in ihrem ebenso üblichen 4-3-3 mit Muheims variablen Einrückverhalten bis in den höheren 8er-Raum und Richters situativem Rausschieben und Abkippen. Wie gesagt, keine großen Überraschungen und dennoch Umstände, die hervorgehoben werden müssen, um das Spiel zu verstehen. Denn während sich schon in den Anfangsminuten ein kampfbetontes Spiel abzeichnete, in dem Münster immer wieder mit hoher Intensität versuchen sollte, nach langen Pässen in die Offensive zweite Bälle zu gewinnen, gelang es dem HSV genauso, eigene Lösungen am Ball zu finden.

Das Schlüsselduell bewahrheitet sich?
In der Spieltagsvorschau hatte ich das Duell zwischen Kinsombi und Muheim hervorgehoben, weil ich erwartet habe, dass der früherer HSVer gegen die variablen Bewegungen des Schweizers Probleme haben wird den richtigen Gegenspieler zu finden und somit immer wieder zwischen Muheim, Meffert und Richter schwimmen wird. Dies trat auch ein, besonders in der ersten Halbzeit.
Kinsombi orientiert sich an Muheim, der eingerückt und höher als Meffert steht. So wird Meffert im Rücken von Münsters erster Pressingreihe frei und kann angespielt werden, was Kinsombi dazu veranlasst ihn anzulaufen. Da Richter zugleich tiefer kommt und Muheim nur im Rücken einen Gegenspieler hat, kann der Ball nun im Dreieck von Meffert über Richter zu Muheim gehen. Diese und ähnliche Varianten dieses Ablaufs um Kinsombi zu überspielen ziehen sich durch das Spiel. In späteren Szenen wechseln sich die Rollen der Spieler im Dreieck zwar immer mal wieder, aber der Ablauf bleibt grundsätzlich der Selbe, was bedeutet, dass der HSV regelmäßig aus dem tiefen Aufbau direkt vor die 5er-Kette von Münster kommt.

Etwas anders verlief es hingegen auf der rechten Seite, was auch dem am Ball etwas weniger versierten (und trotzdem ordentlich agierenden) Hefti geschuldet ist. Mit ihm leicht höhenversetzt zu den Innenverteidigern wird Münsters linker 8er Kyerewaa vor Entscheidungen gestellt: im Block stehenbleiben oder auf Hefti vorschieben. Geht er nun ins Pressing bleiben zwei Mittelfeldspieler im Zentrum und zumindest zunächst entsteht kein quantitativer Vorteil. Der HSV schafft es aber dennoch sich einen qualitativen Vorteil zu erspielen, indem beide 8er situativ eine Seite überladen und somit wieder die übliche Raute mit Hefti und Sahiti bilden können.

Was in solchen Situationen besonders zu Beginn der ersten Halbzeit noch etwas fehlte war der Übergang ins letzte Drittel. So konnte man zwar noch nicht so häufig durchbrechen, hatte das Spiel aber dennoch zumeist unter Kontrolle. Trotzdem entsteht schon in der 2. Minute die Möglichkeit zu einem Torabschluss in der Box. Heuer Fernandes spielt einen langen Ball von Münster im Volley direkt vor die Mittelfeldlinie auf Richter, der den Ball auf Karabec klatschen lässt. Sofort hat der HSV eine Plus 1-Überzahl und kann sich mit den drei Zockern, Richter, Karabec und Sahiti von außen diagonal in den Zwischenraum spielen. Dieser Ablauf scheitert dann an der letzten Aktion in die Box, aber nach dem Befreiungsschlag von Münster kommt der HSV direkt wieder über Meffert an den Ball und kann sich über links eine Ecke erspielen.

