Im Fokus: Das fehlende letzte Drittel #KOEHSV

Mit einer Woche nebenhöhlenbedingter Verspätung kommt jetzt, im dritten Anlauf, endlich wieder ein Fokus-Artikel mit einer Frage, die man sich nicht nur nach dem Köln-Spiel gestellt hat, sondern mehr oder weniger schon seit dem Leipzig-Spiel mitschwingt: Wieso tut sich der HSV so schwer, konstant gute Chancen herauszuspielen?

Bevor wir aber inhaltlich einsteigen, eine Mitteilung in eigener Sache: Unser geschätzter Kollege Jan wird vor dem Heimspiel gegen den BVB Teil des Volksparketts im Volksparkstadion sein. Schaut gerne vorbei, wenn er über die letzten Spiele und das kommende Duell gegen Borussia Dortmund sprechen wird!

Zurück zu den Problemen des HSV: Wer sich erinnert, dem wird auffallen, dass genau dieses Thema bereits einmal von uns beleuchtet wurde – nämlich nach der Derbyniederlage im August gegen St. Pauli. Für alle, die sich nicht noch einmal den gesamten Artikel durchlesen möchten: Viele der Probleme zu Saisonbeginn waren auf individuelles Situationsbewusstsein, mangelndes Endprodukt und weniger gravierende strukturelle Themen zurückzuführen. Leider sind es immer noch genau diese Punkte, die den HSV in seiner jetzigen Phase begleiten – das haben die letzten drei Spiele sehr deutlich aufgezeigt.

Gegen Wolfsburg und Heidenheim spielte der HSV fast ausschließlich gegen einen tiefen Block – mal dem Spielverlauf geschuldet, mal bedingt durch gegnerische Unterzahl. Es waren Spiele, in denen der HSV weitestgehend um diesen Block herumspielte und am Ende meist auf Flanken in die Box zurückgriff. Der HSV schafft es in diesen Phasen derzeit zu selten, die gegnerische Defensive vor Entscheidungen zu stellen und so Lücken zu provozieren. Auch fehlte es in diesen Spielen vor allem an Passgeschwindigkeit und den dazugehörigen Rhythmuswechseln. In vielen Belangen war es ein bloßes Herumschieben um den gegnerischen Block.

Köln verteidigte über weite Phasen nicht so tief wie Heidenheim und Wolfsburg. Die Kölner kombinierten hohes Anlaufen mit tieferem Verteidigen – wie viele Mannschaften aus der Bundesliga.

Vor allem in Halbzeit eins klappte für den HSV im eigenen Ballbesitz wenig. Es hakte insbesondere im Übergangsspiel ins letzte Drittel. Den sonst guten Rochaden aus dem „Spielen und Gehen“ fehlte am Sonntag oft das richtige Timing. Auch in der Ballzirkulation mangelte es dem HSV an Geschwindigkeit: viele Stationen, viele Kontakte – und so auch viel Ballbesitz, mit dem der HSV nicht immer etwas anfangen konnte. Schaffte es der HSV doch einmal, sich ins letzte Kölner Drittel zu kombinieren, verpufften viele Aktionen durch technische Unsauberkeiten, verlorene Dribblings und weiterhin schlechtes Timing in vielen Bewegungen abseits des Balles.

Ein Prinzip, über das die Hamburger zum Erfolg kommen wollen, ist das Isolieren von Jean-Luc Dompé. Dass der HSV darauf setzt, dürfte ligaweit längst kein Geheimnis mehr sein. Durch die weit vorschiebenden Außenverteidiger Muheim und Mikelbrencis gelingt es dem HSV häufig, die gegnerische Fünferkette Mann gegen Mann zu binden. Muheims permanentes Vorderlaufen dient dabei nicht nur dem Binden von Kölns rechtem Halbverteidiger, sondern auch dem Öffnen des Raumes, den Dompé theoretisch immer wieder für seinen Cut nach innen nutzen kann.
Die erste Halbzeit Dompés wird allerdings keine sein, die einem HSV-Fan nachhaltig in Erinnerung bleiben wird. In den wenigen Situationen, in denen man den Franzosen tatsächlich effektiv isoliert bekommt, scheitert er im Dribbling an Kaminski oder fällt durch schwache Hereingaben in die Box auf.

