Endlich wieder Erstligist #HSVSSV-Analyse

Mir fehlen an diesem Sonntagabend immer noch ein wenig die Worte.
Ich weiß nicht, ob ich hier mit Dedryck Boyata, Tim Kleindienst oder dem 1:5 gegen Sandhausen anfangen will – oder doch mit irgendetwas zu einem der größten Spiele, die das Volksparkstadion in der jüngeren Vergangenheit gesehen hat. Am Ende ist das auch alles egal, denn der HSV ist seit Samstagabend und knapp unter 90 Minuten Spielzeit (laut der Sky-Uhr) wieder erstklassig.

Es war ein Spiel, in dem der HSV viele gute Ideen hatte – und so fair muss man sein: Auch Ulm präsentierte sich nicht wie ein designierter Absteiger, zumindest nicht im Spiel nach vorne.

Und wie in bisher jeder geschriebenen Zweitliga-Analyse beende ich auch diese mit einer rhetorischen Frage:
Was waren die taktischen und strategischen Schlüsselmomente dieses Spiels?
Es gab viele – und es sind genau diese Details, die den HSV am Samstag früh auf die Straße in Richtung Erstligafußball brachten.

Das große personelle Fragezeichen vor dem Spiel war klar: Wer ersetzt den verletzten Hadzikadunic und den gesperrten Schonlau neben Daniel Elfadli?
In der Trainingswoche überraschte das Trainerteam mit einer eher unerwarteten Lösung: Lukas Poreba. Viele hatten stattdessen mit Silvan Hefti oder gar mit Jonas Meffert in einer tieferen Rolle gerechnet. Doch an diesem Plan änderte sich auch in den Einheiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit nichts – Poreba startete neben Elfadli in der Innenverteidigung.

Auch Ransford Königsdörffer begann erneut im Mittelfeld – eine Entscheidung, die sich gegen diesen Gegner als durchaus sinnvoll erwies. Auf der rechten Seite kehrte Emir Sahiti zurück in die HSV-Startelf.

Ulm blieb ihrer Linie treu und setzte erneut auf die gewohnte 3-4-1-2-Grundformation, ohne dabei personell zu überraschen.

Das Spiel begann umkämpft, zerfahren – und vielleicht sogar etwas hektisch. Ulm startete im bekannten 3-2-Aufbau, während der HSV bereits früh die erste Anpassung an das Ulmer System zeigte. Wie schon in den Vorwochen agierte man strukturell variabel gegen den Ball, verbrachte den Großteil der ersten Halbzeit jedoch in einem asymmetrischen Mittelfeldblock.

Warum dieser asymmetrische Ansatz? Dafür muss man wissen: Ulm bevorzugt im Spielaufbau klar die linke Seite. Mit Keller als offensivstärkerem Schienenspieler zeigte sich über mehrere Spiele hinweg ein deutliches Übergewicht auf dieser Seite.

Das Hamburger Trainerteam reagierte darauf mit einer tiefen Positionierung von Emir Sahiti, der sich in vielen Szenen auf einer Höhe mit Meffert oder im Zwischenlinienraum positionierte. Davor agierte Ransford Königsdörffer, der sich an Ulms Sechser Dennis Dressel orientierte und situativ auf den oft freistehenden linken Innenverteidiger Gaal durchschob.

Wenn Königsdörffer diesen Lauf nach außen ansetzte, schob Meffert aus seiner Hybridrolle – einer Mischung aus Raumverteidigung und Mannorientierung auf Krattenmacher – nach vorne auf Dressel durch. Blieb Königsdörffer jedoch tiefer, und war Meffert stärker an Krattenmacher gebunden, ergab sich durch das Zusammenspiel mit Mikelbrencis und Sahiti eine personelle Überzahl auf der rechten Defensivseite.

Zumindest in der Theorie – Vorteil HSV.