Die Ecken
Tatsächlich sind die Ecken auch weiterhin ein gefährliches Mittel des HSV, die es sich lohnt nach den erkennbaren Prinzipien einmal zu erläutern. In der Regel sieht es so aus, dass sich drei Spieler an der langen Ecke positionieren, einer den Torwart stört, Selke nah am Strafraumrand steht und dann ein Spieler zwischen ihm und den vier Spielern im Fünfmeterraum steht. Sobald der Eckstoßschütze anläuft um den Ball zu spielen, laufen die Spieler am zweiten zum ersten Pfosten, Selke läuft in den am zweiten Pfosten nun freien Raum und der Spieler vor ihm versucht Selkes direkten Gegenspieler zu stören. So fällt in der 19. Minute dann auch fast das 0:1 durch Selke.


Mit dieser Variante schafft es der HSV die manndeckenden Spieler aus den Positionen zu ziehen und dabei aktiv den Raum am langen Eck zu öffnen. Zugleich kann sich aber auch nicht darauf verlassen werden, dass der Ball immer dort hingeht, womit es leicht wäre die Hamburger einfach in die Raumdeckung überzugeben. Stattdessen wird sowohl lang, kurz als auch ins Zentrum gespielt und überall kann der HSV gefährlich werden. Das Stören am Torwart ist dabei ein zusätzlicher Faktor, um entweder wie Königsdörffer in der 2. Halbzeit selbst zum Abschluss zu kommen, oder zumindest das Abfangen von Bällen in der Luft zu erschweren. Auch muss der Laufweg von Selke vom Strafraumrand nicht immer auf den zweiten Pfosten gehen. Genauso können seine Mitspieler im Fünfmeterraum die Gegenspieler am kurzen Eck daran hindern rauszuspringen und Selke läuft genau in den Raum davor.
Offensive Bewegungsabläufe in Halbzeit 1
Aber kommen wir zurück zum Spielablauf und dem Thema, was in den offensiven Bewegungsabläufen in der ersten Halbzeit noch gefehlt hat, um häufiger zu Chancen zu kommen. Ein wichtiger Punkt ist sicherlich, dass man nicht immer eine gute Anschlussoption nach dem Überspielen von Münsters ersten Reihe gefunden hat. Man bringt hier gerne viele Spieler nah zusammen, die auf engem Raum gut miteinander Zocken und sich in rotierenden Dreiecken am Flügel entlangkombinieren können. Fehlt dann aber die Anspieloption in der Tiefe oder es wird versäumt im richtigen Moment doch den verlagernden Pass aus dem Druck zu spielen, kann die Aktion auch mal erstickt werden.

Zudem fiel auf, dass die neue Konstellation mit Muheim und Stange auf der linken Seite mit ein paar Abstimmungsproblemen behaftet war. So gab es besonders in höheren Zonen immer mal wieder Situation wo Muheim im Halbraum angespielt wurde und Stange zugleich tief kam, damit aber Muheim die Option nahm nach vorne zu spielen und stattdessen in den Druck geriet.

Genauso war man nicht immer vollkommen sauber im Ausspielen seiner strukturellen Möglichkeiten. Es gibt einige Beispiele die man hier zeigen könnte, wo die Körperorientierung oder der Passwinkel nicht ganz stimmen und dadurch Bälle verloren gehen. Hier soll diagonal durchs Zentrum gespielt werden, aber Sahiti öffnet den Fuß zu weit und spielt den Ball direkt zu Kinsombi statt Meffert.

