S04HSV: Tiefgang gegen 10, Ausgang ohne Sieg

Nach 1 Minute und 11 Sekunden ist Schalke bereits in Unterzahl, weil ihr Kapitän Karaman mit einer Roten Karte vom Platz gehen musste. Damit ist es schwer zu behaupten, dass der eigentliche Matchplan jemals voll zu erkennen gewesen ist. Und trotzdem gibt es Hinweise. Die Aufstellung von Königsdörffer statt Selke oder Glatzel und auch die von Pherai statt Karabec sind Indizien. Zudem sprach Cheftrainer Merlin Polzin nach dem Spiel davon, dass beim 1:2 vieles von dem umgesetzt wurde, was man sich vorgenommen hatte. Und natürlich wurde auch nicht sofort alles anders gemacht als ursprünglich geplant, weil der Gegner mit einem Spieler weniger auf dem Platz stand, womit Abläufe im Spiel besonders in der 1. Halbzeit trotzdem Hinweise bieten. Grundsätzlich lässt sich folgendes beobachten.
Mit Königsdörffer und Pherai hatte man zwei Spieler im Zentrum die gut in die Tiefe gehen, zwischen den Ketten als Verbindungsglied oder Zocker dienen und breit überladen können. Zugleich fehlte Muheim und musste wieder durch Hefti ersetzt werden. Dieser ist zwar einer der besten Außenverteidiger der Liga gegen den Ball, aber mit Ball sind seine technischen Fähigkeiten geringer einzuschätzen und besonders auf der ungewohnten Linksverteidigerposition scheint er mental risikoarmer eingestellt zu sein als sein Landsmann. Seine Rolle kann also nicht 1-zu-1 die gleiche sein wie die von Muheim.

Halbzeit 1: Heftis Rolle und dynamische Tiefe

Statt selbst das Spiel von der linken Seite zu gestalten (eine Rolle die Reis situativ schon in der 1. Halbzeit übernahm), sollte er für seine Mitspieler zu meist Räume öffnen. Er ist immer wieder eingerückt, aber häufig höher und mit mehr Tiefgang. Wenn der Ball von rechts nach links zirkuliert wurde, ging Hefti in der Regel höher sobald der Pass auf Elfadli gespielt wurde.

Damit konnte er entweder Aydın binden und mit sich ziehen, womit Bulut auf den leicht abkippenden Dompé rausschieben musste. Oder Hefti lief bis auf Bulut durch, womit Dompé mit Aydın ins 1-zu-1 kam. In beiden Fällen kommt Dompé ins Dribbling, es entsteht Raum vor der Abwehrkette und auch die Schnittstelle öffnet sich für Tiefenläufe. Hier sieht man z.B. wie Königsdörffers rauskippen in den linken Halbraum und Pherais ferne Positionierung Schalkes Innenverteidiger weiter auseinanderzieht. Nur ein unsauberer Kontakt von Dompé nach dem Klatsch von Hefti verhindert, dass Königsdörffer in die Box geschickt werden kann.

Zudem konnte der HSV auch durch das seitliche Überladen von Königsdörffer Raum vor der Abwehrkette schaffen. Da Bulut auf Dompé rausschieben muss ist Aydın gezwungen Königsdörffer in der Kette zu verteidigen. In den offenen Raum kann Elfadli den Ball tragen, womit Bulut sich dazu entscheidet die Tiefe zu verteidigen und Dompé dabei frei wird. Nun kippt Königsdörffer aber wieder aus der Kette und scheint sich mit Elfadli und Hefti sogar kurz auf den Füßen zu stehen. Die Konsequenz ist jedoch dass sich drei Schalke an Dompé orientieren. Elfadli und Königsdörffer befreien sich nun in den freien Raum und Hefti zieht ihn in seinem Lauf noch weiter auf. Schon kann Dompé Elfadli im Zwischenraum anspielen, der letztlich zum Abschluss kommt.

Tiefe entsteht nämlich nicht nur, weil der Gegner hoch steht, man kann sie sich erspielen. Das tut der HSV indem er Spieler aus den Ketten in die Breite zieht und Raum im Zentrum schafft. Auch rechts schafft man es mehrmals durch Rotationen einen Spieler frei in der Breite anzuspielen, damit dieser diagonal ins Zentrum ziehen kann, um über einen Dritten den hinter- oder vorderlaufenden Mikelbrencis in die Tiefe zu schicken. Es scheitert dann an dem aufmerksamen Verteidigen von Mohr gegen Mikelbrencis, der seinen Laufweg immer wieder gut mitgeht.

