Der HSV siegt schon wieder souverän gegen einen Mit-Aufstiegskandidaten, dieses Mal sogar auswärts. Es wird unheimlich. Gut, dass jetzt erstmal Länderspielpause ist. Zeit zum verarbeiten sämtlicher Emotionen aber auch, um sich das Spiel gegen die Magdeburger noch einmal genauer anzuschauen.
Das Spiel
Christian Titz wechselte im Vergleich zum Unentschieden in Fürth dreimal in seiner Startelf: Hugonet, Mathisen und Loric kamen für Pfeiffer, Heber und Musonda.


Magdeburg begann das Spiel in gewohnt selbstbewusster Art, manche würden sagen sie begannen ihr Spiel zu etablieren. Sowohl in der Abwehrkette als auch in höheren Zonen hatten sie Breitengeber, die das Pressing des HSV erschweren sollten, zudem drei sehr zentral agierende Spieler mit dem einrückenden Loric und den beiden offensiven Mittelfeldspielern Atik und El-Zein oder Burcu, der zentraler kam und dann Loric auf die Außenbahn wechselte.
Die zentral Offensiven der Magdeburger wurden zu Beginn vom HSV durch ein 4-3-3 zwar nicht mannorientiert verteidigt aber durch die zweite Kette in Gleichzahl begegnet. Eine Gefahr, die sich durch das zentrumsorientierte Verteidigen des HSV ergab, sah man direkt in Minute 3:

Der HSV steht hier in seinem 4-3-3 defensiv. Dompé und Karabec orientieren sich im Pressing an den Innenverteidigern der Magdeburger, wird der Ball auf außen gespielt soll einer der drei „äußeren Zentralen“ dahinter pressen, also Reis oder Sahiti. Springen diese aber zu früh öffnen sie das Zentrum, wie in dieser Szene:




Reis zeigt Dompé, das jetzt der Moment für das Pressing gekommen ist. Der Niederländer verlässt sich dabei darauf, dass Dompé mit seinem Deckungsschatten das Zentrum schließen kann und spekuliert auf den Ball auf den äußeren IV, öffnet damit selbst das Zentrum und Mathisen überspielt ihn mit dem Ball auf Burcu. In der Folge kann Reis es dann mit einer Balleroberung auch wieder ausgleichen. Kein klarer Fehler von Reis, sondern Dompé muss noch mehr darauf achten die Linien ins Zentrum zu schließen, dann ist der Pass von Mathisen unabhängig von Reis Verhalten gar nicht erst möglich.
Der Ton war also gesetzt. Wollte der HSV hier in Magdeburg etwas mitnehmen, musste man hellwach sein, sonst würde der Tabellenvierte seine Lösungen gegen das Team von Merlin Polzin finden.
Aber auch andersherum deutete sich schnell an, wie der HSV den Magdeburgern gefährlich werden könnte. Durch das stark mannorientierte Verteidigen ergaben sich für den HSV schnell Räume, wenn sich die Innenverteidiger Magdeburgs aus der Kette lösten um den ihnen zugeteilten Spieler zu verteidigen. Belief dann ein HSVer den Raum dahinter hatte Magdeburg Schwierigkeiten dies schnell genug zu erkennen:


Hugonet orientiert sich an Reis, spekuliert auf das kurze Anspiel und macht ein, zwei Schritte aus der Kette. Dadurch kann Sahiti genau in diesen Raum hinter ihn starten wohin Karabec dann auch den Ball spielt. Reimann kann den Ball dann allerdings auch abfangen.
Key-Factor Heuer Fernandes
Vor allem in der Anfangsviertelstunde hatte der HSV eine Lösung, die gegen das aggressive Pressing der Magdeburger relativ einfach aussah: Heuer Fernandes mit der Verlagerung auf Dompé.
Spielt eine Mannschaft mannorientiert, sogar über den kompletten Platz so mannorientiert wie es die Magdeburger taten, dann ergibt es automatisch immer einen freien Mann, egal wie gut das Pressing aufeinander abgestimmt ist und das ist meist der Torwart der ballführenden Mannschaft. Denn 10 Feldspieler können auf 10 Feldspieler des Gegners reagieren, aber nicht auf 10 Feldspieler und einen Torwart. Und so war es Heuer Fernandes, der direkt zu Beginn zwei identische Szenen hatte.