Und dennoch hatte man die erste Halbzeit weitestgehend unter Kontrolle ohne in den ersten 20 Minuten selbst die größte Gefahr ausstrahlen zu können. Dann geschah jedoch worauf viele Fans gewartet haben werden: Der HSV geriet in Rückstand und dass durch einen individuellen Fehler sowie eine darauffolgende Ecke. Es geschah also aus dem Nichts.
Muheims Stellungsspiel und das Gegentor
Trotzdem gibt es zu dem Gegentor eine Vorgeschichte. Mehrmals vor der 23. Minute finden ähnliche Szenen statt in denen Münster den langen Ball vom Torwart oder Paetow aus der Innenverteidigung spielt. Dieser Pass geht jeweils diagonal entlang des Feldes in den Raum vor der HSV-Abwehrkette auf Muheims Seite. Und jedes Mal zieht es die rechte Schiene ter Horst nach innen, wo er den langen Ball versucht per Kopf direkt weiterzuleiten. Gefährlich wird es in keiner dieser Szenen, auch weil Muheim das Duell entweder gewinnt oder tiefer stehenbleibt und somit der zweite Ball in Überzahl leicht zu verteidigen ist.


Und dann kommt die Szene. Zum ersten Mal entscheidet sich ter Horst nicht vor der Kette nach innen zu ziehen und geht stattdessen im Rücken von Muheim in die Tiefe. Ob Muheim seinen Gegenspieler aus den Augen verloren hatte oder darauf spekulierte, dass dieser wieder vor die Kette kippen würde ist an Hand der TV-Bilder schwer zu sagen. Eins sollte jedoch klar sein, für den Spielverlauf bis dahin, kam der Stellungsfehler mehr oder weniger aus dem Nichts.

Verbesserte Umsetzung der Ansätze Halbzeit 2
Was sich in der 1. Halbzeit eigentlich schon immer wieder in den strukturellen Ansätzen andeutete und zum Ende schon besser umgesetzt wurde, lief in der 2. Halbzeit dann immer besser. Schon beim 1:1 zockt sich der HSV auf der rechten Seite über die Techniker Sahiti und Karabec durch und der unterlaufende Hefti bindet zugleich seinen Gegenspieler aus dem Mittelfeld in der Abwehrkette. Damit entsteht viel Platz im Halbraum in den Hefti auf Meffert klatschen lassen kann, der eine schöne Chipball-Flanke auf den langen Pfosten hinter die gegnerische Kette spielt.

Ähnlich geht es auch nach der Pause weiter. Mal wieder befand sich der HSV tief in der gegnerischen Hälfte und schafft es dieses Mal Sahiti rechts zwischen den Ketten zum Flanken zu bringen. Währenddessen machen die Spieler in der Box was sie schon beim Anschlusstreffer taten. Sie überladen den zweiten Pfosten mit Dompe, Richter und Selke. Dadurch entsteht viel Raum im Zentrum vor der Kette in den Richter läuft, sobald die Flanke gespielt wird. In dieser Dynamik muss Richter von einem auf den anderen Verteidiger übergeben werden und hat dadurch Raum. Die Flanke kommt in diesem Fall zwar nicht bei ihm an, aber es gab einige solcher Szenen die immer wieder für Gefahr sorgten.

Und genauso wie die Halbraumflanken auf der rechten Seite, wovon eine bereits zum Ausgleich geführt hatte, wurden sich auch von links in regelmäßigen Abständen Chancen über Flanken erspielt. Direkt nach der obigen Szene gewinnt man den geklärten Ball wieder zurück und verlagert nach links. Dompe wird hier wie so häufig gedoppelt, was Muheim vor dem Strafraum viel Platz bietet, um nach Rückgabe an ihn die Flanke an den zweiten Pfosten zu spielen wo Selke steht. Und auch hier wird der zweite Pfosten vorher wieder überladen, um dann in den freien Raum zu laufen, was zum einen den Rückraum öffnet in den der Ball abprallen oder abgelegt werden könnte und zum anderen Selke isoliert ins 1v1-Kopfballduell bringt. Hier schlägt Muheim die Flanke etwas zu nah ans Tor womit Schenk sie abfangen kann, aber wie gesagt sind das sich wiederholende Muster, die dann im Detail auch irgendwann zum Erfolg führen.