Dieses Mitlaufen öffnet aber der Halbraum auch häufig erst und ermöglicht damit das Spiel über den Dritten. Das wird von Pherai aber zu Teil zu spät erkannt und damit endet der Angriff wieder.

Dann fällt das unglückliche Freistoßtor von Schalke und der HSV braucht knapp 30 Minuten um den Ausgleich zu erzielen. Dabei kontrolliert man das Spiel immer mehr und die Schalker ziehen sich auch nicht ausschließlich in die eigene Hälfte zurück. Man scheitert vielmehr an den letzten Details. Hier eine Szene wo Hefti von Dompé in die Tiefe geschickt wird. Der Ball kommt zu kurz, ist aber auch grundsätzlich schwer zu verwerten, weil sein starker Fuß nach außen orientiert ist.

Hier ziehen Meffert und Mikelbencis den Halbraum für Sahiti auf, der Meffert tief anspielt um über den Doppelpass in die Box zu kommen. Der Hackenpass von Meffert ist in der Richtung aber etwas verfehlt und kommt bei Seguin an.

In einer ähnlichen Szene zieht Pherai Grüber zunächst aus dem Mittelfeld etwas breiter und öffnet damit den tiefen Raum für Reis in den Sahiti diagonal spielen kann. Eine weitere Torchance, die aber am Tor vorbeigeht.

Etwas später folgt wieder eine Szene in der Schallenberg zunächst durch Königsdörffers Abkippen aus der Kette gezogen wird, dann aber durch Heftis Tiefenlauf zurückgehen muss. Königsdörffer kann nun in Schallenbergs Rücken die Box belaufen und Dompé legt ihm eine gute Chance von außen auf, die vom Torwart gehalten wird.

Der Ausgleich fällt letztlich in einer Druckphase des HSV und kurz darauf folgt das 1:2, das ähnliche Abläufe aufzeigt wie schon beschrieben. Diese kommen aber aus einer tieferen Staffelung womit Hefti zunächst sogar den progressiven Ball auf Königsdörffer spielt. Was folgt ist der Klatsch auf den tiefer gekommenden Dompé, der Bulut damit aus der Kette gezogen hatte. Zwar erreicht der Ball ihn knapp nicht, aber Hefti kann ihn Bulut sofort wieder abnehmen. Nicht jeder Ablauf am Ball kann hundertprozentig sauber ausgehen, weshalb ein gutes Gegenpressing wichtig ist, wobei Heftis Zweikampfstärke ein wichtiges Element aufweist. Nun bekommt Dompé den Ball doch noch und kann über den kurzen Umweg Königsdörffer in die Tiefe schicken, um Sahitis Tor aufzulegen.

Halbzeit 2: Kontrolle, Pyro-Drama und Fehler

Trotzdem werden Anpassungen für die zweite Halbzeit benötigt. Der HSV will gegen 10 Mann noch mehr Kontrolle und nimmt dafür Hefti aus dem Spiel. Zwar konnte er in der ersten Halbzeit 2-3 gute Pässe diagonal von außen spielen, aber häufig orientierte er sich im Aufbau geschlossen zum gegnerischen Tor und schloss damit den Pass nach vorne grundsätzlich aus. In dieser Zone wollte man nun variabler agieren, indem sowohl Reis aber auch zum Teil Karabec eingerückt im Aufbau beteiligt waren.

Benötigt wurde Karabec zudem bei höherer Staffelung im Zwischenraum, wo er besser unter Druck Lösungen finden kann, während Hefti in der Regel auf Tiefenläufe und einfaches Klatschen beschränkt ist. Wenn dann kein Spieler in den Rückraum geht oder gehen kann, ist die Situation schnell beendet.

Zudem kam Glatzel rein, der auch gleich zeigte warum er und nicht Selke. Hier nimmt er den Ball mit minimalem Sprung an und ermöglicht damit den Seitenwechsel. Königsdörffer behauptet den Ball, Karabec nimmt in der Drehung an und leitet auf Dompé weiter, der ihn flach in die Box spielt wo Reis beinah das 1:3 aus dem Rücken der Abwehr erzielt.

Dass Glatzel den Ball so sauber zwischen den Ketten annehmen kann, bedeutet zugleich, dass die Schalker Innenverteidigung noch mehr vor Entscheidungen gestellt wird: Rausrücken um Druck zu machen oder tief stehen bleiben. Ersterer Fall bietet Königsdörffer dann wieder eine weitere Gelegenheit in der Schnittstelle tief zu laufen und so kommt es nach wenigen Minuten in der 2. Halbzeit schon wieder zu einer Chance für den HSV.