Allerdings zeigten die Ulmer in den Anfangsminuten ein kleines Stilmittel, das diese Zuordnungsprobleme zumindest kurzfristig für die erste Anmeldung im Volkspark auszunutzen wusste. Es handelt sich dabei sogar um die erste Szene des flachen, tiefen Ballbesitzes der Gäste in Hamburg. Erneut ist es Gaal, der das Spiel eröffnet. Dieses Mal agiert Sechser Dressel nicht zentral, sondern ist abgekippt im Raum zwischen linkem Innenverteidiger (LIV) und linkem Außenverteidiger (LAV). Dahinter lässt sich Krattenmacher leicht zurückfallen, was wiederum dazu führt, dass auch Stürmer Higl leicht in die Tiefe abkippt.

Der HSV hat in dieser Szene leichte Zuordnungs- und in der Folge auch Abstandsprobleme beim Durchschieben. Der Pass auf die Breite des Spielfelds gilt als Pressing-Trigger. Da jedoch Königsdörffer und Sahiti aus ungünstigen Positionen anlaufen, sind ihre Deckungsschatten in diesem Moment nicht wirksam. Zusätzlich schiebt Sahiti auf einen Spieler, der per se gar nicht sein designierter Gegenspieler ist. Da Ransford Königsdörffer parallel auf Gaal durchschiebt, ergibt sich für Ulm eine Gleichzahlsituation, in der der HSV mit großen Abständen und ungünstigen Defensivwinkeln agiert. Ungünstig aber auch für die Ulmer: nach dieser Aktion, fand diese dann doch zufällige Staffelung der Ulmer nicht mehr statt.

Der Tabellensiebzehnte kann sich dann mit vier diagonalen Pässen nach vorne durch das Hamburger Pressing kombinieren. Erst beim Klatschball von Higl auf Krattenmacher stockt das Ulmer Spiel leicht. Krattenmacher spielt dann eigentlich ein Eins-gegen-Vier, kann die Situation aber dennoch über Brandt im Zentrum auflösen. Die Ulmer Offensivaktion ähnelt einer Umschaltaktion, in der die Bayern die Breite suchen, um dann in die gut geflutete Box zu flanken – wo mit Telalovic (1,87 m) und Higl (1,94 m) zwei Spieler warten, die mit hohen Bällen umgehen können und zudem gegen den etwas kleineren Lukas Poreba einen Vorteil haben.

Dass Ulm dieses Mismatch bewusst ausnutzen wollte, zeigte sich auch bei ihren Einwürfen: Hier schoben die Innenverteidiger regelmäßig mit nach vorne, um den HSV bei hohen Bällen in die Box zusätzlich unter Druck zu setzen.

Um der Chronologie leicht vorzugreifen: Dieses „Größenproblem“ wird dem HSV auch beim 0:1 zum Verhängnis. In der Box steht Innenverteidiger Strompf (1,95 m) im Kampf um den zweiten Ball einem Poreba (1,79 m) und Miro Muheim (1,82 m) gegenüber. Strompf kann das Duell für sich entscheiden, und der Ball landet schließlich bei Innenverteidiger Gaal, der stark abschließt.

Mit Ball kommt vom HSV in den Minuten vor dem 0:1 wenig bis gar nichts. Nach Ballgewinnen agiert das Team unsauber, sodass nahezu jeder gewonnene Ball nach wenigen Sekunden wieder verloren geht. Stattdessen lässt sich beobachten, welche weiteren Varianten der HSV gegen den Ball parat hat. Wird hoch gepresst, entsteht auf dem Platz relativ simpel eine Mann-gegen-Mann-Zuordnung über weite Teile des Feldes. In der Theorie muss hierfür lediglich Sahiti aus seiner tieferen Position auf LIV Gaal herausschieben, während Mikelbrencis parallel auf Schienenspieler Keller durchschiebt.

In solchen Szenen versuchten die Ulmer meist gar nicht erst, sich aus der letzten Linie spielerisch zu befreien – es sei denn, der HSV schob unsauber nach und öffnete dadurch Räume hinter dem Mittelfeldblock. Stattdessen wählte Ulm häufig den langen Ball als pragmatische Lösung. Besonders die Anspiele auf Higl waren effektiv, da Poreba – wie bereits erwähnt – in diesen direkten Duellen körperlich klar unterlegen war. Im Verlauf des Spiels stellte sich Poreba jedoch besser darauf ein und positionierte sich häufiger tiefer und absichernd, anstatt in direkte Zweikämpfe zu gehen.