Schwierig zu beurteilen, ob es eine vorher abgesprochene Variante war aber durch die Zuteilungen der Magdeburger ergab sich auf den Außenbahnen Platz, da die Innenverteidiger der Mannschaft von Christian Titz natürlich nicht die ganze Zeit so breit stehen, dass sie direkt beim Außenbahnspieler dran sind. Natürlich ziehen sie erst dann nach außen, wenn auch der Ball nach außen kommt. Durch diese Verzögerung hat Heuer Fernandes aber immer den Außenbahnspieler frei, den er mit einem Flugball finden kann, wenn dieser Ball vernünftig und mit gewisser Schärfe gespielt wird. Hat der Ball zu viel Luft unter sich hat der Verteidiger genügend Zeit den Abstand auf Dompé zu verringern.
Solch eine Szene führte dann eben auch zum 0:2 des HSV:




Oder auch hier in Halbzeit 2:



Und so führte man bereits nach einer Viertelstunde mit 0:2 in einem Spiel, das von vielen als Angstspiel auserkoren wurde, da man in der Vergangenheit eben gegen dieses aggressive Pressing und das mutige Vorgehen mit Ball nicht immer das passende Gegenrezept hatte. Dieses Mal gelang es ganz gut.
Rotationen
Dem HSV gelang es immer wieder durch eigene Rotationen auf dem Spielfeld den Mannorientierungen der Magdeburger zu entkommen und ihre Zuteilungen aufzubrechen. Vor allem Emir Sahiti war dabei sehr umtriebig, für ihn war rein nominell El-Zein zuständig, wenn er sich in zentraleren Räumen aufhielt. Durch Sahitis Bewegungen war für El-Zein dann die Frage wie weit kann er sich nach außen fallen lassen oder auch wenn Sahiti sich den Ball tiefer holte, geht El-Zein dann mit und was passiert mit dem Magdeburger 6er-Raum?
So auch in dieser Szene:




Was man in dieser Szene erkennt sind zwei elementare Dinge im modernen Fußball, die es schon immer gab aber jetzt gerade wieder große Beliebtheit erlangt: Rotationen und Rautenbildung.
Jeder Amateurfußballer wird sie kennen: Die Dreiecksbildung. „Dreiecke bilden“, „Angebote machen“. Standardsprüche eines jeden halbwegs ambitionierten Fußballtrainers. Inzwischen geht man einen Schritt „weiter“. Es sollen nicht nur Dreiecke, sondern Rauten gebildet werden. Dabei wird das „Spiel über den Dritten“ genutzt, um über den abgelegten Ball in die Tiefe zu kommen.
Anhand der obigen Szene erklärt: Sahiti holt sich den Ball tief und tauscht damit Positionen mit Karabec, der zunächst an der „tiefsten“ Stelle einer möglichen Raute positioniert war (Bild 1 und 2). Sahiti spielt dann den Ball auf den „hoch“ stehenden Reis, der den Ball auf den rechts stehenden Muheim ablegt und dieser kann mit seinem linken Fuß direkt auf Sahiti weiterleiten, der in der Zwischenzeit in die Tiefe gestartet war.
Magdeburg hat dabei das Problem seiner eigenen Ausrichtung zu spüren bekommen. Jannik Müller spielt in der Zuteilung gegen Ludovit Reis, schiebt auch auf diesen beim Zuspiel auf Reis aber dadurch, dass El-Zein den tiefen Laufweg von Sahiti nicht mitgeht, sondern auch auf Reis geht haben auf einmal 2 Spieler den Fokus auf Reis aber keiner den Blick für den tief gestarteten Sahiti.
Anpassungen Hälfte 1
Im weiteren Verlaufe der ersten Hälfte baute der HSV ein wenig um, verteidigte nicht mehr im 4-3-3, sondern vermehrt im 4-1-4-1/4-4-2. Zudem lag der Fokus nicht mehr so extrem auf dem Zentrum, sondern die Ketten waren ein wenig breiter angelegt, sodass man auch nicht mehr so leicht Gefahr lief, durch das Springen auf die Außenbahn zu leicht im Zentrum überspielt zu werden.