Danach kam eine Phase in der es gegen tiefer stehende Schalker mehrmals mit Flanken probiert wurde, ein Ansatz der durch eine frühe Einwechslung von Selke noch wesentlich mehr den Fokus übernommen hätte. Allerdings zeigte sich hier auch, dass dies nur bedingt erfolgversprechend gewesen wäre, besonders mit Kallas als zusätzlichem Verteidiger in der Box der hohe Luftzweikampfqualitäten hat.

Aber da die Schalker auch nicht durchgehend tief stehen blieben und sogar mal ins hohe Pressing gingen, schaffte man es auch wieder sich in seiner Überzahl aus einem tiefen Aufbau direkt durchzuspielen. Die folgende Szene endet allerdings wieder mit einer Flanke die Kalas abfangen kann.

Und somit ging der Fokus wieder dahin spielerisch Tiefe zu erzeugen. Besonders mit Karabec im Halbraum zwischen den Ketten konnte man sich zentral besser durchzocken, um dann nach kurzem Ballverlust mit gutem Gegenpressing  Dompé tief anzuspielen. Er kommt dann kurz vor der Pyro-Pause zum Abschluss in der Box, der Ball geht aber am langen Pfosten vorbei.

Pyro-Pause: Hierzu eine kurze Meinung als Randnotiz. Ich bin kein absoluter Gegner von Pyrotechnik. Auch halte ich es für wichtig, organisierten Fans Mittel zu lassen, störende Methoden nutzen zu können, um gegen überhöhte Ticketpreise oder andere Themen zu protestieren. Aber abgesehen vom gesundheitlichen Risiko von frei rumfliegenden Feuerwerkskörpern in einem Stadion (egal ob mutwillig oder versehentlich), halte ich es für essentiell dass besonders organisierte Fans ein besseres Verständnis für den Spielverlauf entwickeln. Vielleicht steht das auch etwas in Verbindung mit der von anderen bereits geäußerten Kritik, dass Fangesänge mehr mit der Situation im Spiel verkoppelt werden sollten. Gemeinschaftlichkeit unter Fans ist wichtig und dafür darf man sich auch feiern, aber trotzdem sollte der Sport nicht vollkommen aus den Augen verloren gehen. In diesem Spiel ist es leider für einen Moment so gekommen. Man hat sich ein wichtiges Protest-Thema auf die Fahne geschrieben und dabei nicht beachtet, wie es in der Phase das Spiel beeinflussen kann. Gerade mitten im Aufstiegskampf ist sowas maximal unglücklich. Bitte überlegt euch, wie sowas in der Zukunft verhindert werden kann.

Zurück zum Spiel. Denn man spielt sich tatsächlich wieder für eine Weile rein. Hier geht Karabec zunächst rechts breit auf den Flügel, kommt dann aber tiefer und passt den Ball zu Sahiti an die Seitenauslinie. Der gesamte Ablauf erfüllt den Zweck Schalkes Spieler mental nach außen zu orientieren. Und während fünf Spieler Sahiti  zuschauen, sucht sich Karabec im Rücken von vier davon den Laufweg in die Tiefe, wo er direkt in der Box angespielt wird. Man lenkte die horizontale Orientierung des Gegners und schaffte sich dadurch vertikal Raum.

Tiefe schaffte man sich aber auch über vertikales „Locken“. Hier folgt auf den Rückpass auf Heuer Fernandes das Rauschieben der Schalker. Während sie wenige Sekunden vorher noch mit ihrer Abwehrkette in der Box standen, sind sie nun wesentlich höher positioniert. Da Sahiti zugleich tiefer gekommen ist, wurde auch ihm abwartend gefolgt. Im Rücken seines Verfolgers kann er nun Mikelbrencis auf dem Flügel anspielen, der die Flanke hinter die Kette auf Glatzel spielt, der dort viel Raum hat aber letztlich an seiner Abseitsstellung, Buluts Check im Rücken, dem Torwart und der Latte scheitert.

Danach kommt eine Phase in der für Schalke mehrere Ecken aufeinander folgen und das Spiel ein wenig hin und her geht. Der HSV kann nicht mehr kontrolliert gestalten. Ein Faktor dabei sind häufig lange Bälle von Schalke, die grundsätzlich immer dazu führen das zweite Bälle gewonnen werden müssen und den Druck im Angriffspressing übergehen. Ein weiterer Faktor ist die Einwechslung von Bachmann kurz vor der Pyro-Pause. Dieser steht nun höher und nah an Meffert dran, womit der flache Ausweg über ihn nicht mehr möglich ist. Also bedient sich auch der HSV einiger langer Bälle von Heuer Fernandes. Kalas verteidigt diese gut weg, der HSV kann den zweiten Ball jedoch gewinnen und dennoch sind die Folgeaktionen in die Tiefe zu ungenau.