Allerdings bargen die langen Bälle mit aufgerücktem Ulmer Personal auch ein Risiko: Gewann der HSV den Ball und erlangte sofortige Kontrolle, entstanden Räume, in denen die Ulmer Restverteidigung maximal in einer „plus-eins“-Konstellation verteidigen konnte. Nach einem solchen langen Ball gewinnt Muheim den Kopfball und leitet ihn sofort weiter auf den leicht zurückfallenden Dompé. Die Zuordnung Muheim–Rösch und Dompé–Allgeier führte in dieser Szene zu einem 2-gegen-2 in der Ulmer Hälfte – mit viel freiem Raum für den HSV.

Muheim erkennt die Situation sofort und startet aus seiner Position dynamisch in die Tiefe. Rösch reagiert auf den Lauf nicht schnell genug, sodass sich Brandt von seinem Gegenspieler Reis leicht lösen muss. Reis bewegt sich zunächst im Deckungsschatten von Brandt und ist leicht tiefer positioniert als Muheim. Der Schweizer scannt die zentrale Zone in dieser Szene früh – umso bemerkenswerter ist es, dass er dennoch Raum und Mitspieler so wahrnimmt, dass er den folgenden Pass überhaupt spielt.

Muheim dribbelt bis etwa auf Höhe der 16-Meter-Linie und spielt dann einen punktgenauen Pass auf Ludovit Reis, der diesen höchst präzise ins Tor schiebt. Wäre der Abschluss zehn Zentimeter weiter nach rechts gegangen, hätte Strompf vermutlich noch seinen Fuß dazwischen bekommen. So aber steht es aus Hamburger Sicht zum Glück früh 1:1.

Kurz vor dem Ausgleich zeigt sich erstmals auch der HSV im eigenen Ballbesitz – und zugleich wird Ulms Matchplan deutlich erkennbar. Ausgangslage ist ein ruhender Ball in der eigenen Hälfte des HSV. Ulm reagiert darauf mit ballnaher, mannorientierter Zuordnung, in den gleichen Pärchen-Konstellationen, die sich fast über die gesamte Spielzeit hinweg beobachten lassen. Besonders auffällig: Schienenspieler Rösch schiebt bis in die erste Aufbaulinie des HSV vor und überlässt Dompé damit ein direktes 1-gegen-1-Duell mit Halbverteidiger Allgeier.

Die Ulmer variieren in dieser Phase zudem zwischen einer durchgehenden Mannorientierung und einem „Plus Eins“ in der letzten Linie oder bereits davor – abhängig von der Positionierung Ransford Königsdörffers. In dieser konkreten Szene entscheidet sich Elfadli für einen langen Ball, der allerdings keinerlei Ertrag für das HSV-Spiel bringt. Die Abstände für ein funktionierendes Gegenpressing stimmen anfangs nicht, und da Ulm zeitgleich einen hohen Restangriff positioniert hat, ergeben sich für die Gäste durchaus Optionen im Ballbesitz.

Trotzdem bleibt das Angriffsziel der Ulmer gleich: der Durchbruch über die Breite mit anschließender Hereingabe in die Box. Diese konkrete Szene kann Poreba noch entschärfen – doch aus der anschließenden Ecke fällt dann das 0:1.

Wenige Minuten später zeigt sich der HSV erstmals mit tieferem Ballbesitz aus dem Spiel heraus – und früh wird deutlich, in welche Richtung das Spiel gegen die mannorientierten Ulmer gelenkt werden soll. Strukturell hält Ulm dabei an ähnlichen Prinzipien fest wie schon bei ruhenden Bällen: Dressel agiert zentral in einer Zwischenrolle aus Raum- und Mannorientierung, Keller positioniert sich tief neben Sahiti, und Gaal sowie Strompf verteidigen in letzter Linie gegen Davie Selke.

Diese Zuordnungen führen dazu, dass Rechtsverteidiger Mikelbrencis im Aufbau nahezu dauerhaft der freie Mann ist – allerdings wird er nur selten angespielt. Der HSV versucht, die Mannorientierungen der Ulmer durch gezielte Rotationen zu knacken: Muheim, Elfadli, Meffert und Reis pendeln sowohl horizontal als auch vertikal zwischen den Zonen, während auf den Flügeln Königsdörffer und Sahiti regelmäßig die Positionen tauschen.