Ein Mittel, um den Franzosen überhaupt in diese Isolation zu bringen, startet häufig über die rechte Hamburger Offensivseite. Im Verbund mit den beiden verbliebenen Offensivspielern, den zentralen Mittelfeldakteuren und dem an der Linie klebenden Mikelbrencis versucht der HSV, den rechten Halbraum zu überladen.
Normalerweise sucht der HSV solche Überladungen aus den bekannten, rautenförmigen Formationen, die entlang des rechten Halbraums oder der rechten Schiene entstehen, um anschließend dynamisch in freigezogene Räume zu spielen. Doch am Sonntag wollte dies nur selten gelingen. Oft stand der HSV nicht ideal gestaffelt, um überhaupt Dynamik zu entwickeln. Zudem wählten die Hamburger in diesen Konstrukten häufig nicht die beste Anschlussoption im Passspiel.

So hatte Mikelbrencis in Minute 39 die Möglichkeit, diagonal etwas riskanter in den Druck auf Philippe zu spielen oder den Ball auf den breit startenden Königsdörffer zu legen, der jedoch mit dem Rücken zum Feld in Richtung Seitenlinie sprintete. Mikelbrencis entschied sich für den linearen Pass entlang der Linie – ein Ball, mit dem Königsdörffer weder im Dribbling eine Chance hatte, noch eine Anschlussoption besaß.

Die Dynamik des Sturmduos Königsdörffer–Philippe ist ohnehin etwas, das beim HSV in den vergangenen Wochen nicht immer symbiotisch wirkte. Grundsätzlich versuchen beide Offensivakteure, den Rücken des Halbverteidigers für den jeweils anderen zu öffnen. Im Überladen lässt sich meist einer der beiden kurz fallen, während der andere parallel die Option für den schnellen Ball in die Tiefe anbietet.
Das war auch in Halbzeit eins zu sehen, allerdings mit oft sehr schlechtem Timing zueinander. Nach knapp 20 Minuten kippt Rayan Philippe tief ab, Königsdörffer startet daraufhin verspätet – aus einer ohnehin nicht idealen Position. Alles wirkt etwas langsam und schwerfällig.

Langsam und schwerfällig wirkt an diesem Sonntagnachmittag vieles – vor allem das Spiel abseits des Balles. Kurz nach dem geschenkten Kölner Führungstreffer kombiniert sich der HSV über die linke Seite dynamisch in die Kölner Hälfte. Dank der DAZN-Regie bleibt der Ursprung des Angriffs für den Zuschauer allerdings im Dunkeln. Am Ende steht jedoch Muheim einer Vier-gegen-drei-Situation gegenüber, aus der der HSV kläglich wenig macht.
Unter Druck von Martel entscheidet sich Muheim für den langen, diagonalen Ball tief in die Kölner Box, der schließlich wegen einer Abseitsstellung von Mikelbrencis abgepfiffen wird.

Ob man Muheim für diesen Ball wirklich einen Vorwurf machen kann, ist schwer zu sagen – denn sowohl Königsdörffer als auch Mikelbrencis bewegen sich bereits permanent im Abseits, was im Übrigen nicht auf eine Kölner Abseitsfalle zurückzuführen ist. Beide Hamburger halten sich schon deutlich vor Muheims Pass in der verbotenen Zone auf.

Der HSV verspielt in Halbzeit eins nicht nur einmal gut herausgespielte Chancen. Über das „Anpinnen“ von Fixspieler Dompé gelingt es den Hamburgern, dass Vieira und Muheim Johansson und Schmied im Halbraum in ein Zwei-gegen-zwei verwickeln. Ballfern binden erneut drei Hamburger die verbliebene Kölner Restverteidigung. Vieira spielt anschließend einen starken Steckpass in den Raum hinter den Kölner Halbverteidiger, den Muheim erneut dynamisch erlaufen kann.