„Walters Relationismus“ beim HSV?
Vor der Winterpause, als der Nachfolger für Steffen Baumgart gesucht wurde, geisterte für einen kurzen Zeitraum der Name Henrik Rydström durch die Gazetten. Die Herzen vieler Fußballbegeisterter (meins vielleicht auch) schlugen schnell höher, denn wofür Rydström bekannt ist, ist sein Ansatz des Relationismus, welcher in der Moderne vor allem vom brasilianischen Trainer Fernando Diniz geprägt wurde. Relationismus wird von der DFB Akademie wie folgt erklärt:
Doch nicht primär die Ergebnisse und Erfolge brachten Diniz ins Rampenlicht: Es war die Art und Weise, wie er seine Mannschaft spielen ließ, die für Aufsehen sorgte. Seine Spielidee unterscheidet sich vor allem in einem Aspekt deutlich vom (europäischen) Positionsspiel, das Pep Guardiola seiner Zeit mit dem FC Barcelona zum Nonplusultra machte: Während es bei diesem vor allem um das abgestimmte Besetzen von Räumen und Zonen in einer zumeist klaren Struktur mit festen Abläufen geht, steht beim Relationismus der Ball und die Kreativität im Fokus. Bei Fluminense versammeln sich zeitweise alle zehn Feldspieler in unmittelbarer Ballnähe. Sie sollen enge „Beziehungen“ zueinander aufbauen, um sich mit kurzen Doppelpässen und schnellem Direktspiel aus engen Räumen zu befreien. Feste positionsspezifische Vorgaben gibt es kaum – die Spieler sollen sich frei bewegen und individuelle Lösungen finden.
Relationismus – mehr als nur ein Trend?
Und so erkennt man beim HSV momentan häufig 2 Dinge: Gezieltes Überladen einzelner Zonen, um ballnahe Überzahl zu erzeugen und dabei viele Positionsrochaden á la Tim Walter. Schaut sich Polzin da die spannendsten Ideen an und entwickelt sie für den HSV weiter? Zumindest eine tolle Vorstellung.
In dieser Situation sieht man beispielsweise die sehr fluide Auslegung von Räumen für die Spieler. Während Emir Sahiti mal komplett woanders auf dem Spielfeld positioniert ist entscheidet sich Daniel Elfadli mehr oder weniger im Alleingang dazu, dass er jetzt mal mit nach vorne geht. Ähnlich zu der oben beschriebenen Aktion von Sahiti, als er sich den Ball tief holte und in die Tiefe startete:




Und auch vor dem 0:3 hatte man eine solche Szene, die stark an die Zeit vom ehemaligen Cheftrainer Tim Walter erinnerte: Elfadli spielt den Doppelpass mit Muheim und bleibt dann nicht zentral und sichert ab, sondern geht den kompletten Weg mit nach vorne. Dass Königsdörffer seine Unterstützung dann gar nicht benötigt für das tolle Solo-Tor ist dann noch die Krönung.



Ein Beispiel für die sehr fluide Zonenbesetzung gibt es in Halbzeit 2 bei dem sich Karabec, Sahiti und Richter relativ mühelos den Ball zuspielen und dabei immer in Bewegung bleiben. Spricht man im Bezug zum HSV von Relationismus, darf man da nicht zu dogmatisch von einer großen Anzahl von Spielern auf engem Raum ausgehen, sondern eher, dass es eine hohe Freiheit in der eigenen Entscheidungsfindung der Spieler gibt. Vor allem Sahiti und Karabec bewegen sich praktisch in allen Zonen des Spielfeldes, um möglichst immer anspielbar zu sein.
Hier die oben genannte Szene:




Wer sich diese Szene und vor allem Bild 2 nochmal anschaut wird übrigens sehen, dass Silvan Hefti genau den Weg geht, den Emir Sahiti bereits in Halbzeit schon mal gegangen ist. Der HSV spielt vermeintlich zurück nur um in der Gegenbewegung die Tiefe zu suchen. Dieses Mal kam allerdings nicht der Ball in die Tiefe, sondern man versucht über kurze Pässe durchzukommen.
Tiefenläufe durch den Halbraum
Ein weiteres Stilmittel, das der HSV verwendete und das der 1. FC Magdeburg nicht wirklich zu verteidigen wusste waren Tiefenläufe, die die HSVer durch den Halbraum machten. Selten sah man beim HSV das klassische Hinterlaufen von den Außenverteidigern, sondern häufig wurde von den zentralen Mittelfeldspielern oder eben den Außenverteidigern durch den Halbraum die Tiefe gesucht. Diese Läufe waren sicherlich Teil der auf Königsdörffer „zugeschnitten Spielidee“. Hat man in Zukunft wieder etwas statischere Mittelstürmer wird man auf andere Optionen setzen.
Hier ein paar Beispiele.
Szene 1:



Szene 2:



Szene 3:



Insgesamt kann man sagen, dass die 2. Halbzeit viel davon geprägt war, dass Magdeburg nochmal versuchte aber auch nicht wirklich durchkam und der HSV es einfach seriös runterspielte. Eine Qualität, die nicht zu unterschätzen ist für die restlichen 8 Saisonspiele.
Schlüsselfiguren
Bei einem 3:0 auswärts beim Tabellenvierten kann es nur eine geschlossene Mannschaftsleistung gegeben haben. Trotzdem möchte ich an der Stelle nochmal drei Spieler herausheben, die das Spiel auf ihre Art geprägt haben.
- Miro Muheim: Wahrscheinlich könnte man es nach jedem Spiel schreiben aber damit es nicht selbstverständlich wird möchte ich ihn hier noch einmal hervorheben. 93% Passquote, 60% Zweikampfquote, meisten gewonnen Tacklings des Spiels, meiste Ballaktionen beim HSV in diesem Spiel. Muheim bleibt ein integraler Bestandteil des aktuellen HSV-Erfolges und wird es hoffentlich auch in Zukunft sein.
- Emir Sahiti: Viel gescholten, gegen Magdeburg aber mit einem guten Spiel. Sicherlich offensiv nicht das Feuerwerk, das man sich von einem Offensiv-Spieler erhofft aber dafür umso umtriebiger im Aufbau- und Übergangsspiel des HSV. Spielt mehr als ZM als dass er den Außenbahnstürmer gibt. Auch wieder mit vielen guten Defensivaktionen.
Beispiele für Sahitis Positionierungen im Spiel des HSV:


- Ransford Königsdörffer: Er darf nach einem solchen Spiel natürlich nicht fehlen. Königsdörffer strahlte in jeder seiner Aktion pure Torgefahr aus, hatte trotz seiner Tore sogar noch zweimal Alu-Pech. War perfekt für den Tiefgang im HSV-Spiel, um die aufgerückten Magdeburger vor Probleme zu stellen. In der Verfassung ein absoluter Luxus und fast schon Verschwendung ihn nach der Länderspielpause wahrscheinlich erstmal wieder auf die Bank zu setzen.
Fazit
Der HSV zeigte in Magdeburg eine Leistung, die einem als HSV-Fan Hoffnung geben könnte, vielleicht auch sollte. Man war gut eingestellt auf den Gegner, man war offensichtlich hoch motiviert sowohl mit dem Ball Lösungen zu finden als auch gegen den Ball unangenehm für den Gegner zu sein.
Die Mannschaft von Merlin Polzin hatte verschiedene Ansätze, um sich aus dem aggressiven Anlaufen der Magdeburger häufig einfach (aussehend) zu befreien.
Schafft man es solche Spiele zu wiederholen darf man als Fan schon bald den Tabellenrechner mit einem Grinsen aufrufen. Aber wer, wenn nicht wir HSVer, wissen genau, dass solchen Gala-Auftritten eben auch weitere stabile Spiele folgen müssen. Dass man dafür aber das richtige Rüstzeug hat, das hat man am vergangenen Freitag gezeigt.