Allerdings überdreht der HSV in dieser Phase seine Rotationen, was zur Folge hat, dass sich sowohl in kleinen Gruppen als auch mannschaftlich insgesamt die Staffelungen ungünstig verschieben. Diese strukturellen Unsauberkeiten lassen sich auch statistisch belegen: Unter den sechs meistgespielten Passkombinationen befinden sich ausschließlich Anspiele auf Torwart Daniel Heuer Fernandes. Die Erklärung ist einfach – der HSV muss wiederholt über den Keeper auflösen, weil eine kontrollierte Spieleröffnung nach vorne häufig nicht möglich ist.

In einer Szene etwa formieren sich Meffert, Poreba und Reis in einem Dreieck – oder gar in einem Viereck mit Heuer Fernandes – derart ungünstig, dass nur noch der Rückpass auf den Torwart als Option bleibt. Sobald dieser angespielt wird, schiebt Ulm konsequent nach, woraufhin Heuer Fernandes zum langen Ball greifen muss.

Auch nach rund 15 gespielten Minuten bleibt das Gegenpressing des HSV fehleranfällig. Die Ulmer finden wiederholt offene Passspuren in die Zwischen- oder gar die letzte Linie – ein klares Indiz für die fehlende Kompaktheit im Gegenpressing der Hamburger.

Doch nicht jeder lange Ball von Torwart Daniel Heuer Fernandes führt unmittelbar zu einem gefährlichen Gegenstoß der Ulmer. Im Gegenteil – die langen Exits auf Davie Selke wirken in vielen Situationen gezielt geplant und gut vorbereitet. Möchte der HSV einen langen Ball spielen, schafft er zunächst bewusst Raum zwischen den Ulmer Ketten. Zeitgleich positioniert sich Selke im rechten offensiven Halbraum, während Königsdörffer aus einer leicht tieferen Rolle heraus um ihn herum roamt.

Kommt der lange Ball, ergeben sich für den HSV zwei konkrete Anschlussoptionen:

  1. Selke lässt sich leicht fallen und verlängert den Ball in die Tiefe – idealerweise auf den startenden Königsdörffer, der aus seiner tieferen Position in den geöffneten Raum stößt.
  2. Selke versucht den Ball festzumachen – sei es alleine oder in Anbindung an einen zentralen Spieler wie Jonas Meffert. Der zentrale Mittelfeldspieler kann dann die Zwischenlinie bespielen. Gelingt dies, öffnen sich auf der linken Seite Räume – Räume, in denen Jean-Luc Dompé bevorzugt in 1-gegen-1-Situationen gebracht wird. Kommt Dompé in Ballbesitz, wird die Box meist gut geflutet. Es fehlt in vielen Szenen jedoch noch an der nötigen Präzision und dem richtigen Timing bei den Flanken.

Deutlich erfolgversprechender wirkte der HSV bei hohen Ballgewinnen, in denen man – erneut im Mann-gegen-Mann – auf eine dezimierte Ulmer Restverteidigung traf. Nach einem Ballgewinn in der Ulmer Vorwärtsbewegung genügte ein vertikaler Pass auf Sahiti, um die Gäste in Entscheidungszwang und folglich in Bedrängnis zu bringen. Zentral kann Selke seinen Gegenspieler Strompf binden, während Sahiti ohne unmittelbaren Druck auf die Abwehrkette zulaufen kann. Innenverteidiger Gaal reagiert mit einem leichten Vorschieben, öffnet damit aber sofort die Tiefe für den heranstürmenden Königsdörffer, der mit seinem Tempo Dressel vor Probleme stellt.

Das Timing von Ransi – wie schon in der Vorwoche – ist erneut ideal, der Steckpass von Sahiti präzise. Die flache Hereingabe auf Selke kommt knapp nicht an, doch der Spielzug bringt eine Großchance hervor, die auf keinem xG-Sheet auftauchen wird.