Aus HSV-Sicht folgt dann jedoch nicht der flache Pass ins Zentrum – der mit hoher Wahrscheinlichkeit zum 1:1 geführt hätte –, sondern ein Chipball in die Arme von Schwäbe. Erneut verpufft eine große Möglichkeit im letzten oder vorletzten Pass, die folgerichtig auch nicht im xG-Statsheet auftaucht.

Fassen wir also noch einmal kurz zusammen: In Halbzeit eins scheitert der HSV vor allem an ungünstigen Staffelungen innerhalb der Gruppenstrukturen, mangelnder Handlungsschnelligkeit und individuellen Fehlern. Dass der HSV es auch anders kann, zeigt er dann jedoch in Halbzeit zwei. Zwar kassiert man erneut ein völlig unnötiges Gegentor, doch anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, reagiert die Mannschaft mit deutlich mehr Mut und Dynamik – ganz im Gegenteil also.

Der HSV schafft es nun vor allem über den Portugiesen Vieira, sich vertikal durch die Kölner Defensive zu kombinieren. Dieser ließ sich häufig vor den Kölner Block fallen, um ihn anschließend dynamisch anzulaufen, zentrale Anspielstationen zu schaffen oder Räume für Mikelbrencis freizuziehen. Besonders auffällig ist Vieiras Qualität im Umschaltspiel – oberes Bundesliganiveau. In einer Szene gelingt es dem HSV, sich mit gerade einmal vier Kontakten (Kontakten, nicht Stationen) bis zu Dompé ins letzte Drittel durchzuspielen, wo dieser aufdrehen und seine Stärken endlich entfalten kann.

Mit Vieira am Ball wirkt der HSV wie das Gegenbild zur ersten Halbzeit: direkt, schnell und klar in den Aktionen. Auch die strukturelle Ordnung verbessert sich deutlich. So entsteht das vermeintliche 2:2 von Vuskovic aus einer Rautenbildung im Mittelfeld, in der Poulsen den Raum für Philippe öffnet, der wiederum den lange vermissten flachen Pass auf Vuskovic spielt – leider nur wenige Zentimeter im Abseits.

Der HSV hat es nicht verdient, in Köln mit 1:4 zu verlieren. Wie bereits in Halbzeit eins brachten auch die Kölner ohne Hamburger Mithilfe relativ wenig qualitativ Hochwertiges vor das Tor von Heuer Fernandes. Auch in Halbzeit zwei profitierten sie erneut von einem Fehlpass Königsdörffers. Es ist brutal ärgerlich – und irgendwo auch unverständlich –, dass der HSV aus den letzten drei Spielen keinen einzigen Punkt mitnehmen konnte, obwohl man sich in allen Partien mindestens einen verdient hätte.

Ebenso schwer zu begreifen ist, dass man aktuell nur drei Punkte Vorsprung auf den Tabellenletzten hat. Vor allem gegen den Ball präsentiert sich der HSV trotz zahlreicher Ausfälle weiterhin stabil und organisiert – bis Schlager schließlich entscheidend ins Spiel eingriff.

Doch am Ende gilt im Fußball wie so oft: Man ist nur so stark wie sein schwächstes Glied. Und genau das beschreibt die derzeitige Situation des HSV treffend. Die Mannschaft schafft es aktuell nicht, Spiele auf ihre Seite zu ziehen. In den letzten drei Aktionen vor dem Torabschluss fehlt schlichtweg die Konstanz und Klarheit. Diese Szenen weisen weiterhin eine enorme Streuung auf – sei es bei Standards, Flanken oder Kombinationen im letzten Drittel. Der HSV steht sich sinnbildlich selbst im Weg – am Sonntag durch verschenkte Gegentore ebenso wie durch selbst geblockte Abschlüsse vor dem Kölner Tor.

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