Dem zuvor geht eine Szene in der 54. Minute. Zunächst binden Dompe, Richter und Muheim in der üblichen Dreieckskombination ihre Gegenspieler in der Breite. Dabei entsteht in der Halbraumspur Platz, der dann nach Rückpass auf Schonlau von ihm bespielt werden kann, um Richter im Zwischenraum mit einem perfekt gespielten Pass zu finden. Man spielt sich folglich wieder über Dompe breit und Karabecs Tiefenlauf im Halbraum hinter die Kette und kann Richter im Rücken der Abwehr in der Box finden. Dieser macht es dann gut sich dort Raum zu schaffen, kann seinen Abschluss aber nicht verwandeln.

Solche Aktionen finden nun beinah im Minutentakt statt. Kurz darauf gewinnt Meffert den Ball nach einem Abstoß von Münster kurz hinter der Mittellinie zurück. Man läuft sofort in die Tiefe, aber sobald das letzte Drittel erreicht wird, geht nur noch der in der Halbraumspur laufende Spieler weiter, in dessen Lauf von außen gespielt wird, um dann Karabec in der Box zwischen den Ketten zu finden. Beinah hätte es hier einen Elfmeter gegeben, aber wichtiger noch, diese Mittel mit Raum zwischen den Ketten in die Box zu kommen wiederholen sich immer wieder.

Am Ende fällt das Siegtor zwar erst sehr spät durch einen Elfmeter, dieser wurde jedoch durch die bereits beschriebenen Flanken aus dem Halbraum vorbereitet. Dompe bindet zwei Gegenspieler und spielt Muheim damit frei, der den überladenen zweiten Pfosten bespielt, wo Selke zu Boden gerissen wird.

Fazit
Am Ende ist es doch etwas schwer von einem glücklichen Sieg zu sprechen. Zwar war es kein Feuerwerk von Chancen, aber durchaus ein Spiel in dem schon wesentlich früher die Führung hätte fallen können. Anders gesagt: Der HSV hatte Pech, dass er am Ende nicht mit einem Tor mehr, das zugleich früher fällt, aus dem Spiel geht. Das unterstützt auch der offizielle Bundesliga xG-Wert von 0,62 für Münster und 3,02 für den HSV. Zugleich erreichte man in diesem Spiel den höchsten Field Tilt-Wert der gesamten Saison von 69,4% und den niedrigsten PPDA-Wert von 6,6. Field Tilt steht hier für den Mannschaftsanteil von Ballbesitz der in den beiden letzten Dritteln stattfand. Soll heißen, unsere Mannschaft war wesentlich mehr im offensiven Drittel als der Gegner. Der niedrige PPDA-Wert zeigt zugleich, dass Münster früh im Aufbau gestört wurde. Man schaffte es also den Gegner viel hinten einzuschnüren und hatte mit den oben beschriebenen Abläufen auch klare Mittel, um in der Box gefährlich zu werden.
Natürlich verlangt ein solches Spiel auch etwas Geduld, soviel verriet auch Merlin Polzin in der Pressenkonferenz nach dem Spiel. Es war also doch kein dreckiges Mentalitätsspiel, sondern ein klar vorbereiteter Ansatz der auf den eigenen Prinzipien basiert und damit auch einiges an Spielwitz aufzeigen konnte. Das Vertrauen in genau diese Spielweise ist es was einen letztlich zum Sieg verholfen hat. Es war kein Zufallstor, sondern eines, das sich seit mindestens 60 Minuten andeutete. Auch deshalb ist in dem von Ben Griffs zur Verfügung gestellten Match Report gut zu erkennen wie häufig der HSV die jeweiligen Halbräume angegriffen hat. Münster hingegen hatte fast nur was man von ihnen auch erwartete: lange Bälle, die in den allermeisten Fällen auch gut wegverteidigt wurden. Der Spielverlauf und die erst spät gefallene Führung täuschen hierrüber dann leider ein wenig weg, womit im Umfeld dann natürlich schnell ein anderer Eindruck entsteht.