Es dauerte bis zur 29. Minute, ehe sich der HSV erstmals flach aus dem hohen Ulmer Pressing befreien und in höhere Zonen vordringen konnte. Ausgangspunkt war ein dynamisches Zusammenspiel zwischen Muheim und Poreba im Zentrum, das es Muheim ermöglichte, mit Tempo nach vorne zu stoßen. Zeitgleich überlud der HSV die linke Seite: Königsdörffer stand hoch und breit, Elfadli hatte sich zentral vorgeschoben, und auch Sahiti hatte sich nach links orientiert.

Allerdings verpasste der HSV zunächst den richtigen Moment für Anschlussbewegungen und Rotationen, um den Tempovorteil in die Tiefe zu tragen. Königsdörffer blockierte mit seiner Positionierung ungewollt den Raum, den Dompé normalerweise bespielt. Erst nach dem Pass auf Dompé erfolgt die notwendige Bewegung in zentrale Räume.

Doch auch Ulm offenbart in dieser Szene strukturelle Schwächen im Defensivverhalten. Ein sauberes Übergeben der Gegenspieler bleibt aus – so kann Muheim nach seinem Pass nahezu unbehelligt in einem weiten Bogen in die Tiefe starten. Der HSV kombiniert sich ohne großen Aufwand durch die gegnerische Hälfte. Zwar ist die Strafraumbesetzung am Ende gut, doch wie so oft an diesem Nachmittag fehlt es an der nötigen Präzision bei der finalen Hereingabe.

Kurzes Zwischenfazit nach knapp 30 Minuten: Der HSV findet durchaus Mittel gegen das Ulmer Defensivspiel. In dieser Phase hat man viel Kontrolle, zudem sind die Abstände im Gegenpressing und generell im Spiel gegen den Ball deutlich verbessert. Ulms Offensivaktionen resultieren entweder aus Standards oder wirken sehr zufallsgetrieben. Eigentlich zeigt der Trend klar in die richtige Richtung.

Doch dann schlagen die Ulmer erneut einen langen Ball in Richtung Higl-Poreba, wo der Pole sein Duell wieder verliert. Am Ende kommen die Ulmer in der Box zum Abschluss – Muheim kommt zu spät. Elfmeter nach Intervention aus Köln.

Merlin Polzin sagt dazu in der Pressekonferenz, dass er den Blick zu Sven Höh suchte, als er gesehen habe, dass Samir Telalovic der Schütze ist – und daraufhin ein gutes Gefühl hatte.

Die Anzahl der Elfmeter von Telalovic ist gering – in dieser Saison gab es bislang nur einen: in der Hinrunde gegen Fürth. Zwar wählte Telalovic dabei dieselbe Ecke, aber reicht ein einzelner Elfmeter aus, um eine verlässliche Idee davon zu bekommen, wohin ein Schütze zielt? Wahrscheinlich nicht. Betrachtet man jedoch, welche Abschlüsse Telalovic mit seinem rechten Fuß bevorzugt, wird das Bild klarer: Überdurchschnittlich häufig wählt er die linke Ecke aus Sicht des Torwarts – genau jene Ecke, für die sich auch Heuer Fernandes entschied. Das Volksparkstadion erlebte dadurch erstmals an diesem Tag einen Moment der Ekstase.

Es war zugleich der Startschuss für die nächsten irren Minuten, die das Volksparkstadion erleben durfte. Doch auch das 2:1 hatte sich bereits angedeutet. Schon in der 18. Minute attackierte Königsdörffer nach einem Einwurf auf der rechten Seite die Tiefe – damals noch ohne Erfolg. Rund 20 Minuten später sollte sich das ändern: Ein weiter Einwurf von Mikelbrencis wird im Luftduell zwischen Selke und Strompf auf Sahiti verlängert. Die Ulmer stehen erneut im Mann-gegen-Mann über den gesamten Platz und weisen dadurch praktisch keine Tiefensicherung auf.

Sahiti leitet den Ball artistisch weiter auf den in die Tiefe startenden Königsdörffer – und der sorgt dafür, dass der HSV wieder in Führung geht.