Was folgt ist ein erneuter Versuch wieder in seine Abläufe zu kommen. Die Zirkulation hinten rum, der diagonale Ball auf den freigezogenen Mikelbrencis am Flügel und sein ebenso diagonaler Lauf mit dem Ball ins Zentrum zwischen die Ketten. Die Diagonalität ist hier ein wichtiger Punkt, weil sie in der Körperhaltung die schnellst mögliche Folgeaktion nach der Passannahme ermöglicht. Letztlich endet aber auch diese Aktion lediglich mit einem Abschluss von Karabec vom Strafraumrand. Keine schlechte Chance mit seinem linken Fuß, aber ein kreuzender Lauf in die Tiefe von Königsdörffer hätte hier vielleicht noch mehr rausholen können.

Und dann kommt was in der 8. Minute noch nicht bestraft wurde. Mikelbrencis macht im Stellungsspiel einen Fehler und verursacht so eine Torchance. In der ersten Halbzeit war es noch ein langer verlagernder Ball in seinen Rücken, wo er seinen Gegenspieler nicht wahrgenommen hat. Dieses Mal bleibt er zu eng stehen während Sahiti sich ebenso zentral vor der Abwehrkette orientiert. In der Box kann Hadžikadunić in seiner Rückwärtsbewegung dann nicht mehr richtig in die Luft gehen und wird deshalb durch den wesentlich kleineren Sylla überköpft.

Nun haben die Schalker das Spiel was sie in Unterzahl brauchten: tief stehen und lediglich durch lange Bälle befreien sowie Zeit schinden. Der HSV wechselt zudem Selke, Baldé und später Stange ein. Es folgt der Versuch den nun hauptsächlich auf Verteidigen ausgerichteten Gegner mit Flanken zu bespielen. Diese sind zugleich schwerer vorzubereiten, weil Schalke sich auch nicht mehr wirklich rausziehen lässt. Und so bleibt hauptsächlich die konsequente Boxbesetzung mit vier bis fünf Spielern. Aber gegen fünf bis sieben Schalker ist auch das ein schweres Unterfangen. Auf kurze Strecke können die meisten Mannschaften auf diesem Niveau ihre Box relativ leicht verteidigen. Nur etwas Glück oder ein technisches Kunststück kann diesem entgegensteuern.

Fazit

Die Rolle von Hefti auf der linken Abwehrseite muss kurz hervorgehoben werden. Zwar ist er technisch nicht auf dem Niveau eines Muheim, aber seine Laufwege um Räume zu öffnen und sein Gegenpressing nach Ballverlusten gaben dem HSV in der ersten Halbzeit wichtige Impulse. Dass er teilweise zu konservativ im Aufbau agierte, ist auch auf seine ungewohnte Position zurückzuführen. Seine Leistung war dennoch besser, als sie von Teilen der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Auswechselung zur Pause war nachvollziehbar, aber unterstreicht eher, wie unterschiedlich die Anforderungen im weiteren Spielverlauf waren, weniger seine Leistung.

Der HSV hat gegen ein früh dezimiertes Schalke 04 über weite Strecken dominiert, sich durch gut strukturierte Ballzirkulationen, Überladungen und variable Tiefenläufe zahlreiche Chancen erspielt – und dennoch nur ein 2:2 mitgenommen. Probleme gab es zu Beginn, weil durchaus gut vorbereitete Angriffe an unsauberen Ballannahmen oder leicht verfehlten Pässen scheiterten. Zudem wurden die Halbräume nicht immer gut dynamisch besetzt oder die technische Lösung fehlte. Nach dem Ausgleich in der zweiten Halbzeit wurde es dann schwer den tief stehenden Gegner in der Box zu überwinden. Dass es nicht zum Sieg reichte, lag also an einer Mischung aus Ungenauigkeiten in der letzten Aktion und einem individuellen Fehler der eine schwer lösbare Schlussphase zur Konsequenz hatte. Und auch das Pyro-Drama sollte nicht vollkommen ignoriert werden. Letztlich bleibt ein Spiel, das der HSV lange in der Hand hatte – aber nicht konsequent zu Ende spielte.

Benedikt
Benedikt
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