Königsdörffer kommt mit Tempo aus der Tiefe in jenen Raum, den Selke & Co aufreißen – ein wiederkehrendes Muster an diesem Samstagabend, das nun belohnt wird. Der Matchplan ist voll aufgegangen.

Ulm wirkt in dieser Phase entweder beeindruckt oder bereits leicht resigniert – jedenfalls ist vor allem die Dreierkette nun nicht mehr auf der Höhe. Das zeigt sich exemplarisch beim 3:1: Allgeier verpasst den richtigen Moment, um aktiv nach vorne zu verteidigen, und ermöglicht es Selke fast ungehindert, einen hohen Ballgewinn zu erzielen. Die Ulmer Kette ist dabei zusätzlich unsortiert, da Gaal noch in den vorherigen Gegenstoß eingebunden war.

Der HSV macht in der Folge eigentlich nichts Überraschendes oder taktisch Neues – der Ball landet einfach bei Jean-Luc Dompé, der trotz dreier Gegenspieler ungestört flanken darf. In der Box trifft Selke dann auf Strompf – im Eins-gegen-eins, bei dem der Ulmer Innenverteidiger aus einer tiefen, ungünstigen Position agieren muss. Mit der Flanke des Franzosen ist das 3:1 aus Ulmer Sicht kaum mehr zu verhindern.

Der HSV stellt damit die Weichen klar in Richtung Bundesliga – und hat sogar noch die Chance auf das 4:1 vor der Pause, erneut mit großzügiger Unterstützung der Ulmer Innenverteidigung.

Der HSV muss das Spiel in der Theorie nur noch herunterverteidigen – und genau das gelingt ihm. Dabei greift man zu zwei Mitteln: In einem etwas tieferen Block ließ sich zunächst Emir Sahiti und in der zweiten Halbzeit dann Fabio Baldé weit in die letzte Kette zurückfallen. Passierte das, konnte Mikelbrencis sogar zentral Gegenspieler aufnehmen, ohne dass im HSV-Verbund größere Lücken entstanden.

In etwas höheren Zonen agierte der HSV aus einem 4-4-2-Grundsystem heraus, wobei sich Königsdörffer an einem der gegnerischen Sechser orientierte und somit leicht abgekippt im Verhältnis zu Davie Selke agierte. Reis und Meffert sicherten zudem viel im Raum vor der Abwehr. Ulm hatte in der Folge große Probleme, überhaupt effektive Verbindungen zwischen den Linien herzustellen. Teilweise standen bis zu sieben Ulmer vor dem kompakten Hamburger Block.

Ob es nun an der disziplinierten Defensivleistung des HSV lag – oder schlicht daran, dass das Spiel praktisch entschieden war – bleibt offen. Fakt ist: Ulm verzeichnete nach dem Seitenwechsel nur noch einen Abschluss aus dem Spiel heraus, und der kam aus der Distanz. Alles Weitere resultierte ausschließlich aus Standardsituationen.

Ransford Königsdörffer krönte schließlich seinen Abend und zeigte Fußball-Deutschland, dass es manchmal nur ein gewonnenes Duell braucht, um gegen eine mannorientierte Mannschaft unmittelbare Gefahr zu erzeugen.

Am Ende steht ein 6:1 – und die Rückkehr in die Bundesliga. Wahrscheinlich hätte es dramaturgisch nach dem frühen 0:1 und dem gehaltenen Elfmeter gar nicht anders laufen dürfen. Der HSV verdient sich diesen Heimsieg nicht nur durch brutale Effizienz, sondern auch über das Mentale. Jeder gewonnene Zweikampf wirkte wie ein erzieltes Tor. Mit jedem kleinen Erfolgserlebnis pushte sich die Mannschaft weiter – und am Ende zurück ins Oberhaus.

Wahrscheinlich ist inzwischen jeder mögliche Satz zu diesem Spiel gesagt. Und trotzdem: Danke Richy, danke Loïc, danke Merlin – dafür, dass ihr dem HSV seine spielerische Identität zurückgegeben habt. Und bei allem anderen schließen wir uns von Rautenball einfach den Worten von Philipp Langer auf der Pressekonferenz an.

Der HSV ist wieder da, wo er hingehört.
Danke fürs Lesen – wir hören uns in Liga 1.

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